Erst Anklage in Ankara, dann Hausdurchsuchung in Hamburg
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Eine Demonstration für die Freiheit des inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan (Symbolfoto).
© Quelle: imago images/Nicolaj Zownir
Berlin. Es ist noch dunkel draußen, als Beamte des Hamburger Landeskriminalamts frühmorgens am 21. Januar 2022 an die Wohnungstür von Ali A. klopfen. Sie kommen, um einen Durchsuchungsbeschluss zu vollstrecken. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft dem in Deutschland lebenden Kurden mit türkischer Staatsbürgerschaft vor, gegen das Vereinsgesetz verstoßen zu haben. A. soll in mehreren Facebook-Posts Symbole der verbotenen PKK verbreitet haben. Ein Fall, der Fragen aufwirft.
Ins Rollen kamen die deutschen Ermittlungen gegen den Hamburger bereits im Jahr 2020 durch ein Rechtshilfeersuchen aus der Türkei. Das türkische Generalkonsulat hatte sich an die Staatsanwaltschaft Mainz gewandt und darum gebeten, Ali A. vorzuladen und zu vernehmen. Zur Begründung schickte das Konsulat eine dicke Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft Ankara mit.
Propaganda für eine Terrororganisation lautet der Vorwurf der türkischen Ankläger, ein Straftatbestand, der in der Türkei seit einigen Jahren vermehrt zur Verfolgung Oppositioneller angewandt wird. Das trifft teilweise auch deutsche Staatsbürger: So wurde im vergangenen Jahr etwa ein Bochumer mit kurdisch-alevitischen Wurzeln zu einer zweijährigen Haftstrafe wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt, weil er auf Twitter Beiträge geteilt haben soll, in denen der türkische Einmarsch in Nordsyrien kritisiert wird.
Ali A., so die Staatsanwaltschaft in der türkischen Hauptstadt, soll Facebook-Posts verbreitet haben, in denen PKK-Anführer zu sehen sind und Aufnahmen von Demonstrationen in Deutschland, bei denen PKK-Fahnen geschwenkt wurden. Ali A. lebt seit mehr als 20 Jahren in Hamburg, in der Türkei habe er in den vergangenen Jahren lediglich Urlaub gemacht, sagt sein Anwalt Mahmut Erdem dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Trotzdem wollen die türkischen Behörden ihn in der Türkei verurteilen und bestrafen.
Dass sie sich mit ihrem Rechtshilfeersuchen zunächst an die Staatsanwaltschaft Mainz gewandt haben, liegt an einer Verwechslung: Die türkischen Behörden hatten zunächst den falschen Ali A. angeklagt. Die Anklageschrift war gegen einen in Rheinland-Pfalz lebenden Namensvetter gerichtet. In Reaktion auf das Rechtshilfeersuchen leitet die Mainzer Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren gegen den Mann ein. Erst die Koblenzer Kriminalpolizei stellt bei ihren Ermittlungen fest, dass der Rheinland-Pfälzer gar nicht der Inhaber des beschriebenen Facebook-Profils ist und ordnet das Profil dem Hamburger Ali A. zu.
Der Fall wechselt deshalb von der Mainzer zur Hamburger Staatsanwaltschaft, wo man nach RND-Informationen abfragen lässt, ob A. dem polizeilichen Staatsschutz oder dem Verfassungsschutz als Extremist bekannt ist. Entsprechende Erkenntnisse gibt es demnach aber keine.
Auch die Hamburger Ermittler werten Ali A.s Facebook-Profil aus und suchen nach Beiträgen, in denen es um die PKK geht. Sie finden mehrere Videobeiträge und sind sich schließlich sicher, genug belastendes Material zu haben, das eine Durchsuchung der Wohnung rechtfertigt. Die Durchsuchung soll Beweise zutage fördern, dass A. tatsächlich Autor der Facebook-Posts ist.
Der Hamburger Rechtsanwalt Mahmut Erdem hält die Durchsuchung für einen Skandal. Keines der Videos, die sein Mandant bei Facebook geteilt hat, erfülle einen Straftatbestand, sagt er. Bei allen Posts, die die Staatsanwaltschaft beanstande, handele es sich um Beiträge der kurdischen Nachrichtenagentur ANF. „In einem der Videos spricht eine der Führungspersonen der PKK und im Hintergrund ist eine PKK-Fahne sichtbar“, sagt Erdem. Ali A. habe das Video ohne eine Kommentierung geteilt, ohne sich positiv auf die in Deutschland verbotene PKK zu beziehen.
Nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden ist die Agentur ANF ein Verlautbarungsorgan der PKK. Aber reicht das für eine Strafbarkeit? Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat nach RND-Informationen vor der Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses darauf verzichtet, die geteilten Inhalte ins Deutsche übersetzen zu lassen. „Soweit aktenkundige fremdsprachige Texte nicht in die deutsche Sprache übersetzt wurden, waren sie bislang nicht Gegenstand der Ermittlungen und für die strafrechtliche Würdigung nicht von Belang“, teilt die Generalstaatsanwaltschaft auf RND-Anfrage mit.
Rechtsanwalt beklagt Verfahrensfehler
„Die Videos sind in kurdischer und türkischer Sprache. Deshalb hätte die Staatsanwaltschaft sehr wohl eine Übersetzung veranlassen müssen, um festzustellen, ob es sich überhaupt um strafbare Inhalte handelt“, widerspricht Rechtsanwalt Erdem. Die Videos hätten ausgewertet werden müssen, sagt er. „Es reicht nicht, sich auf ein Vorschaubild zu konzentrieren, in dem eine PKK-Fahne zu sehen ist.“
Die Durchsuchung sei erforderlich und verhältnismäßig gewesen, teilt hingegen die Staatsanwaltschaft mit. „Es handelt sich um eine strafprozessuale Standardmaßnahme, auf die regelmäßig zurückgegriffen werden muss, wenn es darum geht, Social-Media-Accounts anhand der für den Zugriff verwendeten Endgeräte realen Personen zuzuordnen“, erklärt ein Sprecher des Hamburger Oberlandesgerichts.
Rechtsanwalt Erdem sagt, es hätte auch mildere Maßnahmen gegeben: „Man hätte meinen Mandanten zu einer Befragung vorladen können.“ Er will nun erwirken, dass das Verfahren gegen Ali A. eingestellt und die Durchsuchung für unrechtmäßig erklärt wird.
Erdem geht es aber noch um mehr: „Dass die deutsche Justiz Erdogans Schergen hilft, das geht nicht“, sagt er. Die Türkei sei kein Rechtsstaat, deswegen müsse jedes Rechtshilfeersuchen aus der Türkei besonders genau daraufhin überprüft werden, ob es rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht. „Rechtshilfeersuchen, die sich auf Vorwürfe wie Terrorpropaganda beziehen, sollten grundsätzlich abgelehnt werden“, fordert Erdem. „Die Türkei hat einen anderen Begriff von Terrorismus als wir, der im Prinzip jeden Oppositionellen treffen kann.“
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg weist das von sich. Sie erklärt: „Vorwürfe der türkischen Behörden sind nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.“