Linke Demokraten revoltieren – Bidens Brücken droht der Einsturz
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US-Präsident Joe Biden beantwortet Fragen von Journalisten in Washington.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Washington. Die Sonne begann hinter dem Kapitol zu versinken, als Josh Gottheimer dynamisch die Freitreppe des amerikanischen Parlamentsgebäudes hinunterstürmte. „Ich bin total optimistisch“, verkündete der Sprecher der moderaten Demokraten im Repräsentantenhaus den wartenden Journalisten. „Das wird heute durchgehen.“
Doch wenige Minuten später stand Pramila Jayapal, die Chefin der linken Fraktionsgruppe, an derselben Stelle und schüttelte den Kopf: „Entweder wird die Abstimmung verschoben oder sie scheitert.“
Die widersprüchlichen Szenen vor dem Kongress waren systematisch für das, was sich am Donnerstag in dem ehrwürdigen Kuppelbau abspielte: Die Demokraten argumentierten, sie debattierten, sie stritten – aber nicht mit den Republikanern, sondern mit sich selbst.
Ganze 17 dramatische Stunden dauerte das Gerangel, bis Fraktionschef Steny Hoyer kurz nach 23 Uhr Ortszeit die Abstimmung über das Infrastrukturgesetz absagte und für unbestimmte Zeit verschob. Am Freitag sollte weiterverhandelt werden.
Vorhaben ist Herzstück von Bidens Agenda
Hinter verschlossenen Türen geht es um nichts weniger als das Herzstück der politischen Agenda von Präsident Joe Biden – ein billionenschweres Investitionsvorhaben, das aus taktischen Gründen in zwei Teile geteilt wurde: das Infrastrukturgesetz und ein Sozial- und Klimapaket. Linke und rechte Demokraten wollen dem einen Paragrafenwerk nur zustimmen, wenn sich ihre jeweiligen Vorstellungen in dem anderen Paragrafenwerk wiederfinden. So geht seit Wochen nichts voran.
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Der Donnerstag sollte eigentlich der Tag der Entscheidung sein. Parlamentssprecherin Nancy Pelosi hatte die Abstimmung über das rund eine Billion Dollar schwere Infrastrukturgesetz mit Geldern für Straßen, Brücken und Netze fest angesetzt. Doch weil zwei rechte demokratische Senatoren gleichzeitig das geplante Sozial- und Klimapaket blockieren und massive Abstriche daran fordern, verweigerten die Parteilinken ihre Zustimmung. Pelosi musste einknicken – zumindest vorläufig.
„New York Times“: „Ein demütigender Schlag“
Die Revolte der Linken sei „ein demütigender Schlag für Biden und die Demokraten“, schreibt die „New York Times“. „Wenn die Wähler in Iowa mir sagen, dass sie die Spielchen in Washington leid sind, meinen sie genau das“, sagte die moderate Abgeordnete Cindy Axne verärgert. „Die Ära der produktiven demokratischen Gemeinsamkeit steht infrage. Und auch die heimische Biden-Agenda“, urteilte „New York Times“-Kolumnist David Leonhardt düster.
Tatsächlich wirken die Gegensätze zwischen den beiden Parteiflügeln schwer überbrückbar. Während die Linken um die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und den parteilosen Senator Bernie Sanders ein Sozial- und Klimapaket im Umfang von 3,5 Billionen Dollar unter anderem mit kostenloser Kinderbetreuung, einer Ausweitung von Obamacare, einer Anhebung der Unternehmenssteuern und massiven Anreizen zur Energiewende fordern, will der rechte demokratische Senator Joe Manchin nur 1,5 Billionen Dollar akzeptieren.
Eine Beschränkung der fossilen Energien lehnt der Vertreter des Kohlestaats West Virginia ab. Seine Kollegin Kyrsten Sinema aus Arizona schließt Steuererhöhungen kategorisch aus. Ohne die Stimmen der beiden Abweichler aber hat das Gesetz im Senat keine Chance.
Doch nicht alle Akteure sind pessimistisch. „Wir sind einer Übereinkunft näher denn je“, behauptete Bidens Sprecherin Jen Psaki: „Wir brauchen nur etwas mehr Zeit.“ Der linke Nobelpreisträger Paul Krugman mochte sogar einen „taktischen Sieg“ der Biden-Regierung durch die Verschiebung der Abstimmung erblicken. Ebenso drastisch wie optimistisch urteilte die „Washington Post“: „Es kann sein, dass wir gerade beobachten, wie die Wurst gemacht wird. Das ist eklig. Aber es war nie anders.“
Immerhin konnten sich die Demokraten und einige Republikaner in beiden Häusern des Kongresses am Donnerstag auf einen Übergangshaushalt einigen, der den drohenden Shutdown zum Monatsanfang vorübergehend abwendet und diese jährliche Polit-Folkloreshow auf den 3. Dezember vertagt.
Wie es jedoch mit dem zentralen politischen Projekt des unter sinkenden Umfragewerten leidenden Präsidenten Biden weitergeht, schien am Freitag zunächst unklar. „Wir werden heute abstimmen“, versprach Nancy Pelosi in den frühen Morgenstunden tapfer. Genau das hatte sie auch am Vortag versprochen.