Grüne Atomkraft, grünes Erdgas: Was Kanzler Scholz will und was nicht – ein Faktencheck

Schummelt Olaf Scholz beim Klimaschutz? Ein Faktencheck.

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Berlin. Die EU-Kommission hat am 31.12.2021 den Entwurf ihrer Investitionskriterien für die Einstufung von Energiequellen als nachhaltig veröffentlicht.

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Strittig war bislang, ob Atomkraft ein grünes Label erhält, wie Frankreich und eine Mehrheit anderer Mitgliedstaaten fordern. Und ob Erdgas ebenfalls dazugehören wird, wie Deutschland es – zumindest übergangsweise – will.

In dem seit 31. Dezember 2021 vorliegenden Entwurf der Kommission werden Atomkraft für 20 Jahre und Erdgas für zehn Jahre als Übergangstechnologien vorgeschlagen. Bislang gibt es keine Einigung darüber.

Der Konflikt spaltet jedoch nicht allein die EU in Befürworter und Gegner. Auch in der neuen Bundesregierung und in den Regierungsfraktionen zeichnen sich Auseinandersetzungen ab.

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Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future wirft Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit mehreren Tagen unter dem Hashtag #OlafSchummelt im Kurznachrichtendienst Twitter vor, „dem EU-Vorschlag zuzustimmen, Erdgas als ‚grüne‘ Energie zu labeln. „Was ein Wahnsinn“, schreibt Neubauer, die selbst Grünen-Mitglied ist.

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Was ist dran an den Vorwürfen, und wie ist die aktuelle Lage? Ein Überblick:

Was bedeutet EU-Taxonomie?

Die Taxonomie ist ein EU-Regelwerk, in dem definiert wird, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften. Dies soll dazu beitragen, dass Investoren wie Banken und Versicherungen auf dem angestrebten Weg der EU zur Klimaneutralität bis 2050 erkennen, welche Investments wirklich nachhaltig sind. So sollen Finanzströme verstärkt in grüne Technologien geleitet werden. Die Taxonomie gilt als einer der wichtigsten Bausteine des Green Deals innerhalb der Europäischen Union.

Welche Kriterien müssen erfüllt werden?

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat die Kriterien so zusammengefasst: Prinzipiell gelte, dass eine wirtschaftliche Aktivität, etwa in eine neue Produktionsanlage zu investieren, einem von sechs Umweltzielen dienen und keinem widersprechen darf. Diese sind:

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  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  • Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

Warum wird jetzt über Atomkraft und Erdgas diskutiert?

Frankreich will die Atomkraft als grün einstufen lassen. Es setzt traditionell auf Atomenergie und will deren Erzeugung sogar ausbauen. Präsident Emmanuel Macron hat also ein großes Interesse daran, private Investitionen in Nuklearenergie zu erleichtern. Kernkraft mache die EU unabhängig von Lieferanten fossiler Brennstoffe und sei überdies klimafreundlich, so die Argumentation in Paris.

Deutschland will Erdgas als grün erklären, weil das Land durch die Abschaltung der letzten AKW und den angestrebten Kohleausstieg bis spätestens 2038 die entstehend Lücke kaum mit erneuerbaren Energien wird füllen können. Die Lücke kann nach Berechnungen mehrerer Studien nur geschlossen werden, wenn bis 2030 Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 15 bis zu 40 Gigawatt entstünden. Das wären, je nach Größe, bis zu 140 Kraftwerke mit jeweils bis zu sechs Jahren Bauzeit.

Außerdem steht die Pipeline Nord Stream 2 vor ihrer Genehmigung.

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Ist Atomkraft nachhaltig?

Nein. Bei ihr sind nicht die Emissionen das Problem, sondern die schon Jahrzehnte ungeklärte Frage, was mit dem Atommüll passieren soll.

Ist Erdgas nachhaltig?

Genauso wenig wie Kohle, denn die bei der Energiegewinnung frei werdenden Gase wie CO₂ belasten das Klima gewaltig.

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Was will Olaf Scholz?

Die Bundesregierung unter Kanzler Scholz, der sich im Wahlkampf als Klimakanzler plakatieren ließ, will in erster Linie Zeit gewinnen. Der Anteil Erneuerbarer am Bruttostromverbrauch fiel 2021 von 46 auf 42 Prozent. So ist das von den Grünen gewünschte Vorziehen des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 in Gefahr.

Scholz sagte jüngst, dass am Ende die Nationalstaaten selbst entscheiden müssten, wie sie in die emissionsfreie Zukunft gehen wollten. Ein Sprecher der Bundesumweltministerin sagte an diesem Mittwoch, es sei klar, dass Gas eine Übergangstechnologie sein und deren Einsatz reduziert werden müsse, um die Klimaziele zu erreichen.

Was heißt Brücken- oder Übergangstechnologie?

Erdgas zur Energiegewinnung soll den Weg zur Klimaneutralität und der alleinigen Energieerzeugung durch Erneuerbare „überbrücken“. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) unterstützt dies: „Es handelt sich bei der Taxonomie nicht um ein grünes Etikett für Erdgas, sondern um eine Einstufung von Gaskraftwerken als nachhaltig, wenn sie mittel- und langfristig mit Wasserstoff und damit klimaneutral betrieben werden können“, sagt Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae.

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Ist das unumstritten bei den Grünen?

In der Partei rumort es, und es wird die Ablehnung der Grün-Einstufung von Atomkraft nach vorn gestellt. Das ist allerdings unstrittig in der Koalition. Beim Greenwashing von Erdgas ist die Mehrheit der grünen Regierungsmitglieder und Abgeordneten kleinlauter.

„Die Vorschläge der EU-Kommission verwässern das gute Label für Nachhaltigkeit“, erklärte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck am Samstag. Es sei falsch, ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren. „Es ist ohnehin fraglich, ob dieses Greenwashing überhaupt auf dem Finanzmarkt Akzeptanz findet.“ Habeck wies darauf hin, dass die EU immerhin einen Übergangscharakter von Erdgas hin zu Wasserstoff festschreiben wolle. „So müssen neue Gaskraftwerke schon jetzt auf Wasserstoffbetrieb ausgerichtet werden; ab 2035 sind sie noch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas zu betreiben.“

Der grüne EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer spricht von einer Bewährungsprobe der Ampel. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger fordert glasklar von Olaf Scholz: „Erdgas darf nicht als nachhaltig klassifiziert werden.“

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Was sagt die FDP als dritter Koalitionspartner?

Die Liberalen sind auf der Linie von Scholz. „Es wäre ein Treppenwitz, über die Taxonomie die notwendigen Investitionen in neue Gaskraftwerke zu verhindern und damit am Ende die Laufzeiten der Kohlekraftwerke zu verlängern“, sagt FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Lukas Köhler. „Und schließlich haben sich ja auch im Koalitionsvertrag alle drei Parteien eindeutig zu Gas als Brücke in eine klimaneutrale Stromversorgung bekannt.“

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Wie könnte ein Kompromiss in der EU-Taxonomie aussehen?

Nach jetzigem Stand läuft es darauf hinaus, dass Frankreich seinen Willen in Sachen Atomkraft innerhalb der EU-Taxonomie durchsetzt – auf 20 Jahre befristet. Solange dauert etwa der Bau eines Atomkraftwerks von der Planung bis zur Fertigstellung.

So geht wahrscheinlich auch der Streit um das Erdgas aus, das nun laut Entwurf zehn Jahre befristet einen „Grün-Anstrich“ erhalten soll. Der Bau eines Gaskraftwerkes dauert in etwa sechs Jahre.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ließ schon länger durchblicken, dass Atomkraft und Erdgas zumindest für eine Übergangszeit als nachhaltige Energiequellen gelten sollten.

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Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katharina Beck, deutet an, in welche Richtung die Reise geht: „Da eine politische Einigung, sowohl Atom als auch Gas aus der Taxonomie auszunehmen, leider sehr unwahrscheinlich ist, müsste man diese Energieformen durch Abstufungen zumindest klar als weniger grün labeln oder eine kurze zeitliche Befristung vorgeben – oder das kombinieren“, schrieb sie auf Twitter.

Also, schummelt Olaf Scholz nun in Sachen Erdgas?

Nein, Scholz hatte auch im Wahlkampf betont, dass die Energieversorgung in Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität immer gesichert sein müsse. Erdgas sei dafür eine Möglichkeit. Scholz hat nie behauptet, dass Erdgas eine grüne Technologie zur Energiegewinnung sei.

Insofern hat die Partei von Klimaaktivistin Luisa Neubauer das größere Problem, wenn sie dem Brüsseler Entwurf zustimmen sollte.

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