Fällt Weihnachten dem Virus zum Opfer? Jetzt ist die Politik gefragt

Ist das Weihnachtsfest in Familie noch zu retten – oder fällt es Kontaktsperren zum Opfer? Im Botanischen Garten in Berlin wurde die Christmas-Garden-Saison jedenfalls gerade eingeläutet – mit Mundschutz.

Ist das Weihnachtsfest in Familie noch zu retten – oder fällt es Kontaktsperren zum Opfer? Im Botanischen Garten in Berlin wurde die Christmas-Garden-Saison jedenfalls gerade eingeläutet – mit Mundschutz.

Die Deutschen sind ein Volk der Vorbeuger. Sie schwören auf gesetzliche Grenzwerte für alles Gesundheitsschädliche, auf strenge Vorschriften zur Gefahrenabwehr, auf staatliche Vorsorge für Alter und Gesundheit – und würden nie trotz Vorwarnung vom Verkehrsfunk direkt in einen Stau fahren.

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Ganz ähnlich ist allerdings gerade die hiesige Corona-Situation: Die Warnungen kamen früh, und es war klar, dass wir ohne Kursänderung am Jahresende wieder in handfesten Problemen stecken.

In den Kliniken droht Personalmangel

Schon sehen wir die Häufung der Warnblinklichter: Die Neuinfektionen erreichen neue Rekordwerte. Das Wachstum verläuft nicht mehr linear, sondern wieder mit einem Reproduktionsfaktor von 1,4 – mehr und mehr Gesundheitsämter drohen am Unterbrechen der Infektionsketten zu scheitern. Längst stecken sich wieder mehr Ältere an. In den Krankenhäusern sind zwar die Intensivbetten nicht ausgelastet, aber es droht Personalmangel.

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Schon verschärft auch die Bundeskanzlerin wieder ihren Ton und appelliert an die Bürger, unnötige Kontakte und Reisen zu vermeiden. Ihre Botschaft klang verzweifelt: Während mancher Ministerpräsident zuletzt feilschte, um größere Einschnitte in ihrem Land zu vermeiden, klang Merkels Appell nach der letzten Chance für ein eigenverantwortliches Gegensteuern der Deutschen.

Die düstere Alternative stellte sie bereits in den Raum: Wenn in den zehn Wochen bis Weihnachten der steile Anstieg der Infektionskurve nicht gebremst wird, ist nach dem Osterfest auch das klassische Weihnachten gefährdet.

Für viele Deutsche dürfte es kaum schmerzvollere Einschnitte geben als ein Dezember ohne Besuch aus anderen Bundesländern und ohne gemeinsames Singen, Beisammensein, Speisen mehrerer Hausstände – sprich: Wenn Enkel und Großeltern sich nicht sehen dürfen. Aber auch verlängerte Winterferien mit Kinderbetreuungsproblemen inklusive oder neuerlicher Heimunterricht, Geschäftsschließungen und Ausgehverbote sind keine besinnlichen Aussichten.

Kontaktsperre an Weihnachten: Muss das echt sein?

Aber muss das wirklich sein? Die Frage lässt sich auf zweierlei Weise stellen. Da sind zum einen die Erfahrungen aus dem Frühjahr: Hamsterkäufe, Schulschließungen, Kontaktsperren und Kliniken mit dem Intensivbettenausbau als einziger Priorität – vieles davon wirkt aus heutiger Sicht überzogen. Das liegt aber vor allem an den Erinnerungen an den Sommer – mit unbeschwerten Reisen, nachgeholten Festen und dem Gefühl, Corona sei halb so schlimm.

Mancher findet deshalb, die Politik könne selbst bei Rekordinfektionszahlen auf allzu strenge Regeln verzichten. Das könnte jedoch ein Trugschluss sein.

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Vielleicht kommt es auf den Versuch an?

Zwar können wir heute tatsächlich besser unterscheiden zwischen wirksamen und überzogenen Maßnahmen. Schulen sind keine Infektionsherde. Nicht jeder Infizierte wird schwer krank. Gefährlicher als Einkaufen sind enge Partys und stundenlanges Einatmen derselben Luft. Daraus müssen wir für die aktuellen Schutzmaßnahmen lernen.

Der Sommer beweist aber nicht, dass die Corona-Regeln unnötig waren – im Gegenteil: Die Kontaktsperren im Frühjahr haben die späteren Lockerungen erkauft.

Nun kann man der Meinung sein, es komme auf den Versuch an: Vielleicht sind 20.000 Neuinfektionen am Tag auszuhalten? Vielleicht überwiegen leichte Verläufe? Nur passt es nicht zum Volk der Vorbeuger, ungebremst aufs Stauende zuzufahren. Neue Umfragen zeigen das: Zwischen 70 und 90 Prozent der Bürger wollen strenge Auflagen.

Das spricht nicht gegen Anti-Corona-Demonstrationen wie an diesem Sonntag in Dortmund, und auch nicht gegen die Polemik, die einzelne Libertäre in großen und kleinen Medien gegen den Vormundschaftsstaat vom Stapel lassen. Auch in der Pandemie darf der Diskurs nicht sterben. Die Querdenker müssen sich nur klarmachen, dass sie für Minderheiten sprechen.

Wenn allerdings die große Mehrheit strenge Regeln will – warum steigen die Infektionen dann überhaupt? Dahinter steckt ein Effekt, den wir aus der Klimadebatte kennen: Der Einzelne hält sich nie für das Problem. Und tatsächlich werden Nachlässigkeiten ja erst in Millionensumme zur Gefahr.

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Viele Probleme waren absehbar

Deshalb macht die Politik es sich zu leicht, wenn sie den einzelnen Bürger in die Pflicht nimmt. Richtig ist: Die Deutschen haben hohe Opferbereitschaft gezeigt. Aber mit Eigenverantwortung allein ist keine Krise abzuwenden. Dafür fehlen dem Einzelnen die Informationen zum aktuellen Stand der Forschung, die Muße und der Durchblick.

Vorausschauend zu planen ist Aufgabe der Politik. Wer jetzt zu kleine Dämme baut, dem gerät in ein paar Wochen alles außer Kontrolle. Das hat sich nach den Sommerferien gezeigt, als sich die Politik durch das absehbare Problem der infizierten Reiserückkehrer improvisieren musste. Und auch dass Herbstferien mit Reisetätigkeit verbunden sind, hätte nicht derart überraschen dürfen.

Die Politik muss in die Offensive kommen: die Gesundheitsämter aufstocken, drohenden Personalmangel auf Intensivstationen abwenden, unbürokratisch bei der Umsetzung von Hygienekonzepten in Gastronomie und Schulen helfen.

Das ist nämlich die zweite Art, nach dem gefährdeten Weihnachtsfest zu fragen: Muss das sein – also, lässt sich das nicht jetzt noch abwenden?

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