Nach Tokajew-Wahlsieg mit mehr als 80 Prozent: Kasachstan zwischen Reformen und autoritärem System
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Präsident Kassym-Schomart Tokajew in einem Wahllokal in Almaty am Sonntag bei der Stimmabgabe.
© Quelle: -/Pressebüro des kasachischen P
Berlin. Nach dem Wahlsieg des amtierenden Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew (69) mit über 80 Prozent der Stimmen sehen Experten Kasachstan weiter im Spannungsfeld zwischen Reformen und autoritärem Präsidialsystem. Die fünf Gegenkandidaten erreichten am Sonntag nur zwischen 2,1 und 3,4 Prozent.
„Die anderen Kandidaten waren völlig chancenlos, weil sie niemand kannte“, sagt Beate Eschment, Zentralasienexpertin vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Zudem seien sie zeitlich von den um mehrere Monate vorgezogenen Neuwahlen völlig überrumpelt worden. „Mit seiner Wahl für nunmehr sieben Jahre hat Tokajew seine Macht zementiert; wie und ob die demokratischen Reformen weitergehen, muss man sehen“, sagte Eschment.
Den geringen Stimmenanteil für die Gegenkandidaten führt sie auch darauf zurück, dass die Wählerinnen und Wähler sich bewusst waren, dass diese Stimmen verloren sind. Protest sei auf dem Stimmzettel durch das Feld „Gegen alle“ zum Ausdruck gebracht worden. Hier kreuzten 5,8 Prozent an.
OSZE kritisiert mangelnden politischen Wettbewerb
Die internationale Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte einen mangelnden politischen Wettbewerb bei der Wahl. So hätten unabhängige Kandidaten nicht antreten dürfen, und die Hürden für die Registrierung seien hoch gewesen. Die Abstimmung war nach Ansicht der OSZE gut vorbereitet, aber in den Medien sei nur spärlich darüber berichtet worden. Es habe auch Fälle von Einschüchterung von Journalisten gegeben. Bei der Abstimmung in den Wahllokalen seien die Vorgaben im Allgemeinen eingehalten worden.
Während die Wahlbeteiligung 2019 noch 77,5 Prozent betrug, ging sie dieses Mal auf 69,4 Prozent zurück. In der Millionenmetropole Almaty gingen gar nur 28,7 Prozent der Berechtigten an die Wahlurnen. Auch in anderen großen Städten war die Beteiligung geringer als auf dem Land. Eschment wertet auch das als „indirekten Widerstand“ und Ausdruck der Unzufriedenheit der Bürgerinnern und Bürger mit dem politischen System.
Tokajew hat mit einer Verfassungsänderung die Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre angehoben, zugleich aber auch auf eine Wahlperiode beschränkt. 2023 soll es vorgezogene Parlamentswahlen geben, zu denen auch neu gegründete Parteien zugelassen werden sollen. „Das wäre ein sehr wichtiger Schritt, um das politische Klima zu verbessern“, sagt Beate Eschment, die erst vor 14 Tagen in Kasachstan war und in Teilen der intellektuellen Elite des Landes eine gedrückte Stimmung ausgemacht hat. Durch eine Verfassungsreform im Juni hat Tokajew die Registrierung und Gründung von neuen Parteien wesentlich vereinfacht. „Inwieweit das dazu beiträgt, dass sich eine echte Opposition etablieren kann, wird erst die Zukunft zeigen“, sagt Eschment.
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Putins Problem: Russland verliert seine klügsten Köpfe
Junge und gut ausgebildete Nachwuchskräfte: Sie sind der Schatz jeder Volkswirtschaft. Doch in Russland setzen sich genau jungen diese Leute wegen des Ukraine-Konflikts gerade massenhaft in südliche Nachbarländer ab. Deren Wirtschaftswachstum geht durch die Decke.
Tokajew beendet Personenkult seines Vorgängers
In der öl- und gasreichen Ex-Sowjetrepublik Kasachstan mit ihren 19 Millionen Einwohnern hatte Tokajew im März 2019 seinen autoritären Vorgänger Nursultan Nasarbajew (82) als Präsident beerbt, der das Land rund 30 Jahre lang regierte. Im Zuge der schweren Unruhen im Januar 2022 mit Toten und Verletzten verlor Nasarbajew weitere entscheidende Kompetenzen, wie den Posten den Chefs des Sicherheitsrates. Zudem kündigte Tokajew ein Ende des Personenkults um Nasarbajew an und ließ unter anderem die 2019 zu Ehren des Ex-Präsidenten in Nur-Sultan umbenannte Hauptstadt wieder in Astana zurück benennen.
„Während meines Besuchs in Almaty kurz vor der Wahl habe ich nicht ein Plakat mit dem Porträt Tokajews gesehen“, berichtet Eschment und wertet auch dies als Versuch des neuen Präsidenten, weniger Kult um die eigene Person zu betreiben. Allerdings habe Tokajew dies als omnipräsenter Amtsinhaber auch nicht nötig gehabt.
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Kasachische Annäherung an China
Kasachstan versucht seit Längerem, durch einen Annäherungskurs zu China die einseitige Abhängigkeit von Russland zu verringern, mit dem das Land eine 7000 Kilometer lange Grenze und traditionell enge wirtschaftliche Verflechtungen verbindet bis hin zum Weltraumbahnhof Baikonur. Mitte September besuchte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Kasachstan und bekräftigte dort, dass China Kasachstan bei der Wahrung seiner nationalen Unabhängigkeit und bei der Abwehr jeglicher Einmischung in innere Angelegenheiten unterstützen werde.
Russland wurde zwar nicht explizit erwähnt, aber Beate Eschment sagt, dass man diese Aussagen in Kasachstan schon als eine Art Schutzversprechen interpretiere, falls Moskaus Expansionsdrang nicht bei der Ukraine endet. Russische Nationalisten bezeichnen auch Kasachstan als „künstliches Gebilde“.
Lavieren zwischen China und Russland
Tokajew indes versucht, Moskau bei Laune zu halten. Nachdem Präsident Wladimir Putin im Februar verkündete, Russland werde die ostukrainischen Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk anerkennen, ließ Kasachstan zwar verlauten, dies nicht zu tun. Tokajew bekräftigte das dann auch noch einmal öffentlich im Juni bei einem Treffen mit Putin in St. Petersburg. Zugleich gab Kasachstans Präsident aber klar zu erkennen, sein Land werde weiter aktiv in der von Putin 2014 initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion mitarbeiten.
Ebenso hatte Tokajew nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine relativ schnell verlauten lassen, sein Land könne der EU mehr Öl und Gas liefern. Anfang August war dann Energieminister Bolat Aktschulakow zurückgerudert und hatte mitgeteilt, so einfach ginge das nicht. Tatsächlich verlaufen 90 Prozent der kasachischen Lieferstränge über russisches Territorium, und Moskau hat den kasachischen Ölexport zuletzt mehrfach gestört.
Anfang Juli etwa hatte ein russisches Gericht verfügt, dass das für den Ölexport über See bestimmte Terminal in der russischen Schwarzmeerhafenstadt Noworossijsk für 30 Tage seinen Betrieb einstellen muss. Zur Begründung hieß es offiziell, es drohten Umweltschäden. Beate Eschment meint, Tokajew habe im Kurs gegenüber Moskau keine große Wahl: „Es käme einem Selbstmord Kasachstans gleich, wenn er in der jetzigen Situation versuchen würde, sein Land gegen Russland total abzugrenzen.“