Gesetz gegen „ausländische Agenten“

Ein Land zwischen Russland und Europa: Warum in Georgien Tausende Menschen auf die Straße gehen

Der Rücknahme der Pläne vorausgegangen waren zwei Nächte mit gewaltsamen Protesten.

Berlin. Beim Kurznachrichtendienst Twitter sorgen Bilder für Aufsehen, die eine junge Frau in Georgiens Hauptstadt Tiflis zeigen, die während einer Protestdemonstration mutig eine Europafahne in den mächtigen Strahl eines Wasserwerfers schwenkt.

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Das Bild hat einen hohen Symbolwert, denn es steht für die Frage, ob Georgien auf prowestlichem Kurs bleibt oder sich wieder Russland annähert, inklusive der damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen.

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Auslöser der Demonstration, an der die junge Frau teilnahm, ist ein Gesetz, das die Regierungspartei Georgischer Traum am Dienstag mit 76 von 150 Stimmen durch die erste Lesung gebracht hat. Es sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Medien, die mindestens 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten, verpflichtet werden, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen. Zur Erinnerung: 2012 trat ein ähnliches Gesetz in Russland in Kraft und führte am Ende zum Verbot aller oppositionellen NGOs.

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Eine mutige Frau schwenkte in Tiflis während einer Demonstration eine Europafahne im Strahl eines Wasserwerfers.

Eine mutige Frau schwenkte in Tiflis während einer Demonstration eine Europafahne im Strahl eines Wasserwerfers.

Machten in Georgien anfangs vor allem Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft gegen den Gesetzentwurf mobil, so sei der Protest jetzt in der Breite der Bevölkerung angekommen, berichtet Stephan Malerius, Leiter des Südkaukasus-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es gibt eine große Solidarisierung – von Künstlern, Sportlern und Wissenschaftlern, da ist eine Dynamik entstanden“, sagt Malerius, der die Proteste mit mehreren Tausend Teilnehmenden am Dienstagabend selbst beobachtet hat.

Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. 66 Demonstrierende wurden nach offiziellen Angaben festgenommen. Die Behörden warfen den Demonstrierenden vor, Polizisten mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen und später das Parlament mit Molotowcocktails und Feuerwerkskörpern angegriffen zu haben. Knapp 50 Polizisten seien verletzt worden, hießt es von Regierungsseite. Zivilistinnen und Zivilisten seien auch verletzt worden, dazu wurden aber keine Zahlen genannt.

Klar ist, dass sich Georgien mit diesem Gesetz, wenn es so endgültig verabschiedet wird, deutlich von der Europäischen Union abwendet.

Stephan Malerius,

Leiter des Südkaukasus-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis

Ursprünglich sollte das Parlament den Gesetzentwurf erst an diesem Donnerstag behandeln, dann wurde er plötzlich auf Dienstag vorgezogen. „Die Regierung spielt nicht fair und das merken die Leute“, sagt Malerius. Den Protesten in Tiflis waren bereits starke Kritiken aus dem Ausland an dem Gesetz vorangegangen, so von den UN, den USA und der EU. „Klar ist, dass sich Georgien mit diesem Gesetz, wenn es so endgültig verabschiedet wird, deutlich von der Europäischen Union abwendet“, erläutert der Osteuropaexperte.

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Regierung behindert EU-Kandidatenstatus

Im Juni 2022 hatte Georgien, anders als die Ukraine und Moldau, nicht wie erwartet den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten, worüber es im Land nach Jahren des Wartens große Enttäuschung gab. Brüssel gab Georgien zwar eine europäische Perspektive, knüpfte diese aber an die Berücksichtigung von zwölf Empfehlungen. Dabei geht es um klassische Fragen wie Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und auch „Deoligarchisierung“.

Auch wenn er namentlich nicht genannt wird, wird damit auf den Oligarchen Bidzina Iwanischwili (67) angespielt, der 2011 eine Bürgerbewegung gründete, aus der die Partei Georgischer Traum hervorging, die schließlich 2012 die Wahlen gewann und noch heute Regierungspartei ist.

Der Milliardär, der einst in Russland ein Vermögen machte und kurzzeitig auch Premierminister von Georgien war, hat momentan zwar kein politisches Amt inne, zieht aber im Hintergrund alle Fäden. „Die Regierungspartei wird von einem Oligarchen gelenkt, und dadurch werden viele demokratische Errungenschaften der letzten zwei Jahrzehnte rückgängig gemacht“, sagt Malerius. Das in der Abstimmung befindliche Gesetz werde von sehr vielen Georgierinnen und Georgiern als klares Signal gesehen, dass die Regierung den EU-Kandidatenstatus gar nicht will.

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Für den weiteren Fortschritt muss die georgische Regierung deutlich machen, dass sie nachhaltig die gemeinsamen Werte der EU teilt und, wie in der georgischen Verfassung selbst vorgesehen, die notwendigen Schritte dafür geht.

Robin Wagener,

Südkaukasus-Koordinator im Auswärtigen Amt

Robin Wagener, Südkaukasus-Koordinator im Auswärtigen Amt, sagte dem RND, es wäre unverständlich und eine vertane Chance, wenn Georgien die Türen Richtung EU selbst schließt. „Für den weiteren Fortschritt muss die georgische Regierung deutlich machen, dass sie nachhaltig die gemeinsamen Werte der EU teilt und, wie in der georgischen Verfassung selbst vorgesehen, die notwendigen Schritte dafür geht“, betonte Wagener. Das Gesetz über ausländische Agenten wäre nicht mit dem EU-Recht und den Werten vereinbar und würde den weiteren Weg in die EU versperren, so der Grünen-Politiker.

Dabei sprechen sich große Mehrheiten der Bevölkerung in Umfragen immer wieder für die EU (80 Prozent) und für die Nato (70 Prozent) aus. Abgeordnete der Regierungspartei machen dagegen antiwestliche Stimmung, wenn etwa behauptet wird, amerikanische Finanzhilfen dienten nur dazu, Georgiens Souveränität zu schwächen, oder wenn die US-Botschaft in Tiflis beschuldigt wird, sich in innere Angelegenheiten einzumischen.

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Aus der Sicht von Stephan Malerius ist Georgien jetzt womöglich an einem Punkt angekommen, wo die Ukraine Ende 2013, Anfang 2014 stand. Damals weigerte sich der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch ein fertiges Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin unter anderem wirtschaftlichen Druck auf ihn ausgeübt hatte. Anschließend kam es in Kiew zu Massenprotesten, in deren Folge Janukowitsch und die Regierung aus dem Amt gefegt wurden.

Das „Agentengesetz“ von Georgien muss noch durch zwei Lesungen im Parlament, die Opposition und Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft haben weitere Proteste angekündigt. Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili, die von der Regierungspartei 2018 als unabhängige Kandidatin bei der Wahl zum Staatsoberhaupt unterstützt wurde, kündigte ihr Veto gegen das Gesetz an.

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Der öffentliche Druck hat offenbar Wirkung gezeigt: Die Regierung in Tiflis hat den Entwurf über das Gesetz für ein Register „ausländischer Agenten“ zurückgezogen.

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