Klimaprotest-Kommentar

Letzte Generation: Wo ist der Weg aus der Sackgasse?

Rund 90 Menschen versammelten sich an Heiligabend 2022 vor der JVA Stadelheim in München, um für die Freilassung von Aktivisten der Letzten Generation zu demonstrieren. Der Jesuitenpater Jörg Alt hatte gemeinsam mit weiteren Geistlichen zur Kundgebung aufgerufen.

Rund 90 Menschen versammelten sich an Heiligabend 2022 vor der JVA Stadelheim in München, um für die Freilassung von Aktivisten der Letzten Generation zu demonstrieren. Der Jesuitenpater Jörg Alt hatte gemeinsam mit weiteren Geistlichen zur Kundgebung aufgerufen.

Es war ein grauer Januartag vor fast einem Jahr, als sich zwei Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten erstmals auf den nasskalten Asphalt einer Berliner Autobahnzufahrt klebten.

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Hätte man ihnen damals gesagt, der Bundespräsident würde sie am Ende des Jahres in seiner Weihnachtsansprache prominent erwähnen, es hätte ihnen vielleicht das Herz erwärmt.

Doch der Kontext, in dem Frank-Walter Steinmeier fast genau elf Monate später über sie spricht, ist ablehnend. Wir brauchen beides, sagte Steinmeier zum Kampf gegen den Klimawandel, „den Ehrgeiz der Jungen“ und „die Erfahrung der Alten“. „Denn wir alle haben doch ein gemeinsames Ziel, dass die Jüngeren nicht die letzte Generation sind, sondern die erste Generation einer klimafreundlichen Welt.“

Er wünsche sich zwar, dass die Jüngeren sich engagierten, „dass sie kritisch sind“ – „aber ohne der Sache des Klimaschutzes zu schaden, indem sie andere gegen sich aufbringen.“

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Das ist der Status, den die Letzte Generation nach einem Jahr voller Proteste, Blockaden, Debatten und 2200 Strafanzeigen allein in Berlin innehat: die Störenfriede der Nation. Nun auch präsidial beglaubigt.

Bundespräsident Steinmeier: Unterstützung der Ukraine ist „Gebot der Menschlichkeit“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Aufnahme seiner Weihnachtsansprache 2022 im Schloss Bellevue.

Ein Friede in der Ukraine sei noch nicht greifbar, sagte der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache.

Zwei verschiedene Wahrnehmungen

Den jüngsten Empörungskick bescherte die verhinderte Kaperung des ARD-Live-Gottesdienstes an Heiligabend. Da es Hinweise auf die geplante Aktion gab, war die Sendung schon am Vortag aufgezeichnet worden.

Aber selbst ein vereitelter Protest der Letzten Generation erregt die Gemüter.

„Wer an Weihnachten einen Gottesdienst stürmen möchte, um für politische Ziele zu werben, dem ist nicht mehr zu helfen“, twittert Justizminister Marco Buschmann am ersten Weihnachtstag. „So findet man keine Unterstützer, sondern bloß Gegner. Die Letzte Generation schadet seriösem Klimaschutz.“

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Die Letzte Generation erwidert, zwei Mitglieder von ihnen „wollten sich im Verlauf des Gottesdienstes mit Warnweste bekleidet friedlich an die Krippe stellen als Zeichen dafür, dass die Geburt dieses Kindes, von dem man sagt, dass es die Welt verändern wird, auch uns Hoffnung macht.“

Der Justizminister spricht von der Stürmung einer Kirche, was Assoziationen eines terroristischen Aktes weckt. Die Letzte Generation dagegen gibt sich als Unschuldslamm, als willkommener Nebendarsteller des Krippenspiels. Die Wahrnehmungen könnten nicht weiter voneinander entfernt liegen.

Der Protest droht immer stumpfer zu werden

Und genau hier liegt das Problem. Ein ernsthafter Dialog ist so schlicht unmöglich. Es braucht aber genau jetzt einen direkten Austausch, ein Aufeinanderzugehen von Aktivisten und Politik, um die Situation zu lösen. Es kann nicht im Sinne der Gesellschaft sein, dass eine Gruppe von weniger als 1000 Menschen Millionen Deutsche im Wochentakt gegen sich aufbringt, da hat Steinmeier recht. Andererseits scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Mitglieder der Bewegung bei ihren immer spektakuläreren Aktionen, sich selbst oder – unbeabsichtigt – andere verletzen.

Zu Recht wollen vor allem junge Menschen auf ihre Ohnmacht, auf die schneckenlangsamen Kimabemühungen der Politik aufmerksam machen. Das hat die Letzte Generation geschafft.

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Doch politisch gibt es für die Bewegung nichts zu gewinnen. Ihre beiden Forderungen – ein Tempolimit und die dauerhafte Einführung des 9-Euro-Tickets – wird die Koalition nicht umsetzen, schon allein, um nicht den Eindruck zu erwecken, sich erpressen zu lassen. Und die Gruppe wird auch nicht bis zu einer Million Menschen auf die Straße bringen, so wie es Fridays for Future geschafft hat.

Die Letzte Generation befindet sich in der Sackgasse. Ihr ziviler Ungehorsam eignet sich nur bedingt für den täglichen Einsatz auf der Straße; ihre Aktionen müssen immer radikaler werden, damit sie gehört werden. Sonst nutzt sich ihr Protest ab. Die Bewegung sollte so klug sein, dies zu erkennen und es nicht so weit kommen zu lassen.

Es braucht eine Brücke aus der Ausnahmesituation, in die sich die Letzte Generation selbst manövriert hat – ihr selbst ausgerufener Widerstand dient längst nur noch dazu, Schlagzeilen zu produzieren.

Die Eskalationsspirale brechen

Die Politik sollte diesen Moment nutzen und auf die Gruppe zugehen. Auch um der Gesellschaft in aufgewühlten Zeiten etwas Ruhe zu geben. Zum Beispiel durch ein Gesprächsangebot, eine Einladung. Es muss kein Bundesminister dabei sein, kein Habeck, keine Lemke, kein Buschmann. Stattdessen vielleicht Mitarbeiterinnen von ihnen, Staatssekretäre, die sich mit der konkreten Erreichung der Klimaziele beschäftigen.

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Es geht dabei nicht darum, die Straftaten zu verharmlosen, die die Bewegung begeht. Es geht darum, sich auf einem niedrigen Level zu verständigen, die Schärfe aus der Debatte um eine drohende „Klima-RAF“ zu nehmen. Den Ton zügeln, die Zahl der Aktionen verringern; auch die Anhängerinnen und Anhänger von Fridays for Future gingen anfangs noch jeden Freitag auf die Straße. Vor allem aber sollte die Eskalationsspirale gebrochen werden – aus immer radikalerem Protest auf der einen und Razzien und Präventivhaft auf der anderen.

Es liegt dann an den Aktivistinnen selbst, ob sie dieses Angebot annehmen, von ihren definitiven Standpunkten zurücktreten und nach Kompromissen suchen. Sie könnten der Öffentlichkeit damit zeigen, dass sie tatsächlich mehr erreichen wollen, als zu stören. Und so vielleicht wirklich zu einer breitgefächerten Bewegung anwachsen. Ihr erstes Ziel, Aufmerksamkeit zu schaffen, haben sie erreicht. Jetzt muss die zweite Phase folgen, in der ihre Anliegen Eingang in die politische Diskussion finden.

Für den Staat wäre es eine Chance, sich als Lösungsfinder zu profilieren. Für die Letzte Generation eine Möglichkeit, sich zu sammeln und neu zu positionieren. Eventuell Protestformen zu finden, an denen sich mehr Menschen beteiligen wollen.

Würde die Bewegung ein Gesprächsangebot ablehnen, würde sie die harschen Urteile über sie legitimieren. Wer selbst nicht bereit ist, auf die andere Seite zuzugehen, verweigert den demokratischen Diskurs und offenbart sich damit als nicht mehrheitsfähig.

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