Interview zum EU-Gipfel

EU-Politiker Weber: „Die Atomkraftwerke in Deutschland müssen länger laufen“

Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei EVP.

Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei EVP.

Brüssel. Manfred Weber ist einer der einflussreichsten konservativen Politiker in der EU. Der 49 Jahre alte Niederbayer führt die größte Fraktion im Europaparlament. Seit einigen Wochen ist er auch Chef der Europäischen Volkspartei (EVP). Dem Bündnis gehören 81 konservative Parteien aus ganz Europa an, darunter auch CDU und CSU. Zudem ist Weber Vizevorsitzender der CSU.

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In den nächsten Tagen entscheidet sich, ob die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten bekommt. Treibt Sie die Sorge um, dass einer der 27 Regierungschefs der EU ausscheren könnte und das Ganze scheitert?

Ich gehe fest davon aus, dass der EU-Gipfel die Ukraine willkommen heißt. Die Alternative ist nicht denkbar für mich. Ich will mir gar nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn wir ein Land, das für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpft und einen Blutzoll zahlt, jetzt zurückweisen würden.

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Der Kandidatenstatus ist zunächst nicht mehr als ein symbolischer Akt. Danach kann es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bis zum Beitritt dauern.

Die Ukrainer wissen genau, dass sie einen sehr langen Prozess vor sich haben. Und es muss klar sein, dass es keine Sonderbehandlung geben wird, auch wenn sich die Ukraine im Krieg befindet. Die EU-Kriterien müssen schon genau erfüllt werden. Ich bin allerdings optimistisch, dass das gelingen wird. Sobald der Krieg beendet ist, werden die Ukrainer die Kraft finden, umfassende Reformen anzupacken. Dafür verdienen sie Unterstützung.

Scholz, Macron und Draghi fordern EU-Kandidatenstatus für Ukraine

Deutschland, Frankreich und Italien empfehlen einen EU-Kandidatenstaus für die Ukraine und Moldau.

Solange Krieg in der Ukraine herrscht, wird es keine Beitrittsverhandlungen geben. Leisten denn die EU-Staaten ausreichend militärische Hilfe, damit sich die Ukraine gegen die russischen Aggressoren zur Wehr setzen kann?

Nein. Das tun sie überwiegend nicht. Die Ukraine braucht viel mehr, als ihr die EU-Staaten geben. Die Führungsmacht Deutschland fällt leider noch zu sehr aus. Zwar sind jetzt einige Panzerhaubitzen aus Bundeswehrbeständen in die Ukraine geliefert worden. Aber das hat Monate gedauert. Wir müssen militärisch noch deutlich mehr Unterstützung leisten. Wer verhindern will, dass die Ukraine zerstört wird, der muss der Ukraine die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Die Grundsatzfrage ist doch: Wie erreichen wir den Frieden? Manche deutsche Sozialdemokraten wollen zurück zum Appeasement gegenüber Putin. Das ist falsch. Wir müssen dem Aggressor im Kreml vielmehr noch entschiedener entgegentreten. Das geht mit mehr Waffen für die Ukraine.

Könnte die Bundeswehr denn mehr Waffen liefern?

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Ich denke, es kann mehr geleistet werden. Wir könnten nach genauer Prüfung einige Waffen, die als Reserve für die Landesverteidigung vorgesehen sind, in die Ukraine schicken. Dort finden die Kämpfe gegen die russische Armee statt. Dort werden die Waffen gebraucht, die bei uns derzeit eben nicht gebraucht werden.

Der Kreml dreht am Gashahn und will Energie als Waffe in diesem Krieg verwenden. Was halten Sie von der Debatte um eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken, wie sie gerade in Deutschland geführt wird?

Wir müssen uns ehrlich machen: Auf Europa kommen schwierige Zeiten zu. Es darf keine Tabus geben. Wenn im nächsten Winter Gas fehlen sollte, dann müssen wir jetzt beginnen, alle Ressourcen zu nutzen. Für mich ist deshalb klar: Es müssen mehr Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen, und die Atomkraftwerke in Deutschland müssen länger laufen.

Die Ukraine braucht Geld, um den Staatsapparat zu finanzieren. Wie kann die EU helfen?

Die EU sollte die Ukraine und die Republik Moldau so schnell wie möglich in ihrem Wirtschaftsraum einbinden. Wir müssen auch enger bei der Energiesicherheit zusammenarbeiten.

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Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel posiert  in ihrem Buero fuer ein Foto. Berlin, 15.06.2022

„Jetzt bin ich frei“

Sechs Monate nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft hat Angela Merkel das RedaktionsNetzwerk Deutschland zu dem ersten Interview in ihrem neuen Büro empfangen. In dem sehr persönlichen Gespräch blickt die Bundeskanzlerin a.  D. zurück auf ihre Russland-Politik und die Entscheidung für Nord Stream 2. Und sie erklärt, warum sie nie offen Partei für die Ostdeutschen ergriffen hat.

Ist das eine Art privilegierte Partnerschaft unterhalb der Stufe der Mitgliedschaft?

Die Ukraine, Moldau, aber auch die Westbalkanstaaten sollten Schritt für Schritt an die EU herangeführt werden. Wir könnten zum Beispiel sofort unsere Erasmus-Stipendien für Studenten aus der Ukraine oder Bosnien-Herzegowina öffnen. Damit muss man nicht warten, bis die Länder EU-Mitglieder sind. So etwas schafft sofort gegenseitiges Vertrauen.

Die Westbalkanstaaten sind ein gutes Beispiel dafür, dass der EU-Beitrittsprozess eine zähe Angelegenheit ist. Wie lässt sich das ändern?

Wir brauchen einen verbindlichen Zeitplan für die Annäherung der Westbalkanstaaten an die EU – raus aus dem Schwebezustand der letzten Jahre. Wollen wir unsere Stabilität exportieren oder die Instabilität vom Westbalkan importieren? Wir müssen den Staaten endlich zeigen, dass sie willkommen sind, ihnen aber auch klar sagen, dass sie es selbst in der Hand haben. Sie brauchen weitgehende Reformen, bevor sie in die EU können.

Funktioniert dieser Ansatz auch in Serbien? Dort laviert Präsident Aleksandar Vucic zwischen Moskau und Brüssel.

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Die Sache ist einfach – entweder Serbien entscheidet sich für die europäische Seite oder für die russische Seite. Wenn Vucic sich an Putins Seite stellt, dann hat Serbien keine europäische Perspektive. Dann wird es aber auch keine weitere finanzielle Unterstützung aus Brüssel mehr geben.

Ist die EU zurzeit in der Lage, neue Mitglieder aufzunehmen?

Ein klares Nein. Wir Europäer sind nicht vorbereitet auf die Stürme, die in den nächsten Jahren über unseren Kontinent fegen werden. Wir brauchen dringend eine Reform der EU-Strukturen. Das Einstimmigkeitsgebot bei außenpolitischen Entscheidungen muss weg. Und wir müssen endlich den Verteidigungspfeiler stärken.

Über diese Reformen debattiert die EU seit Jahren und kommt nicht voran. Warum soll es jetzt anders sein?

Es herrscht Krieg in Europa. Wir können gar nicht mehr anders. Viele sind nicht mehr bereit zu akzeptieren, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sinnvolle Sanktionen gegen Russland blockieren kann, weil es das Einstimmigkeitsgebot gibt.

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Was die Verteidigung angeht, machen die EU-Staaten jetzt immerhin viel mehr Geld locker als früher.

Das mag ja sein und ist absolut richtig. Aber europäisch denken wir dabei immer noch nicht. In Deutschland will die Bundesregierung 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgeben. Gut so. Aber Initiativen, die ganz Europa zugutekommen, kann ich darin nicht erkennen. Die Bundesregierung müsste entschieden den Aufbau einer europäischen Cyberabwehrbrigade fordern, oder den Aufbau eines europäischen Raketenabwehrsystems. Das wäre sinnvoll angesichts der Bedrohungslage. Stattdessen wird sehr fixiert auf nationaler Ebene herumgewerkelt. Das ist enttäuschend. Bundeskanzler Olaf Scholz müsste endlich Führungsstärke zeigen.

Es gibt ein Problem: Das Einstimmigkeitsgebot lässt sich nur verändern, wenn alle EU-Staaten dafür sind.

Das ist ein Problem, aber das lässt sich lösen. Wir müssen Blockierern sagen: Wenn ihr die Verteidigungsunion nicht wollt, dann bleibt halt alleine zurück. Polen und Tschechien sind auch immer noch EU-Mitglieder, obwohl sie nicht den Euro eingeführt haben. Nicht die Blockierer dürfen das Sagen haben, sondern jene, die den Mut haben, zum Nutzen aller nach vorne zu gehen. Ich will die EU zusammenhalten. Ich will, dass wir alle gemeinsam vorangehen. Aber wir dürfen uns vom Langsamsten nicht mehr aufhalten lassen.

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Am Sonntag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G7-Gruppe in Bayern. Den Vorsitz hat Deutschland. Welches Signal erhoffen Sie sich vom G7-Gipfel?

Die nächsten Jahre werden turbulent. Der G7-Gipfel sollte der Startpunkt für eine Freihandelszone der Demokratien werden. Damit meine ich den Zusammenschluss von Staaten, denen Werte wie Freiheit und Menschenrechte etwas bedeuten. Die G7 müssen der russischen Aggression in der Ukraine und dem zunehmend robusten Auftreten Chinas entgegentreten. Sonst haben wir bald mit Taiwan die nächste Krise. Geld ist grundsätzlich da. Die G7-Staaten stehen für knapp die Hälfte der weltweiten Wirtschaftskraft. Das wäre doch eine deutliche Ansage an Moskau und Peking.

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