Kommentar

Es dreht sich was in der Ukraine: Ist die Krim erst der Anfang?

Munitionslager der russischen Luftwaffenbasis Saki gehen in Flammen auf – und plötzlich blicken russische Urlauber auf die Realität des Krieges: Szene am Strand von Novofedorovka auf der Krim am 9. August.

Munitionslager der russischen Luftwaffenbasis Saki gehen in Flammen auf – und plötzlich blicken russische Urlauber auf die Realität des Krieges: Szene am Strand von Novofedorovka auf der Krim am 9. August.

Unter russischen Regimekritikerinnen und ‑kritikern kursiert ein bitterer kleiner Scherz. „Woran erkennt man, dass Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow lügt?“ Antwort: „Seine Lippen bewegen sich.“

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Tatsächlich hat Moskaus regierungsamtliche Abkehr von der Realität ein groteskes Ausmaß angenommen. Ein neuer Höhepunkt wurde in dieser Woche erreicht. Nach der Serie mächtiger Explosionen auf der russischen Luftwaffenbasis Saki auf der Krim meldete Moskaus staatliche Nachrichtenagentur Tass, Ursache sei die „Verletzung von Brandschutzregeln“. Zum Glück sei „keine Maschine zu Schaden gekommen“.

Nach Moskauer Angaben ist hier „keine Maschine zu Schaden gekommen“ - westliche Experten sprechen dagegen von mindestens sieben zerstörten russischen Kampfjets: Satellitenaufnahme des Luftwaffenstützpunkts Saki vom 11. August 2022.

Nach Moskauer Angaben ist hier „keine Maschine zu Schaden gekommen“ - westliche Experten sprechen dagegen von mindestens sieben zerstörten russischen Kampfjets: Satellitenaufnahme des Luftwaffenstützpunkts Saki vom 11. August 2022.

Dieser Umgang mit der Wahrheit ist eine Schande. Hatte auch beim Untergang des russischen Raketenkreuzers „Moskwa“ am 14. April einfach nur jemand an Bord unerlaubt geraucht? Auch damals wurde ein Beschuss geleugnet. Von einem technischen Defekt war die Rede, auch von einem Sturm, den es an dem Tag nicht gab. Über die rund 500 „Moskwa“-Matrosen, von denen jede Spur fehlt, mag Moskau weiterhin nicht reden.

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Desaster von historischem Format

Mit der Zerstörung der Luftwaffenbasis Saki auf der Krim erlebt Russland jetzt erneut ein militärisches Desaster von historischem Format. Satellitenbilder deuten hin auf die Zerstörung von mindestens sieben russischen Kampfjets. Warum hat rund um so hochwertige militärische Ziele die russische Flugabwehr versagt? Wo waren die für diesen Zweck entwickelten S-400-Systeme? Kann man sie etwa stören oder ihnen ausweichen?

Der Zwischenfall sendet eine Schockwelle ins gesamte russische Militär. Wenn ein Schlag gegen Saki möglich war, ist im Prinzip keine russische Einheit mehr sicher.

Russische Urlauberinnen und Urlauber, erstmals mit der Realität des Krieges konfrontiert, fliehen jetzt massenhaft von der Krim. Zugleich wird es auch für die russischen Besatzer in der nordwestlich der Halbinsel liegenden Großstadt Cherson ungemütlich. Nachschub aus dem Osten bekommen Putins Truppen dort neuerdings nur noch über improvisierte Pontonfähren: Kiews Armee hat per Präzisionsbeschuss die Tragfähigkeit der Brücken über den Dnipro reduziert, Schwerlastverkehr ist jetzt nicht mehr möglich.

Auf Pontonfähren über den Dnipro: In Cherson sind die russischen Besatzungstruppen neuerdings auf ein kompliziertes und militärisch leicht angreifbares System zum Transport schwerer Lasten angewiesen.

Auf Pontonfähren über den Dnipro: In Cherson sind die russischen Besatzungstruppen neuerdings auf ein kompliziertes und militärisch leicht angreifbares System zum Transport schwerer Lasten angewiesen.

Moskau sieht die Alarmzeichen. Russische Truppen werden derzeit eilends von anderen Fronten abgezogen und nach Cherson beordert. Moskau fürchtet zu Recht, dass Kiew dort in Kürze eine militärische Machtprobe beginnen will: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, die als erste im Frühjahr von den Russen besetzte ukrainische Großstadt auch als erste wieder zu befreien.

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War die Attacke auf die Flugfelder auf der Krim bereits Kiews Eröffnungszug im Kampf um Cherson? Fest steht jedenfalls, dass sich gerade einiges dreht in diesem Krieg. Zum ersten Mal schlägt nicht mehr allein Putin den Takt. Moskau muss plötzlich auf Impulse der Ukrainer reagieren.

Kippt Cherson? Putin kann unmöglich warten

Die leise wachsende militärische Bedrängnis Moskaus übersetzt sich zunehmend auch ins Politische. Die westlichen Waffen, das amerikanische Himars-System vorneweg, treffen nicht mehr nur russische Munitionsdepots weit hinter den Frontlinien, sie lassen auch Putins Lügengebäude in Moskau wackeln.

Was nun? Der Kremlherr kann unmöglich abwarten, ob es Kiew tatsächlich gelingt, Cherson zu kippen. Russlands weltpolitische Blamage wäre dann komplett.

Niemanden darf es deshalb überraschen, wenn Putin wie einst im Syrienkrieg auf einmal seinen Schlips glatt streicht und mit seifigen Worten einen einseitigen Waffenstillstand verkündet. Russland, die Friedensmacht – man kennt die Melodie. Ein Ende der Kämpfe wäre tatsächlich ein humanitärer Fortschritt. Doch dass man Putin auch in einem solchen Szenario misstrauen muss, hat der Westen hoffentlich mittlerweile gelernt.

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