Italien vor einer Schicksalswahl
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Anhänger der Fratelli d’Italia: Die postfaschistische Partei könnte die Wahlen am 25. September gewinnen und ein rechtes Dreibündnis bilden.
© Quelle: IMAGO/Pacific Press Agency
In Italien wird in einem Monat eine Wahl stattfinden, die wahrscheinlich schnell das Prädikat „historisch“ erhalten wird. Denn genau hundert Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom und der faschistischen Machtergreifung am 30. Oktober 1922 wird laut allen derzeit vorliegenden Wahlprognosen eine Persönlichkeit die Regierung übernehmen, die ihre gesamte politische Karriere im Dunstkreis verschiedener postfaschistischer Parteien und Gruppierungen aufgebaut hat: Giorgia Meloni. Die ultrarechte Nationalistin und Chefin der Fratelli d‘Italia wird mit dem rechtspopulistischen Hardliner und Hetzer Matteo Salvini von der Lega sowie mit dem wegen Steuerbetrugs vorbestraften Ex-Bunga-Bunga-Premier Silvio Berlusconi und seiner Forza Italia regieren. Im Vergleich zu einer solchen Koalition würden dann selbst die nationalistischen und autoritären Regierungen in Ungarn und Polen als geradezu moderat erscheinen.
Die finanzpolitische Ernsthaftigkeit und internationale Glaubwürdigkeit, zu der Italien in den gut eineinhalb Jahren unter Mario Draghi zurückgefunden hat, wäre bei diesem Szenario auf einen Schlag wieder verspielt. Mit dem ehemaligen EZB-Chef an der Regierungsspitze ist Italiens Verschuldungsrate so stark gesunken wie noch nie in der gesamten Nachkriegszeit; der Beschäftigungsgrad ist so hoch und die Arbeitslosigkeit so tief wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Salvini und Berlusconi schwafeln derweil im Wahlkampf bereits wieder von Steuersenkungen und Steueramnestien und von einer Verdoppelung der Mindestrenten. Giorgia Meloni wiederum, Draghis wahrscheinliche Nachfolgerin, hatte fünfmal gegen den nationalen Wiederaufbauplan gestimmt, der von der EU mit 191 Milliarden Euro finanziert wird. Begründung: Mit den Hilfen des EU Recovery Funds begebe man sich in die Knechtschaft von Brüssel.
Abkehr von EU und Ukraine
Genau das ist der Ton, auf den sich die europäischen Partner wieder einstellen müssten: Meloni und Salvini polemisieren seit Jahren gegen die Union und die Einheitswährung; auf dem Wahlmaterial der Lega war noch vor wenigen Jahren der Slogan „Basta Euro“ gedruckt. Mit anderen Worten: Selbst ein „Italexit“ könnte plötzlich wieder zu einem Thema werden. Aber nicht nur für Brüssel, das mit Draghi den vielleicht überzeugtesten Europäer verliert, wäre ein Wahlsieg des italienischen Rechts-Blocks ein Desaster. Auch die Ukraine würde einen wichtigen und starken Freund verlieren: Salvini und Berlusconi sind bekennende Putin-Freunde, wettern seit Kriegsbeginn gegen die Sanktionen gegen Russland und die Lieferung schwerer Waffen an Kiew, während Draghi sich von Anfang an konsequent und unbeirrbar an die Seite der Ukraine stellte.
Freuen über einen Wahlsieg des Trios Meloni-Salvini-Berlusconi würde sich also in erster Linie Wladimir Putin – aber mit ihm auch die Rechtspopulisten, Nationalisten, Protektionisten und EU-Gegner ganz Europas. Und das in einer Zeit, in der der ganze Kontinent möglicherweise auf einen heißen Herbst zugeht: Die gestiegenen Energiepreise, die Inflation und die eventuelle Rationierung von Gas und Strom werden den sozialen Unmut weiter anwachsen lassen – ein Wahlsieg der Ultrarechten in Italien könnte auch im Ausland leicht zum berühmten Funken im Pulverfass werden.
Regierungskrise in Italien: Termin für Neuwahlen steht fest
Präsident Sergio Mattarella löste am 21.7.2022 das Parlament auf und machte damit den Weg für einen Urnengang im Herbst frei.
© Quelle: Reuters
Andererseits: Gerade die sich zusammenbrauende, explosive Mischung aus Energiekrise, steigenden Zinsen, Krieg und Inflation könnte auch dafür sorgen, dass der sich in Rom anbahnende reaktionäre Spuk schneller vorüber sein könnte als befürchtet. Denn wenn in wenigen Wochen nicht mehr der kompetente Draghi, sondern Meloni, Salvini und Berlusconi in der Regierungsverantwortung stehen sollten, könnte sich der Volkszorn schnell an ihnen selber entladen. Nach Draghi werden die neuen Regenten in Rom unter enormem Druck stehen, eigene Lösungen zur Bewältigung der Mehrfachkrise zu präsentieren – Lösungen, die sie bisher nicht präsentiert haben, und die sie voraussichtlich auch nicht finden werden. Dafür sind Meloni, Salvini und Berlusconi zu unterschiedlicher Meinung und persönlich zu zerstritten. Die neue Regierung könnte also schnell zerbrechen – und Mario Draghi müsste dann wohl ein weiteres Mal den Retter der Nation geben.
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