Vom Paria-Prinz zum Partner: Joe Bidens neuer Umgang mit der saudischen Herrscherfamilie
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Joe Biden, Präsident der USA, reist nach Saudi-Arabien – der Besuch ist höchst umstritten.
© Quelle: Evan Vucci/AP/dpa
Washington. Der Kandidat ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. „Wir werden sie dazu bringen, einen Preis zu zahlen und sie zu dem Paria machen, der sie sind“, prangerte Joe Biden im Vorwahlkampf der US-Demokraten im November 2019 die saudische Herrscherfamilie an. Anderthalb Jahre später bestätigten die US-Geheimdienste offiziell, was Biden damals unterstellt hatte: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman persönlich war verantwortlich für die bestialische Ermordung des Journalisten und Regimekritikers Jamal Khashoggi.
Doch wenn der amerikanische Präsident an diesem Mittwoch zu einer dreitägigen Nahostreise aufbricht, möchte er an sein früheres Verdikt am liebsten nicht erinnert werden. Nach Gesprächen in Israel und im Westjordanland wird Biden nämlich zum Gipfel des Golfkooperationsrats in Dschiddah reisen und dort auch mit dem greisen König Salman sowie seinem Sohn, dem De-facto-Herrscher des Landes, zusammenkommen.
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Der Jamal-Khashoggi-Weg vor der Botschaft Saudi-Arabiens in Washington. Khashoggi wurde im Herbst 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet, nach Überzeugung der US-Geheimdienste steckte Kronprinz bin Salman hinter der Bluttat.
© Quelle: Can Merey/dpa
Der Ölpreis und die Menschenrechte
Vom Paria zum Partner – es ist eine erstaunliche Entwicklung, die der MbS genannte Prinz in kurzer Zeit genommen hat. Die „New York Times“ vergleicht Bidens Trip nach Saudi-Arabien mit der historischen Reise von Ex-Präsident Jimmy Carter nach Teheran, wo er am Silvesterabend 1977 einen Trinkspruch auf „die großartige Führungsstärke“ des Schahs ausbrachte: Wie damals werde auch heute dem niedrigen Ölpreis die Priorität vor Menschenrechten eingeräumt.
Biden befindet sich in einer schwierigen Lage: Innenpolitisch pulverisiert die Wut der amerikanischen Bevölkerung über die Explosion der Benzinpreise gerade seine Umfragewerte und droht die Demokraten im Herbst die Kongressmehrheit zu kosten. Außenpolitisch erzwingt die wachsende Bedrohung durch das iranische Atomprogramm eine verstärkte Zusammenarbeit mit Israel und den arabischen Verbündeten.
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Khashoggis Verlobte klagt Biden an
Doch der schockierende Khashoggi-Mord ist in den USA nicht vergessen. Der Journalist, der unweit der amerikanischen Hauptstadt lebte und für die „Washington Post“ schrieb, war im Herbst 2018 mit dem Versprechen in das saudische Konsulat in Istanbul gelockt worden, dort seine Hochzeitspapiere zu erhalten. Tatsächlich wurde er in der Vertretung brutal ermordet. Anschließend wurde seine Leiche zersägt und beiseite geschafft.
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Der getötete saudische Journalist Jamal Khashoggi im Jahr 2015 während einer Pressekonferenz.
© Quelle: Hasan Jamali/AP/dpa
Khashoggis Verlobte Hatice Cengiz, die damals nichtsahnend vor dem Gebäude wartete, erhebt nun in der „Washington Post“ schwere Vorwürfe gegen Biden: Jahrelang habe sie voller Horror erlebt, wie der für den Mord verantwortliche MbS frei herumlaufe und von Ex-Präsident Donald Trump hofiert worden sei. Allein Bidens Versprechen, den Kronprinz zur Rechenschaft zu ziehen, habe ihr Hoffnung gegeben.
Die Nachricht von der Reise schockiere und enttäusche sie nicht nur persönlich: „Zu einer Zeit, da Angriffe auf die Pressefreiheit ein Rekordhoch erreichen, wird Ihr Besuch Ihr Ansehen beflecken und an Autokraten in der ganzen Welt die Nachricht aussenden, dass sie Journalisten inhaftieren, foltern und sogar ermorden können, ohne dass dies irgendwelche Folgen hätte.“
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Dass der Besuch in Saudi-Arabien extrem heikel sein würde, war Biden schon vorher bewusst. Bei einer Pressekonferenz nach dem Nato-Gipfel in Madrid flüchtete er sich in Wortklaubereien: „Ich treffe mich nicht mit Mohammed bin Salman. Ich fahre zu einem internationalen Treffen, an dem er teilnehmen wird.“ Doch diese Verteidigungslinie war nicht zu halten, als die saudische Botschaft in Washington offizielle Gespräche der beiden Politiker ankündigte.
Biden kommt aus der Deckung
Am Wochenende dann ging der Präsident in die Offensive. Unter der Überschrift „Warum ich nach Saudi-Arabien fahre“, meldete er sich ebenfalls in der „Washington Post“ zu Wort.
„Ich weiß, dass viele mit meiner Entscheidung nicht einverstanden sind“, räumt Biden in dem Gastbeitrag ein. Er betont, dass die Menschenrechte stets auf seiner Agenda stünden. Aber als Präsident müsse er Russlands Aggression kontern, China zurückdrängen und größere Stabilität im Mittleren Osten schaffen. „Um das zu erreichen, müssen wir uns direkt mit Staaten beschäftigen, die diese Ziele beeinflussen können.“ Dazu gehöre insbesondere Saudi-Arabien. Die Rolle des Parias dürfte der Golfstaat damit endgültig abgelegt haben.
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