Impfpflicht, Isolation, Quarantäne: Wie geht es jetzt weiter?
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Scholz und Lauterbach im Gespräch.
© Quelle: IMAGO/photothek
Berlin. Nach monatelangem Ringen um eine mögliche allgemeine Impfpflicht ist heute der entscheidende Tag im Bundestag. Ab 9 Uhr debattieren die Abgeordneten, bevor es anschließend zur mit Spannung erwarteten Abstimmung kommt. Das müssen Sie vorher über die Anträge und die Chancen wissen:
Welche Anträge zur Impfpflicht stehen am Donnerstag zur Abstimmung?
Statt fünf gibt es nur noch vier Anträge: Die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 Jahren haben mit der Gruppe um den FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, die eine Beratungspflicht und eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahren vorgeschlagen hatte, einen Kompromiss vereinbart. Er sieht eine Impfpflicht ab 60 Jahren vor, die je nach Pandemielage und Impffortschritt im Juni wieder zurückgenommen oder im Herbst auf alle Erwachsenen ausgedehnt werden kann.
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Zur Abstimmung steht zudem ein Antrag der Union, der zunächst den Aufbau eines Impfregisters und eine mögliche Impfpflicht ab 60 vorsieht. Die Gruppe um Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) lehnt eine Impfpflicht ab, ebenso die AfD.
Wer bekommt eine Mehrheit?
Chancen haben nur der neue Ü60-Antrag oder die Union. Die meisten Unterstützer hat vermutlich Ersterer. Wenn alle bisherigen Unterzeichner den Kompromiss mittragen, gibt es für ihn mindestens 282 Stimmen. Das reicht aber wahrscheinlich nicht. Nötig ist zwar zunächst nur eine einfache Mehrheit. Sie könnte aber nur dann erreicht werden, wenn sich viele Unentschlossene für diesen Antrag entscheiden und/oder die Gegner sich enthalten und nicht mit Nein stimmen.
Die Union, die die Abstimmung nicht freigegeben hat, verfügt über 197 Stimmen. Ob einer der beiden Anträge eine Mehrheit bekommt, hängt auch von der Reihenfolge der Abstimmung ab.
Warum spielt die Reihenfolge eine Rolle?
Zunächst: Es gibt hier bisher noch keine Festlegung. Darüber wird am Donnerstagmorgen im Bundestag entschieden. Die Union will gemäß der parlamentarischen Praxis erst über den Antrag abstimmen, der die weitestgehenden Änderungen enthält. Das wäre der Ü60-Gesetzentwurf. Sie erhofft sich dadurch eine Mehrheit für ihren eigenen Antrag.
Denn: Wird zuerst der Ü60-Antrag abgestimmt und bekommt keine Mehrheit, dann sind die Impfpflicht-Befürworter letztlich gezwungen, der Union zuzustimmen, damit es überhaupt noch eine Chance auf eine Impfpflicht gibt.
Die Ampel will die umgekehrte Reihenfolge, damit Unionsabgeordnete beim Scheitern ihres Antrags zum Ü60-Antrag wechseln. Die Unionsspitze hat ihren Abgeordneten allerdings dringend nahegelegt, das nicht zu tun. Wie die Abstimmung tatsächlich ausgeht, dürfte nach mehreren namentlichen Urnengängen erst am Nachmittag feststehen.
Lauterbachs Chaos um die Isolationspflicht
Am Dienstagabend wurde Karl Lauterbach seiner inzwischen als Kritik verstandenen Bezeichnung als „Talkshow-Minister“ einmal mehr gerecht: Nicht in einer Pressekonferenz oder im Bundestag, sondern in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ kündigte der Gesundheitsminister an, den umstrittenen Beschluss zur freiwilligen Isolation von Corona-Infizierten wieder zu kassieren. Details und Hintergründe zur Rolle rückwärts des Ministers und zur Impfpflicht-Abstimmung am Donnerstag im Bundestag:
Wie war die Beschlusslage bis Dienstagabend?
Lauterbach hatte nach Beratungen mit dem Robert Koch-Institut (RKI) den Länder-Gesundheitsministern auf ihrer Konferenz am Montag vorgeschlagen, dass sich Corona-Infizierte und Kontaktpersonen ab 1. Mai nur noch freiwillig und nur noch für fünf statt für zehn Tage in Quarantäne begeben müssen. Lediglich für Beschäftigte im Gesundheitsbereich sollte es eine Anordnung der Gesundheitsämter geben. Die Ministerrunde segnete den Vorschlag mehrheitlich ab, weil er die Gesundheitsämter entlastet.
Warum schwenkte Lauterbach um?
Am Dienstagnachmittag gab es in der SPD-Bundestagsfraktionen erhebliche Kritik an dem Beschluss. Er verharmlose Corona, so der Tenor. Auch vor dem Hintergrund der für Donnerstag geplanten Abstimmung über eine Impfpflicht sei der Beschluss kontraproduktiv. Der SPD-Abgeordnete Detlef Müller bestätigte die Empörung indirekt auf Twitter: „Was so eine laute und emotionale Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion alles bewirken kann. Gut so!“ schrieb er, nachdem Lauterbach seine Kursänderung angekündigt hatte.
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Wie begründet Lauterbach seine Meinungsänderung?
Die Reaktionen auf den Vorschlag hätten gezeigt, dass damit das falsche Signal ausgesendet werde, die Pandemie sei beendet oder man könne Corona künftig wie eine Grippe betrachten, sagte Lauterbach am Mittwoch.
Es gebe aber nach wie vor zu viele Todesfälle und auch Long Covid sei weiterhin ein großes Problem. Daher sei der Beschluss falsch. „Das war ein Fehler, für den ich auch persönlich verantwortlich bin“, betonte er. Einen Rücktritt schloss er aus. „Wenn man sieht, dass die Vorschläge nicht wirklich funktionieren, muss man sie zurücknehmen“, sagte er.
Was soll nun stattdessen gelten?
Infizierte müssen ab 1. Mai weiter auf Anordnung der Gesundheitsämter in die Isolation, und zwar für fünf Tage. Bei einer Verletzung drohen Bußgelder. Bei der Quarantäne für Kontaktpersonen bleibt es dagegen beim freiwilligen Verfahren. Es gilt eine „dringende Empfehlung“, die Kontakte selbstständig zu reduzieren.
Welche Reaktionen gibt es auf die Kehrtwende?
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) beklagte, die Ampel regiere „kurzatmig“. Beschlüsse hätten nicht einmal 48 Stunden Geltung. Auch Bremens SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte kritisierte den Rückzug. Schließlich habe es sich um eine gemeinsame Entscheidung der Gesundheitsminister gehandelt, die nun in einer Talkshow einfach abgeräumt worden sei. Er sprach von einer „kommunikativen Fehlleistung erster Güteklasse“.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kritisierte die Rücknahme ebenfalls. „Wir befinden uns mittlerweile in einer neuen Phase der Pandemie und setzen daher zu Recht endlich wieder auf Eigenverantwortung“, sagte er dem RND.