„Londongrad“: Welche Rolle russische Oligarchen in London spielen
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Das Viertel Knightsbridge in London mit der Fassade des Nobelkaufhauses Harrods.
© Quelle: imago images/Pamela Amedzro / Da
London. Eine Frau mit einer imposanten braunen Pelzmütze und schwarzer Sonnenbrille wartet vor einer Privatschule auf ihr Kind, zwei junge Leute fahren mit einem glänzend-blauen Sportwagen vor, und in den Auslagen der Läden liegen Uhren im Wert um die 40.000 Euro. Ein Spaziergang durch das frühlingshaft anmutende Viertel Knightsbridge im Londoner Stadtbezirk Kensington und Chelsea, in dem sich auch das Nobelkaufhaus Harrods befindet, offenbart schnell: Wer hier wohnt, ist reich.
Neben wohlhabenden Briten besitzen hier Chinesen und Russen Häuser und Wohnungen, deren Wert nicht selten im zweistelligen Millionenbereich liegt, wie ein Blick in die Schaufenster der Immobilienagenturen erahnen lässt. Tatsächlich sind russische Staatsbürger, die im Zuge des Kollapses der Sowjetunion reich wurden, in manchen Vierteln Londons so zahlreich vertreten, dass die britische Hauptstadt auch „Londongrad“ und einzelne Orte, wie im Falle des Eaton Square, „Roter Platz“ genannt werden.
Unter den solventen Käufern aus dem Osten befinden sich auch viele putinnahe Oligarchen. Laut Transparency International, einer Nichtregierungsorganisation zur Bekämpfung von Korruption, ist in den vergangenen Jahren britisches Eigentum im Wert von mindestens 1,5 Milliarden Pfund an Russen verkauft worden, denen schmutzige Finanzgeschäfte vorgeworfen werden und die dem Kreml nahestehen.
Da verwundert es nicht, dass das „Moskau an der Themse“ zu einer eigenen Touristenattraktion geworden ist. Aktivisten wie Roman Borisovich nahmen interessierte Passagiere vor der Pandemie auf eine besondere Busfahrt von Highgate über St. John’s Wood nach Belgravia mit. Dort zeigten sie Häuser, die Kremlfreunden und deren Großfamilien gehören sollen.
Häuser, die diese Beobachtern zufolge nur deshalb erwerben können, weil Immobilienmakler und Banken angesichts krimineller Machenschaften wegschauen oder gar dabei helfen, Geldwäsche zu betreiben. „London ist einer der korruptesten Orte der Welt“, fasste Borisovich die Situation zusammen.
Die Sache mit den „goldenen Visa“
Beobachtern zufolge schaute der britische Staat auch bei der Vergabe der sogenannten Tier-1-Investoren-Visa, auch „goldene Visa“ genannt, nicht genau hin. Sie ermöglichten es Geschäftsleuten, für die Zahlung von knapp 2,4 Millionen Euro einen beschleunigten Aufenthaltsstatus zu erlangen. Seit der Einführung im Jahr 2008 sind auf diesem Wege etwa 11.000 Menschen nach Großbritannien gekommen, hauptsächlich aus Russland und China.
Zu denjenigen, die so ihren Weg nach Großbritannien fanden, gehörte auch die Aserbaidschanerin Zamira Hajiyeva. Die Frau, die einst rund 19 Millionen Euro im Kaufhaus Harrods ausgegeben hatte und mit einem Bankier verheiratet ist, der mittlerweile im Gefängnis sitzt. Heute jedoch könnte die 58-Jährige sich nicht mehr so einfach mit Geld den Weg auf die Insel bahnen. Denn Mitte Februar wurde das „goldene Visum“ endgültig abgeschafft, als Reaktion auf den drohenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine.
Hajiyeva war auch die Erste, die sich vor der britischen Finanzaufsichtsbehörde aufgrund eines im Jahr 2018 eingeführten Gesetzes im Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität rechtfertigen musste. Es ermöglicht dem Staat, Geld- oder andere Vermögenswerte zu prüfen, deren Finanzierung nicht plausibel ist. Hajiyevas ungeklärter Reichtum – darunter auch ein Haus in Knightsbridge im Wert von über 14 Millionen Euro – soll beschlagnahmt werden, stellen Politiker in Aussicht.
Kritiker halten diese Maßnahmen jedoch für deutlich zu halbherzig. „Die Gesetze scheinen angemessen, ihre Umsetzung nicht“, sagte der Ökonom und Aktivist Arthur Doohan dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Labour-Abgeordnete kritisierten in diesem Zusammenhang auch, dass es zu viele Verbindungen zwischen russischen Oligarchen und Spenden an die Tories gebe. Sie forderten die konservative Partei dazu auf, rund 2,4 Millionen Euro zurückzugeben.
Die Tories wiesen den Vorwurf zurück. „Alle Spenden stammen von Personen, die in Großbritannien im Wahlregister stehen, und wurden ordnungsgemäß deklariert“, sagte Außenministerin Liz Truss. Ein Bericht des parlamentarischen Komitees Intelligence and Security Committee machte 2020 überdies auf die mögliche Einflussnahme im House of Lords, dem britischen Oberhaus, aufmerksam.
Geld aus Russland, so betonen Beobachter, ist über die Jahre in viele Wirtschaftsbereiche gesickert, vor allem in Immobilien, und hat eine enorme Luxusserviceindustrie mit Vermögensberatern und Rechtsanwälten zum Erblühen gebracht.
„Diese hat wenig Interesse daran, Oligarchen als Kundschaft zu verlieren, ganz egal, ob sie Putin nahestehen oder ihr Geld in London waschen wollen“, sagte Elisabeth Schimpfössl, Soziologin an der Aston University und Autorin des Buches „Rich Russians“ (Reiche Russen), dem RND.
Auch innerhalb der Politik seien wenige motiviert, ihre lukrativen Beziehungen aufs Spiel zu setzen. „Johnsons individuelle Sanktionsliste ist gewissermaßen ein Signal an sie, dass sie sich in Großbritannien sicher fühlen können.“ Und auch die weiteren Maßnahmen bestätigten dies. „Die sogenannte Kleptokraten-Zelle“, eine Sonderermittlungsgruppe, die der Premier gründen will, um schmutziges Geld in Großbritannien ausfindig zu machen, „wird erst mal wenig Eindruck machen“.