Kirchenaustritte, Missbrauch und Diskriminierung: Schafft es die Kirche aus der Krise?

Wolken ziehen am Himmel über den Türmen der Peterskirche in der historischen Altstadt von Görlitz auf.

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In der Corona-Pandemie ist die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland leicht zurückgegangen, bleibt aber auf einem hohen Niveau. Experten machen für den Rückgang geschlossene Austrittsstellen in der Pandemie verantwortlich. Außerdem würden Menschen in der Krise Entscheidungen wie den Kirchenaustritt verschieben. Schon jetzt zeichnet sich in vielen evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern ab, dass 2021 viele Menschen den Austritt nachholen. Gleichzeitig versuchen die beiden großen Kirchen, mit unterschiedlichen Maßnahmen ihre Gläubigen von einen Verbleib in der Kirche zu überzeugen. „Dazu gehört an allererster Stelle die gründliche Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs. Und dazu gehört die Frage nach Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing.

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„Die katholische Kirche hat ein Imageproblem“

Die Kirchen kämpfen mit einer Vielzahl an Problemen, vor allem die katholische Kirche. Der Theologe Prof. Ulrich Riegel meint: „Die katholische Kirche hat ein Imageproblem: Sie gilt als altmodisch und als nicht in dieser Zeit angekommen“. Gegen dieses Image anzukommen sei aufwändig und werde wohl lange Zeit brauchen. „Wenn die Menschen der Meinung sind, das Produkt taugt nichts, bringt reines Marketing nichts“. Maßgeblich für das schlechte Image sei das Thema Missbrauch, allerdings zeige sich: „Missbrauch ist inzwischen immer weniger der Austrittsgrund, stattdessen sind persönliche Erlebnisse meist der Grund für den Austritt“, so Riegel im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Doch das Bild von der altmodischen Kirche trügt, meint der Religionssoziologe Prof. Detlef Pollack. „Viele Menschen haben ein Bild von der Kirche, das mit der gelebten Wirklichkeit in den Kirchen nicht viel zu tun hat“. Die Kirchen hätten sich viel stärker verändert als das Bild der Menschen von der Kirche. „Viele Menschen gehen schlichtweg nicht mehr in die Kirche und haben deshalb gar keine Vorstellung davon, was dort passiert“, sagt Pollack. Die Essener Religionswissenschaftlerin Regina Laudage-Kleeberg bestätigt: „Die katholische Kirche hat in den letzten Jahren viel in den Bereichen Prävention und Intervention nachgebessert“. Gleichzeitig werde sehr genau darauf geschaut, was die katholische Kirche tut „und sie macht leider immer noch Fehler“, räumt Laudage-Kleeberg ein.

EKD-Ratsvorsitzender: Menschen zurückgewinnen

Für den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sind die Mitgliedschaftszahlen heute aber ehrlicher als früher. „Denn heute entscheiden sich die Menschen aus Freiheit Mitglied der Kirche zu sein“, sagte er dem RND an und kündigte an, Menschen für die Kirche zurückgewinnen zu wollen. Konkret bedeute das: „Ungewöhnliches machen, etwas wagen, Position beziehen und für die Menschen da sein“. Religionssoziologe Pollack verweist allerdings darauf, dass die Kirche schon jetzt nahe an den Problemen der Gesellschaft dran sei. „Die Kirchen engagieren sich in der Gesellschaft, zum Beispiel in Umwelt- und Menschenrechtsfragen“, sagt der Experten, und trotzdem bleiben die Austrittszahlen auf einem hohen Niveau. „Es ist tragisch, dass trotzdem so viele Menschen austreten und das Image der Kirche so schlecht ist“, so Pollack gegenüber dem RND. Die Kirchen hätten sich viel stärker verändert als das Bild der Menschen von der Kirche.

Das schlechte Kirchenimage sorgt schon lange für ein Brodeln in den eigenen Reihen. Gregor Podschun, Vorsitzende des größten Katholiken-Verbands BDKJ, kritisiert im RND-Interview, dass die Bischöfe nur unzureichend auf die vielen Austritte reagiert hätten. Er fordert strukturelle Reformen in der Kirche, die Missbrauch verhindern. „Die deutschen Bischöfe müssen Rom überzeugen und ihre Amtskollegen in der Weltkirche ebenfalls“, so Podschun im Gespräch mit dem RND. Auch einen deutschen Sonderweg gegen den Willen Roms hält er für denkbar: „Die Priorität muss sein: Wir verhindern sexualisierte Gewalt, auch wenn wir damit die Einheit der Kirche zerstören“.

Reformen in der katholischen Kirche

Die katholische Kirche arbeitet bereits an Veränderungen und hat 2019 den Reformdialog Synodaler Weg begonnen. Bischöfe und Laien wollen sich den Konfliktthemen der Kirchen annehmen und Reformen beschließen. Macht, Missbrauch, Gewaltenteilung und die Rolle der Frau in der Kirche sind nur einige der strittigen Themen. Bischof Bätzing hofft, dass „der Synodale Weg seinen Beitrag dazu leisten kann, neues Vertrauen aufzubauen“. Auch für viele Katholiken stellt der Synodale Weg eine „Bewährungsprobe“ dar, meint die Erfurter Theologin Prof. Julia Knop. „Wenn das Ergebnis nicht ernst zu nehmen ist, rechne ich mit einer Vielzahl weiterer Kirchenaustritte“, so die Erfurter Theologin.

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Wie groß die Aussichten auf Reformen wirklich sind, wird sich beim nächsten Treffen der Beteiligten Ende September zeigen. Experten sind aber skeptisch, Prof. Ulrich Riegel meint: „Der Synodale Weg wird wohl nicht dazu führen, dass weniger Menschen aus der Kirche austreten. Dafür seien die Erwartungen an den Synodalen Weg zu hoch. Glaubt etwa jemand ernsthaft, dass die katholische Kirche zum Beispiel den Zölibat abschafft, weil in Deutschland darüber diskutiert wird?“ Das sei bei einer Weltkirche nahezu ausgeschlossen. Seiner Einschätzung nach sei es aber ein riesiger Schritt nach vorne, dass über solche kontroversen Themen diskutiert werde.

Scheitern die Reformen in der katholischen Kirche?

Dass Reformen an der Weltkirche scheitern könnten, wird immer wieder als Argument hervorgebracht. Laudage-Kleeberg betont aber: „In den theologischen Debatten heißt es oft, das Schisma zwischen Deutschland und Rom ist längst da“. Sie glaube nicht, dass Deutschland aus dem Synodalen Weg heraus einen Sonderweg einschlagen werde. „Das wird an Angst, Mutlosigkeit oder Formalien scheitern“. Sie rechne aber damit, dass die katholische Kirche extrem schrumpft und deshalb gar nicht anders kann, als sich zu verändern.

Kirchenexperte Pollack glaubt ebenfalls nicht, dass der Synodale Weg oder andere Reformen zu einer Trendwende bei den Kirchenaustritten führen. Denn viele Menschen würden die Kirche für überholt halten oder könnten mit dem Glauben nichts mehr fangen. Zwar seien christliche Werte in der Gesellschaft weiterhin wichtig. Diese hätten sich aber längst in der Gesellschaft etabliert und werden laut Pollack auch ohne die Kirche weiter bestehen. „Die Kirche hat gewissermaßen einen Teil ihres Auftrags erfüllt“. Gerade aufgrund ihres gesellschaftlichen Einflusses, den sie über Jahrhunderte ausgeübt habe, falle es jetzt schwerer, ihre Notwendigkeit zu begründen.

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Vielzahl an Alternativen zur Kirche

„Auch wenn die Kirchen noch so dialogisch und sensibel handeln, sie werden immer wieder Antworten und Lehren vorgeben“, sagt Pollack. Allerdings wollen sich die Menschen heute nichts vorgeben lassen. Andere Organisationen könnten sich auf das Autonomiebedürfnis der Menschen besser einstellen, meint Pollack. „Man denke hier etwa an Freiwilligenorganisationen wie Amnesty International oder Greenpeace, in denen sich die Menschen für eine befristete Zeit und auf individuelle Weise engagieren“.

Wie verändert sich die Gesellschaft, wenn die Kirche fehlt?

Die Entwicklung der Austrittszahlen hat massive finanzielle Folgen, wie Religionswissenschaftlerin Laudage-Kleeberg erläutert. „Bei unserer Studie 2018 sind wir von 500 Euro Kirchensteuer pro Katholik ausgegangen“. Damals seien 0,5 Prozent der Katholiken ausgetreten, sodass dem Bistum Essen zwei Millionen Euro weniger Kirchensteuern jedes Jahr zur Verfügung stehen. „Das entspricht der Förderung für 20 Kitas oder zwei Schulen in unserem Bistum“.

Die Kirchenaustritte bleiben für das soziale Engagement der Kirche in der Gesellschaft nicht ohne Folgen, meint die Expertin. Sie fürchtet, dass die kirchlichen Träger für soziale Arbeit immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Dazu zählen zum Beispiel Krankenhäuser, Kitas und Pflegeeinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, die von den Kirchen unterstützt werden. „Vor allem kleinere Bistümer, wie das Bistum Essen, werden davon betroffen sein“.

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RND

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