Grüne Delegierten-Konferenz: Eine Partei muss sich neu finden
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Annalena Baerbock und Robert Habeck beim Grünen-Parteitag.
© Quelle: imago images/Future Image
Parteien sind ja eine sonderbare Mischung. Sie sind Glaubensgemeinschaften, Interessenvertretungen und Karrierenetzwerke. All das spiegelt sich auch in Parteitagen wider. Dabei gibt es wichtige und weniger wichtige. Der Grünen-Parteitag war zweifellos ein wichtiger. Denn er wählte mit Ricarda Lang, der Politischen Bundesgeschäftsführerin Emily Büning und Omid Nouripour zwei Frauen und einen Mann an die Spitze, die sich ebenso neu finden müssen wie die an die Regierung gewechselte Partei insgesamt. Das ist keine leichte Übung.
Einerseits werden Annalena Baerbock und Robert Habeck als Kabinettsmitglieder die öffentlich bestimmenden Figuren bleiben. Unter ihnen ist Habeck zwar nicht der neue Joschka Fischer, vor dem größere Teile der Grünen während der ersten Regierungsbeteiligung in Ehrfurcht erstarrten – und der, wenn sie nicht erstarrten, schon mal etwas nachgeholfen hat.
Starker Vizekanzler Robert Habeck
Allerdings hat der Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck sein Vizekanzleramt zur Machtzentrale ausgebaut und dabei seine wichtigsten Mitarbeiter mitgenommen. Ohnehin ist er – nach jetzigem Stand – der natürliche Kanzlerkandidat für das Jahr 2025. Ironie der Geschichte: Zwischen seinem Ministerium und der grünen Parteizentrale liegen Luftlinie 500 Meter; es ist auf der anderen Straßenseite.
Andererseits können sich Lang und Nouripour die Butter nicht völlig vom Brot nehmen lassen. Eine Parteiführung, die nur Direktiven aus der Regierung entgegennähme, würde schnell als schwach und damit verzichtbar gelten. Überdies gibt es noch ein drittes Machtzentrum: die Bundestagsfraktion. Sie ist einstweilen zentraler als die auf 125.000 Mitglieder angewachsene Partei. Denn ohne die Fraktion können jene Gesetze nicht beschlossen werden, die sie in den Ampelministerien erarbeiten. Auf diesem Parcours eine Ideallinie zu finden wird für das neue Spitzenduo schwer.
Ampelrechtfertigungen wirken wie ein Symptom der Angst
Seltsam mutete auf dem Parteitag an, dass manche Reden wie Rechtfertigungen klangen dafür, dass die Grünen überhaupt in die Regierung mit SPD und FDP eingestiegen sind. Gewiss haben sie manches Ziel verfehlt, das Verkehrsministerium zu holen etwa oder ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen durchzusetzen. Trotzdem kann sich das Erreichte am Ende sehr wohl sehen lassen. Die Rechtfertigungen wirken wie ein Symptom von Angst, dass es mit der Ampel doch schlechter ausgeht als erhofft.
Immerhin, Omid Nouripour, nach Cem Özdemir der zweite Parteichef mit dem berühmten Migrationshintergrund, ist selbstbewusst genug für den Witz, dass er besser koche als Lars Klingbeil und Friedrich Merz. Und Robert Habeck hat hinter all den Jacketts und Krawatten, die er neuerdings tragen muss, noch ein paar alte Hemden gefunden, die sich auf Grünen-Parteitagen herzeigen lassen. Der besagte Joschka Fischer schien seinerzeit bisweilen im Dreiteiler zu übernachten. Die Gefahr besteht bei seinem Nachfolger nicht.