G20-Gipfel in Rom: Der Merkel-Scholz-Pakt
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Angela Merkel (CDU) und ihr potenzieller Nachfolger Olaf Scholz (SPD).
© Quelle: Michael Kappeler/dpa-Pool/dpa
Rom. Angela Merkel muss der Welt jetzt eigentlich nichts mehr beweisen. Keinen der bisher 16 Gipfel der großen Industrienationen (G20) hat sie verpasst, alle rankten sich um besondere Dramen und Nöte. Ob weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise, Sorge um den Zusammenbruch von Banken und ihrer Kunden, Spannungen mit Kremlchef Wladimir Putin wegen der Annexion der Krim oder mit US-Präsident Donald Trump wegen dessen Protektionismus – die Regierungschefin von Europas größter Volkswirtschaft wirkte auf die anderen stets wie ein Stabilitätsfaktor. Aber nun – seit Dienstag nur noch geschäftsführend im Amt – setzt die scheidende Kanzlerin dem Ganzen noch die Krone auf.
Ihren 17. G20-Gipfel an diesem Wochenende in Rom bestreitet sie Seite an Seite mit ihrem wahrscheinlichen Nachfolger Olaf Scholz. Das wirkt vor aller Welt wie eine Amtsübergabe der Christdemokratin an den Sozialdemokraten, wie ein Vollzug des Machtwechsels in Deutschland noch bevor die angestrebte Ampelregierung steht und Merkel im Ruhestand und ihre Union gedanklich in der Opposition angekommen ist.
Das hat es bei G20 noch nicht gegeben – und Merkel hat schon viele Amtskollegen kommen und gehen sehen. Man werde tatsächlich eine „gewisse historische Sache“ erleben, heißt es in deutschen Regierungskreisen – dass also die Vorgängerin mit dem möglichen Nachfolger zusammen auftauche.
Und es werde eine besondere Signalwirkung haben: Kontinuität im G20-Prozess. Schöne runde Sache, sagt ein Diplomat. Merkel hatte ja auch schon bekundet, dass sie gut schlafen könne, wenn ein Sozialdemokrat Kanzler sei, in diesem Fall also Scholz. Sie hat ihn zu ihren bilateralen Gesprächen in Rom dazu eingeladen. Bis hin zum Treffen mit US-Präsident Joe Biden.
Scholz selbst, der schon am Freitag in Rom zur vorbereitenden Konferenz der Finanz- und Gesundheitsminister eingetroffen ist, sagt nun: „Viele Länder auf der Welt gucken darauf, was in Deutschland geschieht.“ Sie wollten sich auf Deutschland verlassen können. In der EU, in der Nato bei G7 und G20. „Deshalb ist es ein gutes Kontinuitätssignal, dass die Kanzlerin und ich hier gemeinsam mit den anderen Ländern sprechen können.“
Eine italienische Journalistin fragt ihn nach seinen ersten Prioritäten, wenn er das Kanzleramt übernommen hat. Scholz antwortet wie selbstverständlich: Die Bekämpfung des Klimawandels und der Corona-Pandemie bei wirtschaftlichem Aufschwung. Und was Corona betreffe: Die G20-Staaten müssten dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen auf der Welt geimpft werden. Leider seien die Impfquoten in weiten Teilen der Welt sehr gering.
Ob er nach dem Rückzug von Norbert Walter-Borjans als SPD-Chef der nächste Vorsitzende werden wolle, wird Scholz auch noch gefragt. Antwort: Er konzentriere sich nun auf die Regierungsbildung. Und dann noch dieser Satz: „Ich will gar nicht verhehlen: Wir freuen uns immer noch, dass das Wahlergebnis so ausgefallen ist.“
Vier G20-Gipfel hat der 63-Jährige bisher bestritten. Drei als Bundesfinanzminister, der bei diesen internationalen Treffen immer mit dabei ist, weil große Krisen zunächst oft schneller mit viel Geld als durch politische Errungenschaften gelindert werden können. Für nachhaltige gemeinsame Ergebnisse brauchen die großen Industrienationen in der Regel Jahre.
Das Pariser Klimaschutzabkommen
2017 mussten sie sich mit dem irrlichternden US-Präsidenten Donald Trump plagen, der den Austritt der USA aus dem zwei Jahre zuvor so mühevoll erarbeiteten Pariser Klimaschutzabkommen vorbereitete. 195 Staaten haben es damals unterschrieben. Eigentlich die ganze Welt.
Es setzt das Ziel, dass sich die Erde um nicht mehr als 1,5 Grad erhitzen darf. Der Klimakipppunkt soll verhindert werden – der Moment, von dem an die Erde nicht mehr zu retten sein wird, weil die Menschen ihre Lebensgrundlagen vergiftet und zerstört haben. Allein, es fehlen ambitionierte nationale Aktionspläne – und weitere internationale Verständigungen. So geht es in Rom erneut um das „Wie“.
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Die Sheraps der großen Industrienationen (G20) haben ein Abschlusskommuniqué vorbereitet, das neue Versprechen für mehr Klimaschutz machen soll. Von „sofortigem Handeln“ ist die Rede. Klimaaktivisten, die das seit vielen Jahren einfordern, können es nicht mehr hören. Es klingt so abgedroschen und unglaubwürdig.
Unabhängig davon haben die G20-Staaten unterschiedlichste Pläne, bis wann sie die nötige Klimaneutralität erreichen wollen. Deutschland nennt das Jahr 2045, China 2060. Staatschef Xi Jinping wird gar nicht in Rom erwartet. Er soll zugeschaltet werden. Vertrauliche Gespräche am Rande sind da schwierig. Russlands Präsident Wladimir Putin schickt seinen Außenminister.
Ob ein Kompromiss auf das Jahr 2050 gelingt, ist fraglich. Dabei gilt schon 2050 als gefährlich langer Zeitraum. Die G20-Staaten sind übrigens für mehr als 75 Prozent aller Emissionen verantwortlich.
Die Crux des großen Gipfels: Die Staats- und Regierungschefs geben lediglich ein Signal für das Weltklimatreffen (COP26), das am Sonntag im schottischen Glasgow beginnt. Dort soll beraten werden, wie das im Pariser Klimaabkommen formulierte Ziel erreicht werden kann, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Sechs Jahre nachdem genau das beschlossen wurde.
Biden und die Kürzungen beim Sozial- und Klimapaket
US-Präsident Biden hat seine geplanten Investitionen in Soziales und Klimaschutz übrigens gerade halbiert. Statt 3,5 Billionen soll es noch Ausgaben von 1,75 Billionen US-Dollar geben. Biden konnte sich bei den eigenen Demokraten nicht durchsetzen.
Das zweite große Thema in Rom ist die Corona-Pandemie. Die armen Länder sind auf Impfstofflieferungen aus den reichen Staaten angewiesen und auf Finanzhilfen zum Aufbau von Produktionsstätten. Entwicklungsorganisationen fordern die reichen Industrienationen zu mehr Impfgerechtigkeit auf und zur Freigabe der Patente.
Erst 1,8 Prozent der Bevölkerung in armen Staaten seien geimpft – gegenüber 63 Prozent in reichen Ländern, beklagen die Organisationen. Niemand sei sicher, solange nicht alle sicher seien, habe es zu Beginn der Pandemie geheißen. Das zielt auch auf Merkel, die das so formuliert hat.
Eine faire Verteilung der Impfstoffe gibt es aber noch nicht. Noch so ein gebrochenes Versprechen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) strebt an, bis zum Jahresende 40 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen. Das gilt als unrealistisch. Bis Mitte 2022 sollen es mindestens 70 Prozent sein.
Die Mehrheit der G20-Staaten will eine Aussetzung der Patente, während vor allem Deutschland, die Europäische Union und Großbritannien das ablehnen. In deutschen Regierungskreisen wird das verteidigt. Ziel sei, Versorgungssicherheit für Entwicklungsländer zu bekommen. Dort müssten Produktionsstätten entstehen. Dafür müsse aber nicht der Patentschutz gelockert werden. Dafür müssten vielmehr Kapazitäten aufgebaut und Technologietransfer ermöglicht werden. Eingriffe in den Patentschutz würden dazu führen, dass Unternehmen in Zukunft weniger in Innovationen investieren.
Zurück zu Scholz. Seinen ersten G20-Gipfel hat der Sozialdemokrat nicht als Finanzminister, sondern als Erster Bürgermeister Hamburgs erlebt. Er wird ihn ewig in schlechter Erinnerung behalten. 2017 traf sich die Welt an der Elbe und während Scholz und Merkel Beethovens Neunte in der Elbphilharmonie genossen, legten gewalttätige Demonstranten das nahegelegene Schanzenviertel in Schutt und Asche.
Ausgerechnet vom bisher einzigen G20-Gipfel in Deutschland gingen Bilder der Zerstörung um die Welt, die obendrein noch vom politischen Drama um die Destabilisierung des multilateralen Treffens durch den auf Abschottung sinnenden Donald Trump ablenkten. Brennende Autos von Anwohnern und Lebensgefahr für Polizisten in der Hansestadt, wo Merkel geboren wurde und Scholz regierte.
Scholz sagt, hätte es ein Todesopfer gegeben, wäre er zurückgetreten. Es war für ihn aber kein Rücktrittsgrund, dass er – wie er damals selber sagte – bedauerlicherweise die Bürgerinnen und Bürger nicht schützen konnte. Sonst wäre er jetzt nicht in Rom. Bei seinem fünften G20-Gipfel. Wieder an der Seite von Merkel. Die scheidende Kanzlerin und der wahrscheinliche Kanzler. Die Staats- und Regierungschefs werden in Rom gespannt beobachten, was banal klingt und doch für die Welt entscheidend ist: deutsche Kontinuität.