Bundesinnenministerin und Spitzenkandidatin: Nancy Faeser vor dem Tanz auf zwei Hochzeiten
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Berlin. Die Spatzen pfeifen es seit Monaten von den Dächern. Am Freitag soll es amtlich werden: Bei einer SPD-Veranstaltung im hessischen Friedwald wird Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl im Herbst erklären. Immerhin hatte ihre ebenfalls aus Hessen stammende Parteifreundin und damalige Kabinettskollegin Christine Lambrecht schon im Mai vorigen Jahres gesagt, sie setze darauf, dass Faeser „erste Ministerpräsidentin in Hessen“ werde. Das fand die damals gar nicht lustig.
Ebenfalls wahrscheinlich war bisher, dass die 52-Jährige ihr Amt nicht niederlegt, sondern den Wahlkampf als Innenministerin bestreitet und nur im Falle eines Wahlerfolgs erneut in die Landespolitik wechselt, aus der sie 2021 kam – sprich: als Regierungschefin. Dies scheint nach neuesten Berichten nun nicht minder gewiss zu sein und die Zustimmung von Kanzler Olaf Scholz zu finden. Es ruft freilich Kritiker auf den Plan.
Grüner Unmut
„In diesen herausfordernden Zeiten, wo in Europa Krieg herrscht, wo die Sicherheitsbehörden mit ‚Reichsbürgern‘, Rechtsextremisten und vereitelten Terroranschlägen alle Hände voll zu tun haben, wäre es unverantwortlich, neben einem Wahlkampf auch das Innenministerium führen zu wollen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, am Dienstag. Der CDU-Politiker fügte hinzu: „Deshalb fordere ich sie, wenn sie Spitzenkandidatin wird, zum Rücktritt auf.“
Die CDU stellt in Hessen mit Boris Rhein den Chef einer schwarz-grünen Koalition. Er hat jedoch erst vor acht Monaten den langjährigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier beerbt, sodass ein Amtsbonus, der sich für Ministerpräsidenten bei Wahlen oft auszahlt, noch nicht entstehen konnte.
Das Innenministerium „eignet sich sicher nicht für Teilzeitführung“
Gegenwind kommt auch von Faesers Koalitionspartnern in Berlin. So sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Gerade das Bundesinnenministerium steht immer wieder stark im Fokus und eignet sich sicher nicht für Teilzeitführung. Allein wenn man sich anschaut, was es im Innenministerium aktuell zu tun gibt, von der Novelle des Bundespolizeigesetzes bis hin zum Einwanderungsrecht, ist es nicht vorstellbar, all das aus dem Wahlkampfauto heraus auf den Weg bringen zu wollen.“ Außerdem würde ständig die Frage gestellt, in welcher Rolle Frau Faeser gerade agiert und ob Interessenkonflikte entstehen.
Die Grünen-Politikerin mahnte daher: „All diese Aspekte werden sicherlich gewürdigt, bevor eine Entscheidung bekannt gegeben wird.“ Das klang wie die Aufforderung, entweder auf die Kandidatur zu verzichten – oder auf das Amt.
Abgesehen davon, dass sich die Argumente von CDU und Grünen ähneln, hat die Ökopartei in Hessen ein eigenes Eisen im Feuer – in Gestalt des Vizeministerpräsidenten und Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir. Der 52-Jährige zog 1995 erstmals in den Landtag von Wiesbaden ein und ist damit eine Art Haudegen der Landespolitik. Al-Wazir, durch und durch pragmatisch, kann sich Chancen ausrechnen, Rhein zu verdrängen – vor allem wenn Faeser doch nicht antreten sollte oder sich durch einen Tanz auf zwei Hochzeiten angreifbar machen würde.
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Keine Alternative
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, Mathias Wagner, sagte dem RND jedenfalls: „Ob die Doppelbelastung als Bundesinnenministerin und Spitzenkandidatin leistbar ist, das muss erst die Zukunft zeigen. Es wäre auf jeden Fall eine erhebliche Doppelbelastung.“ Als Innenministerin habe Faeser ohnehin „viel Dampf und wenig Ergebnisse“ vorzuweisen, so Wagner. Wirtschaftsminister Al-Wazir habe hingegen „gezeigt, dass er regieren kann“.
Faeser, die SPD-Landesvorsitzende ist und zu der es als Spitzenkandidatin in der eigenen Partei keine echte Alternative gibt, lässt bis Freitag alles offen. Offen ist derweil auch der Wahlausgang. In der letzten validen Umfrage Mitte Oktober rangierte die hessische CDU bei 27 Prozent, Grüne und SPD kamen auf jeweils 22 Prozent. Da ist noch vieles möglich.