Joe Bidens letzte Hoffnung: Trump
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Steuern die USA auf ein Duell der Senioren zu? Gegen Trump, sagen neue Umfragen, würde Biden im Jahr 2024 abermals gewinnen.
© Quelle: dpa
Liebe Leserinnen und Leser,
Präsident Joe Biden ist im letzten Sommer demoskopisch gesehen auf Tauchfahrt gegangen. Daraus wurde, wie man inzwischen sieht, eine Reise ohne Wiederkehr. Oder gibt es für ihn doch noch Hoffnung?
Willkommen zu unserem Newsletter „What‘s up, America“, in dem wir zu Beginn einmal mehr die Stimmungslage der Nation erkunden.
- Noch vor einem Jahr, im Juli 2021, stand eine Mehrheit von deutlich mehr als 50 Prozent der Amerikaner in Umfragen hinter dem Präsidenten.
- Ende August 2021 brachte dann der chaotische Abzug aus Afghanistan den historischen Drehpunkt. Erstmals gerieten jene, die „einverstanden mit der Amtsführung des Präsidenten“ sind, in die Minderheit – und von nun an ging es nur noch abwärts.
- Inzwischen ist die Inflation zum neuen Treiber der Unzufriedenheit geworden. Von Monat zu Monat wuchs in letzter Zeit der Anteil der Amerikaner, die sich Sorgen machen über ihre künftige Kaufkraft. Parallel dazu ließen die Zustimmungswerte für Biden weiter nach. „Einverstanden“ mit Bidens Amtsführung sind jetzt, im Juli 2022, nur noch 38,5 Prozent.
Ein Seniorenduell im Jahr 2024
Ein Präsident, der so schwach aussieht in den Umfragen, hat eigentlich keinen Grund, zur Wiederwahl antreten zu wollen. Genau das aber hat Biden vor, allen düsteren demoskopischen Daten zum Trotz.
Immerhin fanden Bidens Leute dieser Tage zumindest ein Umfrageergebnis, das ihnen Hoffnung macht: Biden würde im Jahr 2024 erneut die Präsidentschaftswahl gewinnen, wenn sein Gegner Donald Trump heißt. Laut New York Times/Siena College schlägt Biden Trump mit 44 zu 41 Prozent.
Es ist ein Duell, das eigentlich keiner will – das aber inzwischen nicht mehr nur als bloße Möglichkeit diskutiert wird.
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Alles auf Wiederholung? Joe Biden, Präsident der USA, und Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA, am 8. Juli im Roosevelt Room des Weißen Hauses. Harris will bei einer Präsidentschaftskandidatur Bidens erneut als Vizepräsidentschaftskandidatin antreten.
© Quelle: Evan Vucci/AP/dpa
Seufzend analysierte White-House-Reporter Stephen Collinson im Sender CNN am 12. Juli: „Die Aussicht auf einen Wettbewerb im November 2024 zwischen einem Mann, der dann knapp 82 Jahre alt wäre, und einem 78-jährigen, der schon mal eine Art Putschversuch hingelegt hat, ist sehr real.“
Auf wen setzen die Demokraten?
Zur Theorie vom Seniorenduell passt, dass bei den Demokraten im Augenblick alle üblichen Verdächtigen höflich die Füße stillhalten: Wenn Biden wieder antreten wolle, werde man ihm auf keinen Fall in die Quere kommen, sagen artig alle Prominenten in der Partei.
Sogar der Biden-Skeptiker Ro Khanna, kalifornischer Kongressabgeordneter und ehemaliger Co-Vorsitzender der Bernie Sanders-Kampagne, schlug dieser Tage die Hacken zusammen: „Ich würde nichts tun, um Biden zu schwächen, und ich hoffe, dass niemand sonst etwas tun wird, um ihn zu schwächen. Er ist immer noch die sichere Marke in den Staaten des Mittleren Westens.“
Auch Vizepräsidentin Kamala Harris schaltet auf Wiederholung: Sie stehe 2024 erneut als „running mate“ von Biden zur Verfügung, sagt sie. Viele bei den Demokraten reiben sich jetzt die Augen und stellen fest: So könnte es in der Tat kommen.
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Wenn er sich innerhalb der Republikaner bei den Vorwahlen gegen Trump durchsetzt, werden die Karten neu gemischt: Ron DeSantis, Gouverneur von Florida.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Doch all diese Kalkulationen hängen an Trump. Nur wenn der frühere Präsident bei seinen Republikanern eine weitere Kandidatur durchsetzen kann, geht Bidens Rechnung auf.
Doch ein solches Denken über die Bande verstört viele. Sollen und wollen jetzt ernsthaft alle, die Bidens Wiederwahl wünschen, Trumps Kandidatur erhoffen? Biden würde im Ergebnis seine Macht auf etwas gründen, was er stets beklagt hat: die fortgesetzte tiefe Spaltung Amerikas.
Diesen Ansatz zu verfolgen wäre nicht nur unaufrichtig, sondern auch riskant. Was, wenn am Ende doch noch ein jüngerer, dynamischerer Kandidat für die Republikaner ins Rennen geht: Ron DeSantis, der republikanische Gouverneur von Florida?
Einflussreiche Leute machen sich genau über diese Frage schon Gedanken, Elon Musk zum Beispiel. Der Eigentümer von Tesla und SpaceX hat aus seiner Neigung zu Desantis nie einen Hehl gemacht. Am 12. Juli wurde Musk deutlicher denn je und schrieb auf Twitter: „Wenn DeSantis 2024 gegen Biden antritt, wird DeSantis leicht gewinnen – er muss nicht einmal Wahlkampf machen.“
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Musk ist zwar nicht auch noch Eigentümer von Twitter geworden. Doch schon sein Milliardenvermögen und seine 100 Millionen Follower machen ihn innerhalb wie außerhalb dieses Netzwerks zu einem extrem einflussreichen Mann. Wenn Musk von nun an massiv DeSantis fördert, kann es um Trump geschehen sein – und in der Folge auch um Biden. Dann bräuchten die US-Demokraten dringend eine Alternative zum Seniorenduell 2024.
Facts and Figures: Gute Zeiten für Lockheed Martin
Videos von explodierenden russischen Munitionsdepots in der Ukraine werden in der amerikanischen militärischen Community derzeit stolz herumgereicht, wie Werbefilme für Lockheed Martin. Star der Show ist Himars, das mobile Raketenwerfersystem aus amerikanischer Fertigung. Himars punktet in diesen Tagen tatsächlich dreifach:
- Die Reichweite ist so groß (80 bis 300 Kilometer, je nach Raketentyp), dass die Russen seit einigen Tagen so weit hinter den aktuellen Frontlinien angegriffen werden konnten wie noch nie.
- Präzision und Verlässlichkeit des satellitengestützen Raketensystems werden von der kämpfenden ukrainischen Truppe in den höchsten Tönen gelobt.
- Die russische Armee ist zum eigenen Entsetzen nicht in der Lage, die nachts anfliegenden Himars-Raketen rechtzeitig zu orten und zu bekämpfen.
- Bevor die Himars-Raketenwerfer ihrerseits unter Beschuss geraten können, sind sie als wendige und relativ schnelle Radfahrzeuge schon über alle Berge.
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Jeder Schuss kostet bis zu 160.000 Dollar: Raketenwerfer Himars von Lockheed Martin.
© Quelle: Wikipedia CC BY 2.0
Wird das System jetzt zum „game changer“ im Ukraine-Krieg? Militärexperten sagen, die von Russland verkündete strategische Pause beim Vorrücken im Donbass habe nicht zuletzt mit Himars zu tun: Bisherige russische Aufmarschkonzepte müssten geändert werden.
Hersteller Lockheed Martin kann sich unterdessen die Hände reiben. Himars hat dem Rest der Welt die technologische Führungsposition amerikanischer Rüstungstechnik nun auch auf einem Feld vorgeführt, wo man sie weniger vermutet hätte als in der Luft und im All, beim Krieg an Land.
Schon vor dem Himars-Erfolg in der Ukraine hatte die dramatische neue Weltlage die Flugzeuggeschäfte von Lockheed Martin angekurbelt. Kampfflugzeuge vom Typ F-35, die modernsten der Welt, wurden zuletzt unter anderem von den Regierungen Finnlands und Deutschlands bestellt. Binnen Jahresfrist stieg die Lockheed-Martin-Aktie – gegen den rundum schwächelnden Dow-Jones-Trend – von 316 auf derzeit 417 Euro.
Popping up: Schlag ins Gesicht für DeSantis
Es wirkte wie der Beginn einer Schlägerei im Saloon. Gouverneur Gavin Newsom (Demokrat, Kalifornien) ließ den Gouverneur Ron DeSantis (Republikaner, Florida) einfach mal kurz öffentlich wissen, wie wenig er von ihm hält: Newsom ließ einen Fernsehspot produzieren, in dem sein republikanischer Amtskollege als Feind der Freiheit vorgestellt wird. Gesendet wurde die Attacke am 4. Juli, aus Anlass des Nationalfeiertags.
Newsom sagt in dem Spot, die Freiheit sei in Florida bedroht – durch einen Gouverneur, der „die freie Rede an Schulen einschränkt, bestimmte Bücher verbietet, das Wahlrecht beschränken und Frauen und Ärzte kriminalisieren will“. Newsoms Kritik richtet sich gegen einen in der Tat kruden von DeSantis in Florida ausgerufenen Kulturkampf, mit dem der Republikaner unter anderem die Homosexuellenbewegung zurückdrängen und zu schärferen Abtreibungsregeln übergehen will.
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Ein vergleichbarer Schlag ins Gesicht ist unter Gouverneuren großer Bundesstaaten ohne Beispiel. Kalifornien ist der mit Abstand bevölkerungsreichste und damit politisch wichtigste Staat, Florida liegt nach Texas auf Platz drei.
In Washington rätseln jetzt Politikgurus, was eigentlich dahinter steckt. Wollte Newsom vor allem auf sich selbst aufmerksam machen? Ist hier sogar schon der erste Schlagabtausch im Gang zwischen zweien, die das oben erwähnte Seniorenduell ablehnen und die Sache 2024 unter sich ausmachen wollen?
DeSantis jedenfalls schlug mit voller Wucht zurück. Newsom solle, statt ihm Tipps fürs Regieren in Florida zu geben, lieber zusehen, dass nicht immer mehr Kalifornier, Geschäftsleute vorneweg, vor hohen Steuern und hoher Regelungsdichte aus ihrem Staat fliehen, zum Beispiel nach Florida. DeSantis kann auf Statistiken verweisen, die solche Tendenzen in der Tat belegen.
In dem improvisierten Faustkampf steht es jetzt unentschieden. Klar geworden ist aber zweierlei. Newsom und DeSantis schenken sich nichts. Und ihre Namen wird man sich merken müssen.
Deep Dive: Falsche Schritte gegen die Inflation
In den USA kam die Inflation etwas früher an als in Deutschland. Auch mit der Einsicht, dass die Politik – im Gegensatz zur Notenbank – nur wenig dagegen tun kann, sind die Amerikaner nun den Europäern einen Schritt voraus.
Catherine Rampell, Wirtschaftskolumnistin der „Washington Post“, wurde am Dienstag sogar schon polemisch: „Da Politiker nicht in der Lage sind, an der Situation irgendetwas zu verbessern, sollten sie wenigstens aufhören, alles noch schlimmer zu machen.“
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Beim Benzin wurde nach der Vier- inzwischen auch die Fünf-Dollar-Grenze pro Gallone geknackt: Preise an einer Tankstelle im New Yorker Stadtteil Harlem Mitte Juni.
© Quelle: IMAGO/TheNews2
Gut gemeinte finanzpolitische Fehltritte werden in den USA auch auf der Ebene der Bundesstaaten erwogen. Im von Demokraten dominierten Massachusetts etwa wird diskutiert, an die Bürger 500 Millionen Dollar auszuteilen, als „Entlastung“. Ähnliche Projekte gibt es in Kalifornien, Indiana und Delaware. Auf Bundesebene soll die Spritsteuer zeitweise ausgesetzt werden.
Doch wohin soll das führen? Rampell hält fest, dass sich jeder Preis aus Angebot und Nachfrage ergibt. Auf vielen Feldern treffe derzeit ein allzu kleines Angebot auf eine allzu große Nachfrage. Gebe der Staat in dieser Situation denen, die nachfragen, mehr Geld in die Hand, vergrößere er das Problem statt es zu lösen. Die Folge sei nicht etwa eine Stimulation der Wirtschaft, sondern die weitere unheilvolle Überhitzung der Märkte.
Helfen können laut Rampell zwei unpopuläre Ansätze. Dazu gehöre eine Liberalisierung der Märkte, auch durch Öffnung für mehr billige Importe, etwa aus China. Dies freilich missfalle Gewerkschaften und linken Globalisierungskritikern ebenso wie rechten China-Gegnern. Von zentraler Bedeutung sei und bleibe der Leitzins. Die US-Notenbank müsse die Wirtschaft jetzt durch weitere Zinsschritte abkühlen – die aber bitte so behutsam ausfallen sollen, dass sie keinen Absturz in eine Rezession bewirken. „So stumpf dieses Instrument auch ist: Die geldpolitische Straffung bleibt das derzeit wirksamste Instrument, um den Preisauftrieb einzudämmen.“
Way of Life: Schlechte Zeiten für rechte Richter
Gerichte sollen eigentlich die Gesellschaft beruhigen, der sie dienen: einen Ausgleich schaffen, Wege zum Miteinander definieren, Regeln aufstellen, die allen zumutbar sind.
Der Supreme Court der USA indessen hat mit seinem Abtreibungsurteil das Gegenteil bewirkt. Die Unklarheit über die künftig allein von den Bundesstaaten zu treffenden Regelungen wachsen, und parallel dazu wachsen nun auch die Feindseligkeiten unter Befürwortern und Gegnern liberaler Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch.
Die aufgeheizte Stimmung hat inzwischen auch Folgen für die Richter selbst. Die sechs Oberjuristen, die die Aufhebung des Roe-vs.-Wade-Urteils von 1973 betrieben haben, können sich in Washington kaum noch blicken lassen. Ein Abendessen in einem Restaurant etwa kann in einen Spießrutenlauf ausarten, wie der konservative Supreme-Court-Richter Brett Kavanaugh feststellen musste: Während er im Steakhouse Morton‘s tafelte, versammelte sich draußen ein erst kleiner und dann schnell anwachsender Trupp von Demonstranten. Genervt verließ Kavanaugh das Restaurant durch einen Nebeneingang, „vor dem Dessert“, wie es später hieß.
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Die sechs betroffenen Richter müssen sich darauf einstellen, dass es bei dieser für sie komplizierten Lage bleibt. Private Protestgruppen wie „ShutDownDC“ bieten Informanten für jede „Sichtung“ eines rechten Supreme-Court-Richters in Washington eine Belohnung. Wird die Information bestätigt, gibt es 50 Dollar. Ist der Richter 30 Minuten nach der Benachrichtigung immer noch am gemeldeten Ort, gibt es 200 Dollar.
Was ist das? Eine Menschenjagd? Ein Fall von Bedrohung? Die Behörden in D.C., von der örtlichen Polizei bis hinauf zum Weißen Haus, betonten dieser Tage, gegen friedlichen Protest, der ohne Drohungen und ohne Gewalt bleibe, werde man und dürfe man nichts unternehmen, „schon aus verfassungsrechtlichen Gründen“.
Der nächste USA-Newsletter erscheint am 26. Juli.
Bis dahin gilt wie immer trotz Hitzewelle: Stay cool – and stay sharp!
Ihr Matthias Koch