Erdogan gibt nach: Welche Gegenleistungen er dafür bekommt
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Gab seine Blockade gegen die Nato-Norderweiterung auf: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
© Quelle: IMAGO/Depo Photos
Manche fürchteten schon ein monatelanges Tauziehen. Aber als sich am Dienstag vor dem Beginn des Nato-Gipfels in Madrid Generalsekretär Jens Stoltenberg mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und den Staats- und Regierungschefs aus Finnland und Schweden an einen Tisch setzte, war man sich nach nicht einmal vier Stunden handelseinig: Die Türkei gibt ihre Blockade bei der Norderweiterung des Bündnisses auf.
Bekommen hat Erdogan dafür nicht viel. Schweden ändert zwar zum 1. Juli seine Terrorgesetze, aber das war ohnehin geplant. Die beiden Beitrittskandidaten versprechen der Türkei eine engere Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung. Gemeint ist vor allem die kurdische Terrororganisation PKK, die in Skandinavien enge Exil-Strukturen unterhält.
„Natoisierung statt Finnlandisierung Europas“: Analyse des ersten Gipfeltags im Video
Beim Treffen der Nato in Madrid wird klar: Auch für die Allianz mit ihren bislang 30 Staaten hat eine Zeitenwende begonnen.
© Quelle: RND/Kristina Dunz
Kooperieren wollen Schweden und Finnland auch bei der Auslieferungen von Menschen, die in der Türkei als Terroristen gesucht werden. Aber darüber wird die unabhängige Justiz entscheiden, einen Automatismus gibt es nicht. Der türkische Justizminister Bekir Bozdag forderte am Mittwoch in einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender NTV insgesamt 33 Menschen auszuliefern.
Treffen von Erdogan und Biden am Mittwoch
Mit seiner Zustimmung zur NATO-Erweiterung öffnete sich Erdogan zwar die Tür für ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden am Mittwoch. Aber für die gewünschte Bestellung amerikanischer F-16-Kampfflugzeuge hat die Türkei bisher kein grünes Licht bekommen, geschweige denn für die ursprünglich vereinbarte Lieferung von 100 Tarnkappenjets des Typs F-35. Die USA stoppten den Export der Maschinen, nachdem Erdogan in Russland S-400-Luftabwehrraketen bestellt hatte. Im amerikanischen Kongress gibt es weiterhin starken Widerstand gegen Waffenlieferungen an die Türkei – vor allem wegen Erdogans ständiger Sonderwege.
Weg frei für Nato-Mitgliedschaft von Finnland und Schweden
Das türkische Präsidialamt erklärte, man habe Zusagen für konkrete Schritte in Richtung einer Auslieferung von Terrorverdächtigen erhalten.
© Quelle: Reuters
Die Türkei hat für die Nato heute eher eine noch größere strategische Bedeutung als in der Ära des Kalten Krieges. Zugleich aber gilt Erdogan als unberechenbarer denn je. Er hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, parallel zur Nato-Mitgliedschaft privilegierte Beziehungen zu Russland zu unterhalten. Für seine Militäroperationen gegen die Kurden in Syrien brauchte Erdogan das Einverständnis Putins.
Als einziges Land der Allianz setzt die Türkei deshalb keine der Sanktionen des Westens gegen Russland um. Ankara bietet sich Moskau und Kiew als Vermittler an, aber Putin lässt die Türkei abblitzen. Mit der Bestellung russischer Raketen hatte der türkische Staatschef den Bogen bereits überspannt. Mit Putins Angriff auf die Ukraine ist die türkische Russlandpolitik endgültig gescheitert. Auch deshalb steckte Erdogan jetzt in der von ihm selbst inszenierten Nato-Krise zurück.
Nur magere Zugeständnisse für Erdogan
Erdogan musste sich im Kräftemessen um die Erweiterung der Allianz mit eher mageren Zugeständnissen zufriedengeben. Dennoch heißt es jetzt im Präsidialamt in Ankara, die Türkei habe „bekommen was sie wollte“. Das zeigt: Im Grunde ging es bei dem ganzen Streit nicht um Schweden, Finnland oder die Nato. Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit 20 Jahren und ein Jahr vor den Wahlen, bei denen es um sein politisches Überleben geht, wollte sich der türkische Staatschef mit dem Nato-Poker bei seinen Landsleuten als politischer High Roller in Szene setzen.
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Ein russischer Staatsbankrott, der keiner ist
Erstmals seit 1918 kann Russland die Zinsen für Staatsanleihen nicht mehr zahlen – dabei ist mehr als ausreichend Geld in Putins Kasse. Sein Finanzminister spricht von einer Farce, weil Zahlungen durch Sanktionen unmöglich gemacht werden. Wie geht es jetzt weiter?
Deswegen mischt sich im Bündnis in die Erleichterung über das Ende der Blockade bereits die Sorge vor der nächsten künstlichen Krise, die Ankara heraufbeschwören könnte. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sprach vergangene Woche vor Regierungsanhängern im südostanatolischen Malatya von einer „Verantwortung gegenüber der Geschichte und der Zukunft“. Es gebe „eine Türkei, die größer ist als unser gegenwärtiges Land“.
Deswegen „dürfen wir nicht in unseren Grenzen gefangen sein“, so Cavusoglu. Das weckt neue Befürchtungen in Nachbarländern, die bereits türkische Invasionen erlebt haben, wie Syrien, Irak und Zypern, oder sich mit türkischen Gebietsansprüchen konfrontiert sehen – wie der Allianzpartner Griechenland.
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