Macron nach Telefonat mit Putin: „Das Schlimmste steht uns noch bevor“
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Französischer Präsident Emmanuel Macron
© Quelle: imago images/Xinhua
Kiew/Moskau. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angesichts des Ukraine-Kriegs am Donnerstag erneut mit Kremlchef Wladimir Putin telefoniert. Das bestätigten der Kreml und der Élyséepalast, zunächst ohne Angaben zum Inhalt. Wie es aus Paris hieß, dauerte das Telefonat am Vormittag eineinhalb Stunden. Im Anschluss habe Macron den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angerufen.
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Erst am Vorabend hatte Macron in einer Rede betont, er wolle weiter mit Putin reden. „Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland“, sagte Macron. „Ich habe mich dafür entschieden, mit Präsident Putin in Kontakt zu bleiben, und werde dies auch weiterhin tun, so gut ich kann und so viel wie nötig ist, um unermüdlich zu versuchen, ihn davon zu überzeugen, auf Waffengewalt zu verzichten.“
Nach Einschätzung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht im russischen Krieg gegen die Ukraine das Schlimmste noch bevor. Das verlautete aus dem Élyséepalast nach einem Telefonat Macrons mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Wie es in Paris weiter hieß, ist es Putins klares Ziel, die gesamte Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen.
Sie werden hier keine ruhige Minute haben.
Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj
In dem Telefonat mit Macron drohte Putin nach Kreml-Angaben, weitere Forderungen an die Ukraine zu stellen. Zuvorderst gehe es um die Demilitarisierung der Ukraine und deren neutralen Status. Putin habe betont, dass die Ziele der militärischen „Spezial-Operation“, wie Russland den Krieg bezeichnet, in jedem Fall erreicht werden.
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Nach Angaben aus Paris ging die Initiative für das Telefonat von Putin aus. Im Anschluss telefonierte Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der 44-Jährige gibt sich weiter kämpferisch. „Sie werden hier keinen Frieden haben, sie werden hier kein Essen haben, sie werden hier keine ruhige Minute haben“, sagte er in einer Videobotschaft.
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Die militärische Lage
Delegationen Russlands und der Ukraine trafen sich am Donnerstag ein zweites Mal zu Verhandlungen im Westen von Belarus. Das erste Treffen am Montag war ohne greifbare Ergebnisse geblieben. Am achten Kriegstag sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow: „Wir sind gesprächsbereit, aber wir werden unsere Operation fortsetzen.“ Putin hatte am 24. Februar den Angriff auf die Ukraine angeordnet.
Bei russischen Angriffen auf die ostukrainische Millionenstadt Charkiw und Umgebung sind nach Angaben örtlicher Behörden am Mittwoch und Donnerstag mindestens 34 Zivilisten getötet worden. 285 Menschen wurden zudem verletzt, darunter 10 Kinder, wie der regionale Zivilschutz mitteilte. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Die zweitgrößte Stadt des Landes liegt nahe der Grenze zu Russland. Sie ist seit Kriegsbeginn Ziel russischer Angriffe.
In Kiew gab es in der Nacht mehrere schwere Explosionen. Luftalarm wurde ausgelöst, wie die Agentur Unian berichtete. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko schrieb bei Telegram: „Der Feind versucht, in die Hauptstadt durchzubrechen.“ Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs setzten sich russische Truppen nördlich und nordwestlich von Kiew in 20 bis 30 Kilometern Entfernung von der Stadtgrenze fest und errichteten Feldlager.
Die südukrainische Hafenstadt Mariupol mit rund 440.000 Einwohnern ist nach Angaben örtlicher Behörden nach Luftangriffen ohne Wasser, Heizung und Strom. Nach russischen Angaben ist Mariupol inzwischen eingeschlossen. Die genaue Situation in der südlichen Gebietshauptstadt Cherson ist unklar. Die ukrainische Armee hat die Stadt offenbar aufgegeben. „Wir haben in der Stadt keine Streitkräfte der Ukraine, nur friedliche Bewohner, die hier leben wollen!“, schrieb Bürgermeister Ihor Kolychajew in der Nacht zum Donnerstag.
Nach ukrainischen Angaben wurden seit Beginn des Kriegs etwa 9000 russische Soldaten getötet. Hunderte Militärfahrzeuge, darunter mehr als 200 Panzer, sowie Dutzende Flugzeuge und Hubschrauber seien zerstört worden. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Russland hat 498 getötete Soldaten in den eigenen Reihen bestätigt.
Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen
Der Chefankläger des Weltstrafgerichts, Karim Khan, leitete Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine ein. Außenministerin Annalena Baerbock verlangte rasche Untersuchungen. „Schwere Menschenrechtsverletzungen müssen strafrechtlich verfolgt werden“, sagte sie in einer vorab aufgezeichneten Videobotschaft bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf.
Laut der Vereinten Nationen sind inzwischen mehr als eine Million Menschen auf der Flucht. Die EU-Staaten einigten sich darauf, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schnell und unkompliziert aufzunehmen. Dies teilte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Donnerstag auf Twitter mit. Johansson sagte am Rande eines Treffens der Innenminister in Brüssel: „Wir müssen uns auf Millionen Flüchtlinge vorbereiten, die in die Europäische Union kommen.“ Schon jetzt haben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) seit Beginn des Ukraine-Kriegs mehr als eine Million Menschen das Land verlassen.
Besteht die Gefahr eines Atomkriegs?
Der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow warnt vor der Gefahr eines Atomkriegs. „Das wäre natürlich ein Alptraum, aber ich schließe nicht aus, dass es irgendwann tatsächlich Versuchungen geben könnte, auf den nuklearen Knopf zu drücken“, sagte er.
Angesichts solcher Warnungen warf Russland dem Westen Panikmache vor. „Alle wissen, dass ein Dritter Weltkrieg nur ein nuklearer sein kann“, sagte Lawrow. Diese Frage stelle sich aber nur in den Köpfen westlicher Politiker und nicht in denen der Russen.
Kremlkritischer Radiosender Echo Moskwy wird geschlossen
Der in Russland populäre kremlkritische Radiosender Echo Moskwy wird geschlossen. Der Verwaltungsrat habe entschieden, den Sender und seine Internetseite zu schließen, teilte Chefredakteur Alexej Wenediktow in Moskau mit. Der Sender hatte kritisch über Russlands Krieg berichtet. Für viele Russen, die Propaganda der Staatsmedien ablehnen, ist der Sender die wichtigste Informationsquelle.
Angesichts des harten Vorgehens der Behörden stellt der unabhängige Online-Sender Doschd vorübergehend die Arbeit ein. „Wir brauchen Kraft, um durchzuatmen und zu verstehen, wie wir weiterarbeiten“, sagte Doschd-Chefin Natalia Sindejewa. Chefredakteur Tichon Dsjadko hatte am Mittwoch mitgeteilt, er sowie weitere führende Redaktionsmitglieder hätten das Land verlassen.
RND/dpa