Der Weg, der wirklich zum Frieden führt
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Die Sonne strahlt durch eine Fahne der Friedensbewegung: Szene bei einer Kundgebung in der brandenburgischen Stadt Frankfurt (Oder).
© Quelle: Frank Hammerschmidt/dpa
Anhänger der Friedensbewegung haben es nicht leicht in diesem Jahr. Oft werden sie hart angerempelt. Ob sie denn noch immer nicht begriffen hätten, ätzen Kritiker, dass der Putinismus dem Pazifismus soeben das Licht ausgeblasen habe?
„Ich bekomme derzeit so bösartige, diffamierende Beschimpfungen, wie ich es noch nie erlebt habe“, klagt zum Beispiel Hannovers friedensbewegte frühere Bischöfin Margot Käßmann in einem Gespräch mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.
Käßmann gehört zu den Redlichen in Deutschlands pazifistischer Szene. Leute wie sie sind keine Putin-Fans, sie tendieren auch nicht nach rechtsaußen oder werden gar von Moskau bezahlt. Tief in ihrem Inneren waltet etwas Gutes, Idealistisches.
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„Wo soll die Eskalation denn hinführen?“ Margot Käßmann, frühere Bischöfin von Hannover.
© Quelle: Tim Schaarschmidt
Eine Welt ohne Waffen, sagt Käßmann, sei „eine Vision, die ich nicht aufgeben möchte“.
Warum auch? Man kann der Menschheit nur wünschen, dass sie eines Tages zu einer vernünftigen Weltordnung findet und endlich mit etwas anfangen kann, was Hans-Dietrich Genscher einst „Weltinnenpolitik“ nannte. Dazu würde es in der Tat passen, es bei einer bewaffneten Polizei zu belassen und Kriegswaffen aller Art, Massenvernichtungswaffen vorneweg, abzuschaffen.
Das Problem ist nur: Wir sind noch nicht so weit.
Ein Kampf um die Zukunft der Welt
Dummerweise hat Wladimir Putin gerade den schlimmsten Krieg in Europa seit 1945 in Gang gesetzt. Und dieser Krieg ist nicht nur ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Es geht um mehr: einen Clash der Philosophien, mit Auswirkungen rund zum den Globus.
Russland verstößt nicht nur gegen Regeln, es verhöhnt sie. Ukrainische Kliniken werden wie in Syrien oft doppelt bombardiert; die zweite Welle tötet zusammenströmende Helferinnen und Helfer und Rettungsmannschaften. Am Bahnhof von Kramatorsk wurden durch Streubomben einer großen Gruppe wartender Frauen und Kinder Gliedmaßen abgerissen. In Butscha waren die jüngsten weiblichen Vergewaltigungsopfer neutralen UN-Untersuchungen zufolge vier Jahre alt.
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Die doppelseitig beinamputierte Yana Stepanenko, 11, gehört zu den zahlreichen Opfern des russischen Streubombenangriffs auf eine zivile Menschenmenge im Bahnhof von Kramatorsk am 8. April 2022.
© Quelle: AP
Völkerrecht, Menschenrechte, Folterverbote, Friedenspflichten nach der Charta der Vereinten Nationen: Dies alles schnippt Putin weg wie einen Krümel am Daumen. Seinen in Butscha stationierten Einheiten hängte er einen Orden um.
Putin vertraut auf eine teuflische internationale Allianz. Chinas Präsident Xi Jinping, selbst ein Mann mit ungesunden Allmachtsallüren, unterstützt ihn ökonomisch. Die Mullahs im Iran, die gerade reihenweise ihre Kritiker aufknüpfen, helfen ihm militärisch. Und sein Nachbar Alexander Lukaschenko in Belarus, der Regimegegner bei offenem Fenster foltern lässt, um seine Untertanen durch die Schreie zu erschrecken, erlaubt dem russischen Militär neuerdings die Stationierung von Atomraketen an der Grenze zum Nato-Staat Polen.
Dies alles hilft Putin – und macht den Krieg in der Ukraine zu einem Kampf um die Zukunft der Welt.
Auf beiden Seiten sterben die Falschen
Dieser ungewöhnlichen Situation, da haben die Kritiker der Friedensbewegung recht, wird man nicht beikommen durch bloße salbungsvolle Bekenntnisse zum Siebziger-Jahre-Pazifismus.
Zugleich aber haben die Kritiker der Nato recht, wenn sie sagen, dass allein die Lieferung von immer mehr Waffen noch keinen Ausweg aus der gefährlichen Krise markiert. „Wo soll die Eskalation denn hinführen?“, fragt Käßmann – und diese Frage ist berechtigt.
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Kampfpause in der Nähe des "Fleischwolfs": Eine ukrainische Soldatin ruht sich in einem Unterstand in der Nähe von Bachmut aus.
© Quelle: Roman Chop/AP
Im sogenannten Fleischwolf von Bachmut etwa starben in jüngster Zeit Tag für Tag junge Leute in dreistelliger Zahl. Die russische Führung wollte die mindere Qualität ihrer Truppen durch eine höhere Quantität wettmachen. Die ukrainische Führung wiederum setzte auf eine makabre Mathematik des Todes, wonach für einen eigenen Soldaten stets fünf, sechs oder gar sieben russische Soldaten sterben.
Man sollte den Fleischwolf anhalten statt ihn noch schneller rotieren zu lassen. Denn hier sterben auf beiden Seiten die Falschen.
Russland braucht einen Regimewechsel
Wer Frieden will mit Russland, muss – politisch – Moskau ins Visier nehmen. Das Land braucht einen Regimewechsel, und zwar schnell.
Seit Jahrzehnten wird im Westen betont, wie schwer es sei, auf Entwicklungen innerhalb Russlands Einfluss zu nehmen. Fest steht aber, dass es umgekehrt keinerlei Zurückhaltung gab und gibt: Russland hat auf freche Art geholfen, den Nato-Gegner Donald Trump zum US-Präsidenten zu machen, russische Banken haben die Le-Pen-Bewegung in Frankreich unterstützt, und der größte Geldgeber der Brexit-Kampagne, der zwielichtige Minen-Investor Arron Banks, unterhielt auffallend enge Kontakte zur russischen Botschaft in London.
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Kritik an der teuflischen Allianz: Demonstrantinnen in London tragen Masken des russischen Präsidenten Putin und des iranischen Obersten Führers Khameini.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Immer wieder erlaubte es sich Putin, den westlichen Demokratien ins Lenkrad zu fassen. Es wird Zeit, endlich auch mit ihm entsprechend zu verfahren.
Putin muss weg: Alle, die diesen Gedanken unterstützen, verdienen ihrerseits Unterstützung, und zwar mit einer neuen Gangart.
Ein noch immer unterschätztes Schlachtfeld ist das Internet. Wie oft noch will der Westen sich von Putin achselzuckend sagen lassen, die immer neuen Hacks bei westlichen Firmen gingen auf das Konto privater russischer Gruppen, über die der Kreml leider keine Kontrolle habe? Ein Gegenzug könnte darin bestehen, die sechsstellige Zahl regimeferner junger Russen, die ins Ausland geflohen sind, enger zu vernetzen und zu fantasievollen Aktionen in ihrem Heimatland zu ermuntern. Lohnenswert wäre zudem ein Programm, das sich gezielt an russische Offiziere wendet mit dem Versprechen, jene lebenslang zu unterstützen, die sich jetzt gegen Putin wenden.
Nötig ist eine intellektuelle Nachrüstung
Die Auseinandersetzung mit Putin ist jedenfalls nicht allein mit Panzern und Kanonen zu gewinnen. Nötig ist auch eine intellektuelle Nachrüstung. „Es reicht nicht, da allein auf 60er-Jahre-Technologien zu setzen mit Radiosendern wie Radio Free Europe“, mahnte John Bolton, der frühere Nationale Sicherheitsberater der USA, in einem RND-Interview schon vor einem Jahr. „Wir sollten alles tun, um insbesondere den jungen Leuten in Russland auf neue Art Zugang zu Informationen zu beschaffen.“
Wie es aussieht, wurde dieser Teil des Kräftemessens in den vergangenen Monaten vernachlässigt – während zweistellige Milliardenbeträge in Waffenlieferungen flossen. Dabei wäre ein politischer Dreh in Russland nicht nur die humanere, sondern auch die auf lange Sicht effektivere Lösung.
Manche problematisieren den Ruf nach Freiheit und Demokratie als Ausdruck westlicher Arroganz oder gar Übergriffigkeit. In Wirklichkeit aber findet kein Land dauerhaft Frieden, wenn es nicht seinen Tyrannen abschüttelt.
Wo die Opposition mundtot gemacht wird, wo Kritiker in Gefängnissen verschwinden und die Medien vom Staat kontrolliert werden, wächst – Russland hat es gerade eindrucksvoll vorgeführt – immer auch die Kriegsgefahr.
Durch Freiheit zum Frieden
Zu wahrem Frieden gelangt man nur durch Freiheit, durch Gerechtigkeit, durch Bindung der Staatsgewalt ans Recht. Das klingt kompliziert und etwas mühsam. Doch die Anstrengung lohnt sich. Demokratien gehen nicht aufeinander los, sie finden intelligentere Lösungen. Vor allem aber ist ihr Handeln jederzeit transparent. Was aber führen Xi Jinping und die Mullahs in Teheran im Schilde?
Diktatoren sind nicht nur schlimm für die ihnen unmittelbar Unterworfenen, sie sind immer auch ein Sicherheitsrisiko für ihre Nachbarn und für den Rest der Welt.
Wer Frieden will, sollte sich auch für Freiheit einsetzen. Vielleicht könnte dieser Gedanke zu Ostern 2023 Befürworter und Gegner von Waffenlieferungen ausnahmsweise sogar mal zusammenrücken lassen.