Lage in Frankreich eskaliert: Macron lädt Charles III. aus
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Proteste in Frankreich.
© Quelle: IMAGO/IP3press
Paris. Der französische Präsident und der britische König, die gemeinsam die Pariser Prachtstraße Champs-Élysées hinunterfahren, um anschließend im Spiegelsaal von Schloss Versailles zu speisen, während das Volk in ganz Frankreich wütend gegen die Rentenreform demonstriert – der Élysée-Palast wollte solche verstörenden Bilder vermeiden. Am gestrigen Freitag gab er bekannt, die geplante Staatsvisite von Charles III. und seiner Ehefrau Camilla mit Rücksicht auf den nächsten Streik- und Protesttag am Dienstag zu verschieben. Die Entscheidung sei nach einem Telefonat zwischen dem Monarchen und Präsident Emmanuel Macron gefallen. Die Bitte, einen neuen Termin zu finden, ging von Macron aus, wie er am Rande des EU-Gipfels in Brüssel bestätigte. „Wir müssen das organisieren, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist“, sagte er.
Geplant war eigentlich, dass das royale Paar von Sonntag bis Mittwoch Paris und Bordeaux besucht und im Anschluss weiter nach Deutschland fährt. Der zweite Teil der Reise nach Berlin und Hamburg wird auch beibehalten. Damit führt der erste offizielle Staatsbesuch des neuen Königs des Vereinigten Königreichs nicht nach Paris, wie es die Tradition gewollt hätte. Denn es war auch das erste ausländische Reiseziel seiner Mutter Elizabeth als Kronprinzessin im Jahr 1948. Darauf war man im von den Royals begeisterten Frankreich nicht wenig stolz. Auch erhoffte man sich ein Signal für verbesserte Beziehungen zwischen beiden Ländern, die sich infolge des Brexit zeitweise auf einem Tiefpunkt befanden.
„Was für ein Bild gibt unser Land ab“
Die Reaktionen auf die Absage reichten von Enttäuschung bis Triumph, je nach Perspektive. Als „bedauerlich“ bezeichnete sie der Republikaner-Chef Éric Ciotti: „Was für ein Bild gibt unser Land ab, das nicht einmal die Sicherheit eines Staatsoberhaupts gewährleisten kann!“ Der Linkspolitiker François Ruffin monierte, der französische Präsident telefoniere zwar mit Charles III., aber nicht mit den Gewerkschaften; er höre auf ausländische Könige, doch nicht auf die französischen Arbeiter und Arbeiterinnen. „Die Monarchie wankt“, reagierte Ruffins Parteifreundin Clémentine Autain, in Anspielung auf den wiederholten Vorwurf, Macron habe königlich anmutende Allüren.
Die Absage lässt sich wie ein Eingeständnis lesen, dass die Lage im Land außer Kontrolle zu geraten droht. Noch am Mittwoch gab sich der 45-Jährige in einem Fernsehinterview betont selbstbewusst und gelassen. Zwei Tage zuvor hatte seine Regierung ein Misstrauensvotum nur knapp überstanden, nachdem die umstrittene Rentenreform am Parlament vorbei einfach verordnet worden war, um eine mögliche Ablehnung zu verhindern. Macron aber wollte nach vorne blicken: „Ich bin mir sicher, dass wir es schaffen werden, für die Zukunft des Landes zusammenzufinden.“ Fälschlicherweise behauptete er, die Gewerkschaften hätten bei den Verhandlungen um die Reform keinerlei Gegenvorschläge gemacht. Auch dass er den Widerstand dagegen in einem Atemzug mit dem Sturm auf das US-Kapitol im Januar 2021 nannte, feuerte den Zorn der Reformgegner noch weiter an.
König Charles III. muss Frankreich-Besuch wegen der Proteste verschieben
Der Staatsbesuch von König Charles III. in Frankreich wird wegen der heftigen Rentenproteste verschoben.
© Quelle: dpa
Wann sich die Lage in Frankreich beruhigen soll: völlig ungewiss
An einem neuerlichen Protesttag am Donnerstag beteiligten sich landesweit laut dem Innenministerium mehr als eine Million Menschen, die Gewerkschaft CGT zählte sogar 3,5 Millionen. Seit Tagen kommt es zu Krawallen. In Bordeaux brannte in der Nacht auf Freitag die Tür des Rathauses, im bretonischen Lorient ein Polizeikommissariat, auch in weiteren Städten gab es heftige Zusammenstöße mit der Polizei. In Paris ging an etlichen Stellen der Abfall, der sich durch einen Streik der Müllabfuhr seit fast drei Wochen in den Straßen türmt, in Flammen auf. Mehr als 440 Polizistinnen und Polizisten wurden verletzt, doch auch den Ordnungskräften wird vorgeworfen, übermäßig rabiat gegen die Protestierenden vorzugehen. Erinnerungen an die mitunter brutal verlaufenden Proteste der Gelbwesten werden wach.
Aus Macrons Umfeld waren zuletzt Zweifel laut geworden, ausreichend Sicherheitskräfte für zwei Großereignisse mobilisieren zu können – die Proteste und den geplanten Staatsbesuch. Zweiterer ist nicht abgesagt, nur verschoben. Wann und wie sich die Lage in Frankreich beruhigen soll, erscheint derzeit völlig ungewiss. Macron sprach am Freitag von „Beginn des Sommers“.