Habeck bei Gas-Dilemma den Tränen nahe: „Das ist moralisch nicht schön“
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Robert Habeck (Grüne), Bundeswirtschaftsminister, war am Sonntagabend in der Talkshow von Anne Will zu Gast.
© Quelle: Markus Scholz/dpa
Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind es schwierige Entscheidungen, die er dieser Tage treffen muss. Das merkte man ihm am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“ an. Und man soll es ihm vermutlich auch anmerken. Denn Habeck weiß, dass die Entscheidung, die er treffen muss, moralisch zweifelhaft ist. Deutschland importiert weiterhin russische Energie und unterstützt damit den Krieg in der Ukraine.
Dafür rechtfertigte er sich in der Sendung: „Wir dürfen auf keinen Fall Putin und Russland den Triumph bieten, dass wir Maßnahmen wieder zurücknehmen müssen, weil wir sie nicht durchstehen.“ Bei Kohle, Öl und Gas wolle man sich Schritt für Schritt unabhängig machen. „Aber eben nicht sofort – das ist bitter. Das ist auch moralisch nicht schön, das zuzugeben.“
Die Forderung nach einem schnellen Embargo lehne er daher ab. „Wenn man jetzt den Schalter umlegt, wird es in Deutschland zu Lieferengpässen, zu Massenarbeitslosigkeit und Armut kommen“, erklärt Habeck seine Abwägung. Diese Situation könne mehrere Jahre andauern.
Deswegen sei es schlauer, erst die Vorbereitungen zu treffen und dann die Entscheidungen. Das sei eine elende Situation. Deutschland habe sich aber in den letzten zehn Jahren bewusst in diese Situation hineinmanövriert. „Teilweise gegen Warnungen“, kritisiert Habeck die Vorgängerregierung. „Jetzt sind wir in dieser Abhängigkeit und lösen uns so schnell wie es geht.“
Habeck den Tränen nahe: „Man kann sich nicht nur emotional leiten lassen“
Die Journalistin und deutsch-ukrainische Schriftstellerin Katja Petrowskaja war in der Sendung ebenfalls zu Gast. Anders als Habeck war sie nicht zugeschaltet, sondern saß in der Runde. Sie warf der Bundesregierung vor, der Ukraine zu wenig zu helfen. Habeck widersprach: „Wir haben Entscheidungen getroffen, die noch keine Bundesregierung in den letzten zehn Jahren getroffen hat.“
Deutschland beteilige sich am Widerstand in der Ukraine. „Wir liefern Waffen an die ukrainische Armee. Und das sind Waffen, die...Durchschlagskraft haben.“ Habeck muss an dieser Stelle schlucken. Angesichts der dramatischen Folgen plagt ihn offenbar sein Gewissen. Doch er hält beides für die richtige Entscheidung. Einerseits die Waffenlieferungen und Sanktionen. Andererseits die Ablehnung eines sofortigen Importstopps für russische Energie.
Gleichzeitig räumt Habeck ein, dass Deutschland nicht alle erdenklichen Sanktionen ausspiele. Denn „nicht alles was einem einfällt ist dann auch kluge Politik.“ So gebe es beispielsweise kein Verbot von russischen Weizen- und Lebensmittelexporten, „weil wir sonst eine Hungersnot hätten.“
Auch sei es richtig, keine schweren Panzer oder Flugzeuge an die Ukraine zu liefern, um keine Konfrontation zwischen Russland und der Nato zu provozieren. „So schwer es ist, so emotional die Bilder sind, so berührt, so traurig und verzweifelt alle sind – und das schließ die Regierungsmitglieder und mich persönlich mit ein – man kann sich nicht nur emotional leiten lassen“, sagte Habeck und wirkte, als könne er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
Tankrabatt? Habeck schmettert Lindners Vorstoß ab
Habeck erklärte, dass ein Embargo mit höheren Preisen einhergehe. Schon jetzt würden die Preise steigen, obwohl die Lieferungen aus Russland zurzeit weitergehen. Es sei bloß die Spekulation an den Märkten, die gerade für höhere Preise sorge. Er kündigte an, die Menschen in Deutschland entlasten zu wollen. „Die Hauptbelastung wird beim Heizen sein“, so Habeck. Doch auch Strom und Kraftstoff seien teuer. Daher plane die Bundesregierung ein Entlastungspaket.
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Zuvor hatte bereits Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen staatlichen Tankzuschuss angekündigt. Die Höhe stehe noch nicht fest, berichtete die „Bild“-Zeitung. Der FDP-Politiker plane aber laut dem Bericht, dass der Betrag beim Bezahlen an der Tankstelle abgezogen werden soll. Wusste Habeck von dieser Ankündigung? Zunächst wollte der Wirtschaftsminister Lindners „Tankrabatt“ nicht kommentieren. Dann erklärte er aber, es seien „lauter Vorschläger auf dem Markt“. Es sei klug, sich einmal zusammenzusetzen und dann die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Geeignete Maßnahmen müssten immer drei Punkte beinhalten. Sie müssten erstens umfassend sein, also die verschiedenen Energieträger berücksichtigen. Zweitens kombiniert sein mit Effizienzmaßnahmen, die zu geringerem Energieverbrauch führen und drittens ein marktwirtschaftliches Signal beinhalten, damit es sich lohnt, weniger Energie zu verbrauchen. „Alle drei Maßnahmen sind in dem Vorschlag von Christian Lindner noch nicht abgebildet. Insofern kann man das noch ein bisschen besser machen.“ Eine kleine, aber eindeutige Spitze gegen den Finanzminister.
Twitter-Nutzer loben Habecks Auftritt
In den sozialen Medien bekam Habeck viel Lob für seinen Auftritt. Nutzerinnen und Nutzer bewerteten seine transparente Kommunikation positiv und dass er die schwierigen Abwägungen offen anspreche. „Habeck reagiert besonnen und gibt ausführliche Antworten zu völlig unklaren Situationen“, twitterte ein Nutzer. Und ein anderer: „Robert Habeck befindet sich in einem fucking moralischen Dilemma. Man sieht es ihm an, wie sehr es an ihm nagt. Ganz viel Respekt von mir, ich will nicht in seiner Haut stecken.“
Katja Petrowskaja bekräftigte dagegen ihre Forderung an die Bundesregierung, stärker gegen Russland vorzugehen. „Was muss noch geschehen? Brauchen wir 100.000 Tote? Was brauchen wir, um den Himmel zu schließen und mehr Waffen zu liefern?“, fragte Schriftstellerin verärgert. Putin verstehe nur die Sprache der Härte. Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil betonte, dass Deutschland bereits sehr viel für die Ukraine tue und getan habe. In der Vergangenheit habe man sich immer wieder mit Putin an einen Tisch gesetzt und gehofft, dass der Weg des Völkerrechts und der Diplomatie funktioniere. „Aus heutiger Sicht muss man sagen, das war eine Fehleinschätzung.“
Ein Energieembargo lehnt aber auch Klingbeil ab. Dieser Weg sei wegen der steigenden Energiepreise „nicht klug“. Er werde bei Veranstaltungen im Wahlkreis immer wieder von Menschen angesprochen, die sich Sorgen um den hohen Spritpreis machen.
Kiesewetter: Auch Russland kann uns den Hahn abdrehen
Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter mahnte, dass „uns auch Russland den Hahn abdrehen kann“. Deutschland müsse Putin „den Geldhahn abdrehen“, forderte er. Schließlich gehen aus der EU jeden Tag 600 bis 700 Millionen Euro für Energielieferungen an Russland. Auf Nord Stream 1 müsse man daher verzichten und den Menschen ehrlich sagen, welche Folgen das habe.
Klingbeil hält davon nichts: Aus seiner Sicht sei es nicht möglich, sofort unabhängig von russischem Öl und Gas zu sein. „Das würde einen massiven Schaden für die Wirtschaft bedeuten“, so Klingbeil. Er sieht zudem den sozialen Zusammenhalt gefährdet.
Doch was würde ein Energieembargo überhaupt bringen? Die Politikwissenschaftlerin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gab zu bedenken, dass ein solcher Importstopp vor allem langfristige Effekte habe. „Es geht letztlich darum, wer länger durchhält.“ Sie plädierte daher für einen gestaffelten Ausstieg und eine Unterstützung durch die USA. Auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wirken sich erst langfristig aus, so die Expertin.
Zu kurzfristigen Maßnahmen wie Waffenlieferungen erklärte sie: Die Frage nach weiteren militärischen Hilfen sei immer eine Abwägung, ob dies einen Krieg von 30 Nato-Staaten, darunter drei Atommächte, gegen Russland zur Folge haben könnte. Die bisherige Friedensordnung sieht sie zerstört. Man müsse jetzt überlegen, wie Deutschland in einem „konfrontativen Nebeneinander mit Russland“ bestehen könne.
Ukrainischer Außenminister: mehr Sanktionen
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte in der Sendung von Deutschland schärfere Sanktionen. Er kritisierte, dass sich die Bundesregierung weigere, alle russische Banken aus dem Swift-System auszuschließen. „Wir brauchen mehr Sanktionen“, so Kuleba. „Sie haben dazu beigetragen, dass Russland so mächtig ist.“ Teile der russischen Militärfahrzeuge würden vom deutschen Unternehmen Bosch stammen, führt er als Beispiel an. Nun erhoffe sich die Ukraine von Deutschland die Unterstützung „mit allen möglichen Waffen“. Zudem soll sich die Bundesregierung für die EU-Mitgliedschaft der Ukraine einsetzen.
Erst die Ukraine, dann das Baltikum?
CDU-Politiker Kiesewetter äußerte die Sorge, dass Putin nach dem Fall der Ukraine nicht genug haben werde. „Wir müssen jetzt selbst Forderungen stellen“, so der CDU-Politiker und nannte unter anderem den Abzug von Mittelstreckenraketen aus Kaliningrad und den Truppenabzug aus den besetzten Gebieten Georgiens. Kiesewetter warnte zudem vor einem Angriff Russlands auf Moldawien und auf das Baltikum und verwies auf Putins Aussage, dass das Baltikum kein Existenzrecht habe, weil es früher eine Sowjetrepublik war. „Das müssen wir ernst und wörtlich nehmen.“
„Die Ausdehnung des Krieges steht unmittelbar bevor“, so Kiesewetter. In der Ostukraine würden die russischen Truppen sehr schnell vorankommen. Ein Angriff auf Odessa stehe unmittelbar bevor und jetzt werde der Krieg auf den Westen der Ukraine ausgeweitet. Die schärfste Waffe Putins sei die Folgemigration – „viele Millionen Menschen“ werden die Ukraine verlassen, glaubt der Oberst a. D.