Keine Präsenzpflicht an Schulen wegen Omikron? Das sagen Experten
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Präsenzpflicht aufheben? Was Experten dazu sagen.
© Quelle: Julian Stratenschulte/Archiv
Die Entscheidung kam kurzfristig: Am Montagmittag hat Berlin verkündet, dem Beispiel Brandenburgs zu folgen und die Präsenzpflicht an Schulen vorübergehend auszusetzen. Bereits am heutigen Dienstag müssen Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. Ähnliche Forderungen gibt es auch aus der Hamburger Bürgerschaft. „Das starre Festhalten an der Präsenzpflicht an den Schulen ist zu einem Zwang zur Infektion geworden“, sagte die schulpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Boeddinghaus.
Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie geht davon aus, dass Berlin nicht das letzte Land sein wird. „Ich rechne damit, dass nach Berlin auch weitere Länder über ein Aussetzen der Präsenzpflicht nachdenken“, sagte Zeeb im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Präsenzpflicht an Schulen auszusetzen sei aber die letzte Maßnahme, die ein Land treffen könne.
Aufhebung der Präsenzpflicht verstärkt Ungleichheit
Zeeb betonte, dass die Aufhebung der Präsenzpflicht aus epidemiologischer Sicht sinnvoll sei, um Kontakte zu reduzieren. „Allerdings muss man bedenken, dass nicht alle Eltern ihre Kinder zu Hause lassen und dort betreuen können. Es gehen also weiterhin Kinder in die Schule und können sich dort anstecken.“ Außerdem führe die Aufhebung der Präsenzpflicht zu mehr Ungleichheit, weil nicht alle Kinder zu Hause von ihren Eltern unterstützt werden. Präsenzunterricht müsse grundsätzlich vorgezogen werden, solange gute Schutzbedingungen durch die Schulleitungen gesichert werden könnten.
Es könne prinzipiell richtig sein, die Präsenzpflicht in Schulen aufzuheben, meint der Virologe Klaus Stöhr im Gespräch mit dem RND. „Aber dafür sollte Evidenz für eine vorliegende Gefahr für die Gesundheit der Kinder vorliegen.“ Konkret wirft Stöhr etwa die Frage auf, wie viel man an Krankheitslast bei Kindern mit dieser Maßnahme reduzieren könne.
Weiter müsse man sich fragen, wie viele Erkrankungen durch die Aufhebung der Präsenzpflicht verhindert, Infektionen bei Vulnerablen reduziert und Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Kurz gesagt: Stöhr sieht die Effektivität einer Aufhebung der Präsenzpflicht nicht durch ausreichend Daten gedeckt. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), die circa 60 Prozent der Kinderkrankenhäuser in Deutschland abdeckt, würden weniger als 30 Kinder wegen oder mit Covid-19 im Krankenhaus liegen „und keines auf der Intensivstation“, erklärte der Virologe. „Ohne Daten ist die Aufhebung der Präsenzpflicht zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachvollziehbar.“
Stöhr kritisiert, dass bei den vergangenen Corona-Beratungen nie über eine Entlastung der Schülerinnen und Schüler gesprochen wurde. „Auf Kinder wurde jedes Mal bei Verschärfungen geschielt; aber nie bei Lockerungen. Was sind die medizinischen oder gesundheitlichen Gründe, die Maßnahmen bei Kindern ‚weiter auf Kurs zu halten‘?“ In anderen Ländern Europas gebe es gar keine Maskenpflicht mehr in Schulen, sagte Stöhr etwa mit Blick auf Dänemark. „Es ist fraglich, ob die Maskenpflicht und das anlasslose Testen in Deutschland noch sinnvoll sind.“