Grünen-Fraktionschef Hofreiter: „Schauen, welche Straßenprojekte noch sinnvoll sind“
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Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter würde nach einem Wahlsieg seiner Partei alle Straßenbauprojekte überprüfen.
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Herr Hofreiter, Sie sind vor einigen Wochen Vater geworden. Fraktionsvorsitz und Kinderbetreuung – wie lässt sich das vereinbaren?
Da hilft derzeit das Homeoffice. Der Kleine ist inzwischen längst Videokonferenzprofi. In der ersten Zeit gab es auch wenige Sitzungswochen im Bundestag. Aber ich habe versucht, etwa an den namentlichen Abstimmungen teilzunehmen. Und weniger Schlaf gibt es sowieso.
Wie soll das im Bundestags-Wahlkampf laufen?
Es ist noch nicht klar, wie der Wahlkampf wegen der Corona-Lage dann überhaupt stattfindet. Wenn es Präsenzveranstaltungen gibt, kann es sein, dass ich mehr Termine mache, die in einem Tagesausflug von München oder Berlin erreichbar sind.
Abgeordnete können keine Elternzeit nehmen. Sollte man das ändern?
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Sie haben nach der Kür ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in einer Umfrage erstmals die Union überholt. Wie groß ist die Gefahr des Überschnappens?
Umfragen sind immer nur eine Momentaufnahme. Wir haben inzwischen große Übung darin, dass es mal rauf und mal runter geht. Wir gehen mit sehr viel Optimismus in den Wahlkampf, aber auch mit sehr viel Demut. Schon der Wahlkampf wird kein Spaziergang. Und wenn wir danach die Regierungspolitik gestalten können, was wir in jedem Fall wollen, stehen wir vor einer Herkulesaufgabe. Denn der Veränderungsbedarf in Deutschland ist riesig.
Co-Parteichef Robert Habeck bezeichnet es als persönliche Niederlage, nicht Kanzlerkandidat geworden zu sein. Wie bewerten Sie das?
Ich denke, Enttäuschung zu zeigen, ist einfach ein Ausdruck von Ehrlichkeit und auch moderner Männlichkeit. Und natürlich ist eine solche Entscheidung nicht leicht. Da wäre es vielleicht auch wenig glaubwürdig zu sagen: „Mich ficht das alles nicht an.“ Es zeugt zugleich von enormer Stärke, dass er die Entscheidung voll und ganz mitträgt. Robert und Annalena haben gemeinsam über die Jahre zuvor gezeigt, was Verantwortung für das Ganze bedeutet. Sie verkörpern eine moderne Führung. Und das werden sie in den kommenden Monaten auch zeigen. Die beiden und ihr Umgang miteinander sind der beste Beweis, dass wir es ernst meinen mit einer neuen politischen Kultur.
Wen hätten Sie sich denn als Kanzlerkandidaten der Union gewünscht?
Für uns ist das nie entscheidend gewesen, wer bei der Union antritt. Wir gratulieren Armin Laschet zur Kanzlerkandidatur. Was allerdings schon auffällt: In seiner Antrittsrede hat er das Wort Klimaschutz nicht ein einziges Mal erwähnt. Das ist krass. Es ist schließlich die größte Zukunftsaufgabe. Angela Merkel ist da weiter im Verständnis als Armin Laschet.
US-Präsident Joe Biden hat zu einer großen Klimakonferenz geladen. Ist das mehr als Show?
Ich bin erst mal froh, dass die USA zurück am Verhandlungstisch für mehr Klimaschutz sind. Show könnten wir uns nicht mehr leisten, wir brauchen eine neue echte Aufbruchsstimmung. Es wäre ein Erfolg, wenn alle Teilnehmer sich darauf verpflichten würden, bei der Emissionsreduktion zusammenzuarbeiten und alle internationalen Vereinbarungen klimafreundlich zu gestalten. Das geht von Handelsabkommen bis Industriekooperationen. Das Traurige ist, dass die EU und allen voran Deutschland nicht genug zu dieser Konferenz beitragen. Im Gegenteil, sie schwächen in diesen Tagen gerade die europäischen Klimaziele und den Green Deal ab. Und hier in Deutschland kriegen es Union und SPD nicht mal hin, über höhere Ausbauziele der Erneuerbaren überhaupt nur zu reden.
Die Grünen wollen den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen, um das Klimaziel zu erreichen. Der Kompromiss ist mühsam verhandelt worden. Wie wollen Sie noch mal alle unter einen Hut bringen?
Die erneuerbaren Energien entwickeln sich schnell. Durch ihren Ausbau können wir Kohle schnell überflüssig machen. Mit einer Reform des Europäischen Emissionshandels wollen wir ebenfalls mehr Tempo erzeugen. Schon jetzt sind Kohlekraftwerke häufig in den roten Zahlen. Wichtig ist, dass der Übergang gelingt, dass die Regionen beim Strukturwandel und die Menschen, die dort arbeiten, unterstützt werden.
Autos mit Verbrennermotoren sollen nach Plänen der Grünen ab 2030 nicht mehr zugelassen werden. Aber Batterien sind auch nicht gerade umweltfreundlich.
Ein E-Auto, das mit Ökostrom fährt und eine recycelbare Batterie hat, hat auf jeden Fall eine bessere Ökobilanz als eines mit Verbrennermotor. Entscheidend ist eine stärkere verpflichtende Recyclingquote für metallische und mineralische Rohstoffe. Da werden für Autos und andere technische Geräte gigantische Mengen verbraucht. In den Ländern, in denen die Rohstoffe abgebaut werden, verursacht das riesige Probleme: Bevölkerung wird vertrieben, Grundwasser und Wälder werden zerstört. Da müssen wir dringend ran.
Eine Pkw-Maut könnte auch dazu führen, dass die Leute weniger Auto fahren – abgesehen von Einnahmen für die Infrastrukturfinanzierung.
Wir wollen den CO₂-Preis wirksamer gestalten, das ist ein wichtiges Instrument für den Klimaschutz. Eine Pkw-Maut steht nicht auf der Tagesordnung.
Würde ein grüner Verkehrsminister oder eine Verkehrsministerin noch Autobahnen bauen?
Wir müssen uns natürlich anschauen, welche der 1500 Straßenprojekte des Bundesverkehrswegeplans noch sinnvoll sind. Schon jetzt hat Deutschland das dichteste Straßennetz aller Flächenländer, gemeinsam mit den Niederlanden. Das muss an vielen Stellen erstmal saniert werden. Wichtig finde ich, dass auch das Schienennetz endlich wieder erneuert und ausgebaut wird. Und für moderne Autos brauchen wir ein gutes 5G-Netz, damit sie die vorhandenen Straßen besser ausnutzen können. Wenn man Geld ausgibt, sollte man gerade auch in Glasfasernetze investieren.
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Frankreich will Kurstrecken-Inlandsflüge verbieten. Das müsste zu ihrer Klimaagenda passen.
Wir wollen Inlandsflüge durch den Ausbau der Bahn überflüssig machen.
Aber bis Bahnstrecken ausgebaut sind, dauert das.
Das stimmt. Im Moment dauert es im Schnitt Jahrzehnte von der Planung bis der erste Zug fährt. Weil Projekte nur scheibchenweise finanziert werden, kann man nicht richtig los bauen. Besser wäre es, wie etwa in der Schweiz, dass Projekte anfangs ein Budget in Form eines Fonds bekommen. Das Geld kann dann flexibel abgerufen werden. Damit kann die Bauzeit drastisch verkürzt werden, und kostengünstiger wird es dadurch auch.
Außerdem müssen wir unser komplexes Planungsrecht vereinfachen. Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren müssen besser zusammengefügt werden. Und wir müssen eine umfassende ernsthafte Bürgerbeteiligung an den Beginn der Verfahren setzen. Das vermeidet Streit kurz vor Ende der Umsetzung, was wiederum Zeit kostet. Und natürlich braucht es auch mehr Personal in den Genehmigungsbehörden.
Funktioniert das gestraffte Verfahren auch bei anderen Projekten, etwa Windrädern?
Es geht darum, den Ausbau der Windenergie naturverträglich zu beschleunigen, ohne den Artenschutz zu gefährden. Das Artensterben ist nach der Klimakrise die größte Bedrohung. Und wenn die Klimakrise eskaliert, weil wir die Energiewende nicht schaffen, kollabiert auch der Artenschutz. Wir wollen bei der naturverträglichen Planung von Windkraftanlagen weg vom Einzeltierschutz und uns auf den langfristigen Erhalt der Population geschützter Arten konzentrieren.
Die Grünen planen ein 50-Milliarden-Investitionsprogramm. Das soll vor allem mit einer Reform der Schuldenbremse finanziert werden, für die aber eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig ist. Wie wollen Sie die Union überzeugen?
Deutschland investiert derzeit unter dem EU-Schnitt. Wir drohen im internationalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Gewerkschaften und Industrie sind hochbesorgt. Und die Zinsen liegen gleichzeitig bei null. Das sind gute Argumente.
Schon jetzt werden Investitionsmittel des Bundes oft nicht abgerufen.
Das liegt unter anderem daran, dass die Antragsverfahren viel zu kompliziert sind. Da sagen manche in der Kommune dann: Wir holen uns das Geld lieber bei der Kreissparkasse, das ist einfacher. Oder lassen es ganz bleiben.
Noch eine ihrer Finanzierungssäulen ist, Steuerhinterziehung und Steuerflucht zu reduzieren. Wie soll das gehen?
Es hat mit Unwillen zu tun, dass das nicht läuft. Deutschland sollte den Vorschlag von Joe Biden massiv unterstützen, Unternehmen mit einem Mindeststeuersatz von 21 Prozent zu belegen. Dann würde sich Steuerflucht nicht mehr lohnen. Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung da blockiert. Ich fordere hier insbesondere die Union auf, sich zur transatlantischen Partnerschaft zu bekennen.
Diese Woche hat der Bundestag die Verschärfung der Corona-Beschränkungen beschlossen. Warum haben sich die Grünen enthalten?
Es ist zwar gut, wenn es jetzt endlich bundeseinheitliche Regeln gibt. Aber dieses Gesetz reicht nicht aus, um die Zahlen schnell nach unten zu bringen. Es ist völlig unverständlich, dass die Regierung sich nicht traut, verpflichtende Tests für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzuschreiben. Wenn Schulkinder sich testen können, wird man das doch zweimal in der Woche im Betrieb auch schaffen.
Welche der beiden derzeitigen Regierungsparteien hätten Sie in einer Koalition am liebsten an der Seite?
Ich glaube, eine grün-rote Koalition wäre das Beste für unser Land. Aber es gibt Fragezeichen, ob es dafür langen wird. Über Koalitionen entscheiden ja maßgeblich die Wählerinnen und Wähler. Es ist wichtig, dass die demokratischen Parteien miteinander gesprächsfähig sind. Und am Ende wird es darum gehen, mit wem man dann am meisten umsetzen kann.