Darum macht Präsident Selenskyj um Berlin einen Bogen
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Winken für die Kamera: Premier Rishi Sunak und sein ukrainischer Gast Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch vor dem Amtssitz des britischen Regierungschefs in Downing Street No. 10.
© Quelle: Getty Images
Überraschend ist der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch in London vom neuen britischen Premierminister Rishi Sunak empfangen worden – anschließend geht es nach Paris zu Präsident Emmanuel Macron weiter. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird aus Berlin hinterherreisen.
„Willkommen im Vereinigten Königreich, Präsident Selenskyj“, schrieb Briten-Premier Sunak am Mittwoch auf Twitter. Er teilte ein Foto, auf dem er in einer vertrauten Umarmung mit seinem ukrainischen Gast zu sehen ist. Der Sender Sky News hatte zuvor die Landung des Präsidenten auf dem Londoner Flughafen Stansted live übertragen.
Vom polnischen Rzeszów ging es für Selenskyj am Mittwochmorgen per Flugzeug nach London. Der erste Stopp seiner Reise führt ihn in die Downing Street, dem Amtssitz des britischen Premiers. Später hat er vor dem britischen Parlament gesprochen und hat zudem ein Treffen mit König Charles III. im Buckingham-Palast. Selenskyj wird auch ukrainische Soldaten besuchen, die von der britischen Armee ausgebildet werden. Danach geht es dann weiter in die französische Hauptstadt zu Emmanuel Macron – und eben dem angereisten Olaf Scholz.
Es ist die zweite Reise Selenskyjs ins Ausland seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor fast einem Jahr; im Dezember war er in Washington. Großbritannien zählt mit den USA und der EU zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland. Insbesondere zwischen Ex-Premier Boris Johnson und Selenskyj bestand eine enge Verbindung.
Ukrainischer Präsident Selenskyj reist überraschend nach Großbritannien
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs ist der ukrainische Präsident erst ein einziges Mal im Ausland zu Besuch gewesen – und zwar in den USA.
© Quelle: dpa
Doch warum besucht Selenskyj nicht Berlin? Schließlich gab Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Kiew jüngst bekannt, dass das Bundeswirtschaftsministerium die Ausfuhr von bis zu 178 Leopard-1-Panzern in die Ukraine genehmigt hat. Deutschland ist nach den USA und neben Großbritannien einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine.
„Dass Selenskyj Deutschland besucht, ist nicht zu erwarten gewesen“, so der Politikwissenschaftler Thomas Jäger zum RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Aus ukrainischer Sicht musste die Bundesregierung ja stets zum Jagen getragen werden und wird auch innerhalb der EU eher als Bremser wahrgenommen“, sagt der Politikwissenschaftler von der Uni Köln.
Selenskyj weiß, dass er mit seinem Besuch in Deutschland eher Debatten befördern würde, die man nicht haben möchte.
Johannes Varwick,
Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
„Selenskyj weiß, dass er mit seinem Besuch in Deutschland eher Debatten befördern würde, die man nicht haben möchte. Daher ist es nachvollziehbar, dass er vor allem seine stärksten Unterstützer aufsucht, also die USA und eben jetzt Großbritannien“, ordnet Prof. Johannes Varwick von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegenüber dem RND ein.
Ein enormer Kraftakt
„Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass die Briten nicht mehr EU-Mitglied sind, denn so hat Selensky alle relevanten Verbündeten erreicht: Im Dezember 2022 die USA, jetzt London und anschließend Brüssel stellvertretend für alle EU-Staaten. Bemerkenswert finde ich, dass er überhaupt reist, was einem enormen Kraftakt und gleichzeitig auch einem politischen Statement angesichts einer drohenden Eskalation im Krieg gleichkommt“, so Varwick.
Selenskyj wirbt im US-Kongress um Unterstützung beider Parteien
Ein Zeichen der Verbundenheit: die von ukrainischen Soldaten signierte Landesflagge aus der belagerten Stadt Bachmut im US-Kongress.
© Quelle: Reuters
Für Thomas Jäger geht es bei den wenigen Auslandsauftritten Selenskyjs aber weniger um „echte Diplomatie“, dafür mehr um aussagekräftige Bilder. „Das Bild muss stimmen, als Signal an die Welt. Wie in Washington im Dezember: Nach außen wurde da der Eindruck einer Symbiose vermittelt, als habe der ukrainische Präsident beim wichtigsten Verbündeten offene Türen eingerannt. Doch wir wissen, dass es hinter den Türen Dissens gab, Selenskyj hat keineswegs das bekommen, was er damals haben wollte – Kampfpanzer und Kurzstreckenraketen zum Beispiel. Hängen blieb aber der Eindruck großer Harmonie. Und das war ihm wichtig.“
Am Donnerstag wird Selenskyj dann in Brüssel erwartet. Bereits am Montag hatte es aus dem Europäischen Parlament geheißen, dass es die „Wahrscheinlichkeit einer außerordentlichen Plenartagung in Anwesenheit des ukrainischen Präsidenten“ gebe.
Mit Agenturmaterial