Expertin: Kasachstan nimmt nach Unruhen Kurs auf Reformen

Wegen hoher Gaspreise kam es Anfang Januar in  der Wirtschaftsmetropole Almaty zu Massenprotesten, die später in gewaltsame Unruhen umschlugen.

Wegen hoher Gaspreise kam es Anfang Januar in der Wirtschaftsmetropole Almaty zu Massenprotesten, die später in gewaltsame Unruhen umschlugen.

Berlin. Anfang Januar wurde Kasachstan von tagelangen, teils gewalttätigen Massenprotesten erschüttert. Nach offiziellen Angaben forderten die Unruhen 225 Todesopfer. 4300 Menschen wurden verletzt, etwa 7000 festgenommen. Über Ursachen und Hintergründe der Ereignisse sprach das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit Dr. Beate Eschment vom Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS). Sie ist Zentralasienexpertin und beschäftigt sich seit 1994 mit Kasachstan.

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Frau Eschment, war das, was wir in Kasachstan erlebt haben, ein Massenprotest, der in Gewalt ausartete und schließlich im Staatsstreich endete?

Nein. Zweifellos war es zu Beginn eine Protestbewegung, die sich an der Erhöhung der Kraftstoffpreise entzündete und sich auch gegen die allgemeine schwierige soziale Lage breiter Teile der Bevölkerung richtete. Die Protestbewegung hatte auch eine politische Komponente und war überhaupt nicht aggressiv. Allerdings mischte sich besonders in der Wirtschaftsmetropole Almaty sehr bald mindestens eine andere Gruppe unter die Protestanten, deren Aktionen ganz klar darauf abzielten, das Land und den amtierenden Präsidenten zu destabilisieren.

Dr. Beate Eschment ist Expertin für Zentralasien und beschäftigt sich seit 1994 mit der Entwicklung in Kasachstan.

Dr. Beate Eschment ist Expertin für Zentralasien und beschäftigt sich seit 1994 mit der Entwicklung in Kasachstan.

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Präsident Kassim-Schomart Tokajew sprach von „ausländischen Terroristen“. Wer steckt hinter dieser Gruppe?

Das ist bislang unklar und wird möglicherweise auch nicht so schnell aufgeklärt. Die Theorie ausländischer Terroristen halte ich für sehr weit hergeholt. Ich vermute, das wurde ins Feld geführt, um den Hilferuf nach dem von Russland angeführten Militärbündnis OVKS zu rechtfertigen. Ich kann mir vorstellen, dass Kräfte aus dem riesigen Clan des Altpräsidenten Nursultan Nasarbajew dahintersteckten, die ihre Felle davonschwimmen sahen. Wir erinnern uns, Tokajew hatte im Zuge der Proteste Nasarbajew sein letztes wichtiges Amt als Vorsitzender des Sicherheitsrates genommen und seinen langjährigen Vertrauten, den Chef des Geheimdienstes, abgesetzt und später inhaftieren lassen.

Nasarbajew war 2019 nach 30 Jahren als Präsident zurückgetreten und hatte das Amt an Tokajew übergeben, blieb aber weiterhin „Führer der Nation“ und Chef des Sicherheitsrates. Welche Rolle spielt er jetzt?

Nasarbajew hatte 2019 versucht, seine Nachfolge friedlich zu regeln, was man nun als gescheitert betrachten muss. Der Mann ist inzwischen 81 Jahre alt, und ich glaube nicht, dass er beim Gewaltausbruch im Januar eine entscheidende Rolle gespielt hat. Aber in dem Moment, als Tokajew ihn als Sicherheitsratschef absetzte und klar war, dass Nasarbajew weiter an Macht verlieren würde, haben sich wahrscheinlich einige Mitglieder der weitverzweigten Clanfamilie Sorgen um ihre Pfründe gemacht. Die Marodeure von Almaty, die möglicherweise auch bezahlt waren, wurden von Beobachtern der Szenerie als ein ganz anderer Typ von „Demonstrant“ beschrieben als die friedlichen Protestierer.

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Tokajew hat es durch massive Gewaltanwendung schnell geschafft, die Unruhen niederzuschlagen. Er gab einen Schießbefehl aus, von dem es hinterher hieß, er habe sich nur gegen Randalierer gerichtet.

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Tatsächlich hat Tokajew es mit seinem harten Vorgehen geschafft, die Lage rasch in den Griff zu bekommen. Und das ohne direktes Eingreifen der OVKS. Das Militärbündnis unter russischer Führung hat tatsächlich nur symbolische Wirkung entfaltet und ist inzwischen auch schon wieder komplett aus Kasachstan abgezogen. Allerdings sind in dem Moment, als scharf geschossen wurde, offensichtlich auch ganz harmlose Bürger verletzt worden oder auch zu Tode gekommen. Es gibt massive Forderungen von Menschenrechtsorganisationen, die Todesfälle aufzuklären. Aber Tokajew hat bereits eine internationale Beteiligung an der Aufklärung abgelehnt.

Wie wird es jetzt innenpolitisch weitergehen?

Derzeit läuft ein riesiger personeller Austauschprozess. Man staunt, wo überall Nasarbajew seine Leute sitzen hatte, die jetzt alle ausgewechselt werden. Tokajew hat eine Art Zukunftsprogramm verkündet, das vor allem auf wirtschaftliche, aber weniger auf politische Veränderungen abzielt. Das heißt, er wird versuchen, die soziale Lage breiter Bevölkerungsschichten zu verbessern, aber Kasachstan wird jetzt nicht Kurs auf ein Demokratiemodell westlicher Prägung nehmen. Es wird mit Sicherheit Wahlen geben, die hat es unter Nasarbajew auch immer gegeben. Aber sie wurden nie als frei und fair bewertet.

Wie muss man sich den sozialpolitischen Umbau vorstellen?

Tokajew konzentriert sich jetzt auf die Befriedung der Masse der Bevölkerung. Er hat beispielsweise kritisiert, dass es unter seinem Vorgänger ein Oligopol gegeben hat, das einige sehr wenige Menschen sehr reich gemacht hat. Diese Leute hat er aufgefordert, einen Teil ihres Geldes in einen Fonds einzuzahlen, aus dem dann soziale Projekte finanziert werden. Einige haben gezahlt, andere nicht. Es bleibt abzuwarten, wie er gegen diejenigen vorgehen will, die bislang nicht bereit sind zu zahlen. Die meisten von ihnen haben ihr Geld mit Sicherheit nicht nur in Kasachstan geparkt. Hier zeigt sich schon, dass Tokajews Macht auch begrenzt ist.

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Wie schätzen Sie die Stimmung in der Bevölkerung ein?

Viele Menschen in Almaty sind sehr verunsichert, geradezu verängstigt. Dabei zeigt sich, dass wohl die Jüngeren eher an Tokajew und seinen Kurs glauben, während die Älteren eher skeptisch sind, nach dem Motto, das haben wir alles schon so oft gehört. Ich persönlich glaube, dass Tokajew aufgrund seines Alters und seiner Biografie nur ein Mann des Übergangs ist.

Welche Rolle spielen Nichtregierungsorganisationen (NGO)?

Es gibt nach wie vor Menschen, die sich ohne Angst kritisch äußern. Es herrschte auch früher nie ein Klima der Angst. Aber es gab generell natürlich immer die Tendenz des Staates, alles kontrollieren zu wollen. Im sozialen oder Umweltbereich gab und gibt es eine Menge NGO, aber sobald sich Menschen zu einer Gruppe zusammenschließen, um öffentlich politische Forderungen zu stellen, wird es schwierig. Wenn eine Partei in Kasachstan an Wahlen teilnehmen will, muss sie registriert werden. Und solange eine Partei echte oppositionelle Ideen vertritt, wird sie nicht registriert.

Welchen Kurs wird Kasachstan in Bezug auf den Westen einschlagen?

Ich denke, das Land wird auch jetzt nicht Russland hinterherlaufen, sondern weiter seine Multi-Vektoren-Politik fortsetzen, also gut nachbarschaftliche Beziehungen zu vielen Ländern pflegen. Kasachstan hat die Großmächte China und Russland als direkte Nachbarn, und es ist aus seiner Sicht sehr sinnvoll, politisch wie auch wirtschaftlich auf möglichst viele Partner zu setzen, um seine Unabhängigkeit zu wahren, auf die man sehr stolz ist.

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