CDU-Außenexperte Kiesewetter poltert gegen Ringtausch mit Athen: „Deutschland nicht würdig“
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CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter ist kein Fan der deutschen Ringtauschgeschäfte.
© Quelle: Deutscher Bundestag/Stella von Saldern
Seit inzwischen 100 Tagen tobt Russlands brutaler Angriffskrieg in der Ukraine. Die Welt befeindet sich seither im Ausnahmezustand - allem voran Europa. Der Westen ist in seiner Unterstützung der Regierung in Kiew eng zusammengerückt. Doch die anfänglich eiserne Einigkeit scheint sich zunehmend zur Belastungsprobe zu entwickeln - international wie national. ZDF-Moderatorin Maybrit Illner fragte deshalb am Donnerstag in ihrer Sendung: „Schwache Sanktionen, fehlende Waffen – bröckelt die Solidarität?“
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Den Anfang machte Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Im Einzelgespräch mit der Moderatorin verbarg der Grünen-Politiker seine Verärgerung über das von Ungarn provozierte „Ölembargo light“ der EU gegen Russland. Habeck diplomatisch: „Ein Ölembargo, das die Pipelines mit eingeschlossen hätte, wäre der konsequente und richtige Schritt gewesen.“ Aber: Es sei ein Fehler bei den westlichen Sanktionen nur auf das Öl oder Gas schauen. Sie seien schon jetzt „höchst wirksam“, die russische Wirtschaft sei „tief getroffen“. Russlands Investitionen seien um über 30 Prozent zurückgegangen, die Importe des Landes sogar um die Hälfte. Zwar habe Putin weiter viel Geld, aber: „Er kann sich immer weniger davon kaufen.“
Ein Punkt, der bei den aktuellen Preisentwicklungen infolge der Inflation auch auf viele deutsche Haushalte zutrifft. Der Wirtschaftsminister rechnet dabei im Herbst und Winter große gesellschaftliche Auseinandersetzungen über die Folgekosten des Kriegs. „Wir werden einen dramatischen Anstieg der Heizkosten erleben“, so seine Vorhersage. „Ob da dann die politischen Maßnahmen ausreichen, um gesellschaftlichen Frieden und das Gefühl, dass es fair in diesem Land zugeht, durchzuhalten, das wird die entscheidende Frage des Herbstes und des Winters werden. Da bin ich noch nicht ganz sicher“, erklärte er auf die Frage, ob Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine und den Sanktionen gegen den Angreifer Russland die Puste ausgehen könnte.
100 Tage Krieg gegen die Ukraine: So hat sich die Situation in der Welt verändert
Zeitenwende in der deutschen Außenpolitik, ein überraschend geschlossener Westen, Debatten über ein Energieembargo.
© Quelle: dpa
Kiesewetter warnt vor „Syrifizierung“ – ZDF-Reporterin sieht russische „Feuerwalze“
Habeck wies darauf hin, dass mit zunehmender Kriegsdauer hierzulande ein Gewöhnungseffekt einsetzen könnte. Andere Themen bis hin zur Fußball-Bundesliga könnten die Empörung über die russische Aggression und die Gräueltaten verdrängen. Die Unterstützung der Ukraine dürfe dennoch nicht abreißen. Der Grünen-Politiker gestand dabei ein, dass – so wie es der Regierung vielfach vorgeworfen wird Deutschland dabei nicht alles in seiner Macht stehende tue. Dies geschehe aber aus einem bestimmten Grund: „Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei werden.“ Es gehe darum, „verantwortbar“ zu helfen, ohne den Schritt zu einem globalen Krieg zu gehen.
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„Wir konnten den Krieg in der Ukraine mit eigenen Augen sehen“
Esa-Astronaut Matthias Maurer ist zurück auf der Erde – nach 177 Tagen auf der Internationalen Raumstation ISS. Im RND-Interview verrät der 52‑Jährige, in welchen Momenten er sich wieder ins All zurücksehnt, wie der Blick auf die Erde seine Weltsicht verändert hat und welche Bedeutung die Raumfahrt in Krisenzeiten hat.
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter beklagte jedoch: „Die meisten Waffen, die geliefert wurden, sind verbraucht, und die Gefahr herrscht, dass der Krieg in den Hintergrund gerät, so wie in Syrien auch.“ Eine „Syrifizierung“ nenne er das, eine Gewöhnung an den Krieg. Dies sei eine Gefahr, denn Russland sei militärisch weiter stark, habe viele Reserven.
Dies zeige sich vor allem im Donbass, berichtete ZDF-Auslandsreporterin Katrin Eigendorf. Die Verluste seien immens. Dies spiegele sich auch in einer wachsenden Verzweiflung in der ukrainischen Bevölkerung wieder, so die Grimme-Preisträgerin. „Was wir beobachten, ist ja, dass die russische Armee wie eine Feuerwalze über das Land zieht, es geht nicht darum, Gebiete zu erobern und zu kontrollieren. Es ist ein Vernichtungskrieg.“ Dennoch sei die Moral bei den Menschen nicht gebrochen – im Gegenteil. „Die Mehrheit der Ukraine will ihr Land nicht verlassen. Sie wollen ihr Land verteidigen.“
Russische Offensive im Donbass: Weiterhin schwere Kämpfe in der Ostukraine
Bei den schweren Kämpfen in der Ostukraine haben die russischen Streitkräfte etwa ein Drittel der Stadt Sjewjerodonezk unter ihre Kontrolle gebracht.
© Quelle: Reuters
Politikprofessor sorgt für hochgezogene Augenbrauen
Deutsche Waffenlieferungen hielt der der Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg, Johannes Varwick, dabei für keine gute Idee. Er pochte in der Sendung auf „Nüchternheit und Realismus“, sagte weiter: „Ich glaube, es ist nicht verantwortbar, die Ukraine mit unseren Waffenlieferungen immer weiter in die Lage zu bringen, einen aussichtslosen Kampf zu führen.“
Hochgezogene Augenbrauen und Kopfschütteln in der Runde. Doch der Politikprofessor ließ sich nicht beirren. Es gehe auch um die Interessen Deutschlands, seine Argumentation. Oberste Prämisse sei es, einen Krieg mit Russland zu vermeiden. „Wir müssen akzeptieren, dass dieser Konflikt gerade nicht lösbar ist, und wir müssen ihn einfrieren. Und das ist schwer genug. Das geht nicht mit immer mehr Waffenlieferungen.“ Das sei der falsche Weg. Die Ukraine zu unterstützen sei richtig, aber: „Einen aussichtslosen Kampf zu unterstützen macht keinen Sinn.“
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert konterte: „Wir sehen seit drei Monaten, dass es sehr wohl zusammengeht. Wir unterstützen die Ukraine – auch militärisch –, ohne dass wir bis hier hin Teil dieses Krieges geworden wären.“ Dies sei auch ein Bekenntnis der Bundesregierung. Auf die Frage von Illner, ob Scholz ein Ankündigungskanzler sei, antwortete Kühnert wie aus der Pistole geschossen: „Nein. Das wäre dann, wenn er behauptet hätte, dass alles morgen kommt und dann kommt es gar nicht.“ Es sei von vornherein klar gewesen, dass es auch eine Ausbildung an den Waffen gebe.
Ringtauschgeschäfte sind „Deutschland nicht würdig“
Die stellvertretende Chefredakteurin und Leiterin des Hauptstadtbüros vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), Eva Quadbeck, ging da mit: „Ich habe nicht den Eindruck, dass Olaf Scholz die ganze Republik veräppelt“, sagte sie, betonte aber: Scholz habe von Kriegsbeginn an defensiv agiert. „Es ist nicht so, dass Deutschland nichts tut, aber wir sind auf jeden Fall im hinteren Feld, wenn es darum geht, unseren Worten Taten folgen zu lassen“, so die Einschätzung der RND-Journalistin.
Quadbeck zeigte sich jedoch „überrascht“ vom jüngsten Auftritt des Kanzlers im Bundestag. Dort kündigte er etwa die Lieferung von Mehrfachraketenwerfern an die Ukraine an. Das sei „überzeugend“ gewesen, so Quadbeck, die aber deutlich machte: „Jetzt ist ganz wichtig, dass das, was Scholz angekündigt hat, umgesetzt wird.“
Diskussion über Ukraine-Politik löst Schlagabtausch im Bundestag aus
Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Vorwurf etwa aus Reihen der Union zurückgewiesen, Deutschland liefere keine schweren Waffen an die Ukraine.
© Quelle: Reuters
Kiesewetter nutzte noch die Möglichkeit, gegen die von der Bundesregierung ausgehandelten Ringtauschgeschäfte zu ätzen, etwa dem kürzlichen Deal mit Athen. „Da freut sich Griechenland, wenn es sehr altes Gerät ersetzt bekommt, aber es hilft der Ukraine nicht“, so der CDU-Politiker. Die griechischen Panzer seien zum Teil schon über 60 Jahre alt. Kiesewetter: „Das ist Deutschland nicht würdig.“ Er plädierte dafür, die deutschen Panzer vom Typ Marder und Leopard direkt an die Ukraine zu liefern.
RND-Chefredakteurin: „Einen Verhandlungsfrieden wird es mit Putin nicht geben“
Sollte die Ukraine die besten Waffen geliefert bekommen: Würde das für eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Russland sorgen? Der Politikprofessor hält das für einen romantischen Gedanken. „Wer hat die Eskalationsfähigkeit in diesem Krieg?“, fragt er, um die Antwort selbst zu geben. „Ich denke, die liegt auf der russischen Seite. Was wir derzeit machen, ist ein Ritt auf der Rasierklinge.“ Varwick: „Wir lassen diesen Krieg länger und blutiger werden.“ Eine Lösung sei erst in Sicht, wenn es gelinge, mit Russland einen Ausgleich hinzubekommen, der auf Gleichgewicht beruhe. Konkret gehe es dabei um die Verteilung von Einflusszonen.
Erneutes Kopfschütteln und Protest in der Runde. Quadbeck mit deutlichem Contra: „Wenn wir eine Sache gelernt haben, dann, dass wir zu viel Appeasement-Politik gegenüber Putin gemacht haben.“ Das sei der Schuh, den sich Deutschland nun anziehen müsse. Putin sei falsch eingeschätzt worden. Zustimmendes nicken von ZDF-Auslandsreporterin Eigendorf.
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Was die Bundeswehr mit dem Sondervermögen nun leisten muss
Mit 100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr nun endlich auf ein Niveau gehievt werden, das andere Nato-Staaten seit Jahren erfüllen. Aber Geld allein macht nicht glücklich. Die Bundeswehr muss sich umstellen von Friedenssicherung im Ausland auf Landesverteidigung und Schutz der Nato-Außengrenzen, kommentiert Eva Quadbeck.
Dann richtete sich Quadbeck direkt an Varwick: „Wenn sie von Einflusszonen sprechen, dann lassen Sie sich ja auch komplett auf die imperialistische Argumentation von Putin ein. Wir leben doch in einer Welt, in der es nicht um Einflusszonen geht, sondern wir wollen in einer multipolaren Welt leben, in der jeder Staat seine Souveränität hat.“ Mit dem Kremlchef könne kein Deal mehr eingegangen werden, das Vertrauen sei zerstört. „Er hat einen Angriffskrieg gegen ein Land mitten in Europa gestartet“, so die stellvertretende RND-Chefredakteurin. „Einen Verhandlungsfrieden wird es mit Putin nicht geben.“
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