Italien: 37-Jährige will größte Oppositionspartei anführen
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Parlamentsabgeordnete Elly Schlein wirft ihren Stimmzettel in eine Wahlurne. Sie will den Vorsitz der Partei PD übernehmen.
© Quelle: Guido Calamosca/LaPresse via ZUM
Rom. Elly Schlein ist jung, links, progressiv, selbstbewusst – und sie wird von ihren Anhängerinnen und Anhängern bereits als mögliche „Anti-Meloni“ gefeiert. Tatsächlich stehen die meisten ihrer politischen Anliegen diametral denjenigen entgegen, die von der postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihrer Rechtsregierung verkörpert werden. Schlein fordert einen radikalen ökologischen Umbau, Solidarität mit den Migrantinnen und Migranten, die Legalisierung leichter Drogen, einen Mindestlohn und eine Vermögenssteuer. Und als wäre dies in den Augen der Rechten noch nicht genug, ist sie auch noch feministisch und offen bisexuell.
Bei einer landesweiten Urnenabstimmung könnte sie an diesem Sonntag zur neuen Chefin des PD gewählt werden. Bei den einschlägigen, den Regierungsparteien Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia nahestehenden Kampfpostillen wie „Libero“ und „Il Giornale“ sowie in rechtsextremen Foren der sozialen Medien ist Elly Schlein mit ihren Positionen in Windeseile zur Hassfigur Nummer eins aufgestiegen. „Man könnte meinen, ich sei ein Komplott gegen das Land“, kommentierte die 37-Jährige die Hasskampagne unlängst ironisch. Wegen ihrer jüdischen Wurzeln schwingen in den Attacken oft antisemitische Vorurteile mit, gelegentlich auch aus der untersten Schublade.
Ein immer wiederkehrendes Motiv in den Social Media ist zum Beispiel ihre „jüdische Nase“. Schlein versuchte zunächst, mit Humor auf die Anspielungen auf ihr Äußeres zu antworten: Ihre Nase sei nicht jüdisch, sondern „typisch etruskisch“, erklärte sie. Sie verwies dabei auf ihre katholische Mutter, die aus Siena stammt – die toskanische Stadt gehörte einst zum Herrschaftsbereich der Etrusker. Ihr Vater sei zwar jüdischen Glaubens, und sie sei stolz auf den jüdischen Nachnamen, aber sie selbst sei nicht jüdisch. Ihr Großvater väterlicherseits sei aus der heutigen Ukraine in die USA ausgewandert. „Er hieß Herschel Schleyen; daraus haben die Einwanderungsbehörden von New York den Namen Harry Schlein gemacht.“
Dass sie versucht, den jüdischen Familienzweig aus der politischen Diskussion herauszuhalten, hat die israelische Zeitung „Haaretz“ unlängst zu einem kritischen Artikel veranlasst. Was dabei vergessen wird: Die weltoffene, durch und durch weltliche Elly Schlein definiert sich nicht über ihre Religionsangehörigkeit. Und auch nicht über ihre Nationalität: Sie besitzt drei Pässe – einen schweizerischen, weil sie in Lugano geboren und aufgewachsen ist, sowie einen US-Pass wegen ihres Vaters und einen italienischen wegen ihrer Mutter. Sie nimmt sich auch die Freiheit, die israelische Regierung wegen ihrer Politik in den besetzten Palästinensergebieten zu kritisieren.
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Langjährige Politikerfahrung
Für Italiens Linkswählerinnen und -wähler stehen bei der Wahl des neuen Parteichefs oder der neuen Parteichefin am Sonntag ohnehin ganz andere Themen im Vordergrund. Mit ihrer internationalen Vita – bei den US-Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012 engagierte sich Schlein im Wahlkampfteam von Barack Obama – und ihren politischen Positionen ist Elly Schlein zur Hoffnungsträgerin all jener geworden, die schon lange einen grundlegenden Wandel ihrer Partei fordern: Sie steht erkennbar links und will, dass der PD nach langen neoliberalen Verirrungen endlich wieder den einstigen Stammwählerinnen und -wählern, die nun die Lega von Matteo Salvini oder die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni wählen, eine Stimme gibt.
Das Rennen um den Parteivorsitz ist offen. Ihr Rivale Stefano Bonaccini, ein zur politischen Mitte tendierender Pragmatiker und Apparatschik, hat zwar die Abstimmung unter den eingeschriebenen Parteimitgliedern mit 53 zu 35 Prozent gewonnen (die übrigen Stimmen verteilten sich auf zwei andere Kandidaten). Doch in der Urnenabstimmung von morgen Sonntag können auch die Nichtmitglieder – Sympathisantinnen, Sympathisanten, Wählerinnen und Wähler des PD – ihre Stimme abgeben. Und bei der Basis ist Elly Schlein beliebter als Bonaccini. „Ihre Wahl wäre ein hoffnungsvolles Zeichen des Wechsels – es wäre eine Verrücktheit, würden wir auf ein solches Signal verzichten“, erklärte die PD-Politikerin und Schriftstellerin Lidia Ravera.