McCarthys neue Ära: mit voller Kraft auf Konfrontationskurs zum Präsidenten
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Kevin McCarthy (rechts), neuer Sprecher des Repräsentantenhauses, spricht während einer Pressekonferenz in der Statuary Hall im Kapitol.
© Quelle: Jose Luis Magana/AP/dpa
Washington. Etwas hat sich verändert auf dem Washingtoner Kapitolshügel. Man spürt es schon, wenn man das Longworth-Bürogebäude betritt und sich von dort durch das Labyrinth unterirdischer Gänge zum Plenarsaal im Südflügel des Kongresstempels vorarbeitet.
„Yes! We’re open“ verkünden jetzt rote Schilder an den Türen vieler Abgeordnetenbüros – ein Hinweis auf die angeblich neue Transparenz und die Abschaffung aller Corona-Restriktionen durch die frisch vereidigte republikanische Parlamentsmehrheit. Aus einigen Zimmern dringt ein ungewohnter Zigarrengeruch nach draußen, seit zum Jahresanfang das Rauchen erlaubt wurde. Der größte Auftrieb aber herrscht vor Raum 1117, wo Reporterinnen, Reporter, Fotografinnen und Fotografen auf den prominentesten republikanischen Parlamentsneuling warten: Er heißt George Santos und hat seine Herkunft, seine Religion und seinen gesamten beruflichen Werdegang frei erfunden.
Am Eingang des großen Sitzungssaals des Repräsentantenhauses sind die Metalldetektoren abgebaut worden. Man könnte jetzt also unbemerkt mit einer Waffe in den Saal marschieren. Drinnen sind die meisten Bänke nach dem chaotischen Wahlmarathon in der Auftaktwoche jetzt leer. Davon unbeeindruckt peitscht der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, mit einem schwindelerregenden Tempo neue Geschäftsordnungen, Gesetzesinitiativen und Ausschüsse durch.
Die extreme Trump-Agenda
„Am Montag haben die Republikaner ein Gesetz eingebracht, das den Vermögenden helfen soll, bei ihren Steuern zu betrügen und so den Lifestyle der Reichen und Schamlosen unterstützt. Am Dienstag wurde ein Ausschuss eingesetzt, um die Justiz zu behindern und Aufrührer zu beschützen. Am Mittwoch haben sie klar gemacht, dass sie alles tun werden, um ein bundesweites Abtreibungsverbot durchzusetzen“, lässt Hakeem Jeffries, der Fraktionschef der Demokraten, die erste Wochenhälfte Revue passieren. Die neue Mehrheit, warnt er in Anspielung auf Donald Trumps Slogan „Make America Great Again“, treibe eine „extreme Maga-Agenda voran“.
Handlungsfähigkeit beweisen und die rechten Mobilisierungsthemen bedienen – das sind die Maximen der neuen, mit 222 zu 212 Stimmen denkbar knappen rechten Mehrheit. Freilich werden die meisten gesetzgeberischen Aktivitäten, die die Republikaner derzeit entfalten, symbolisch bleiben, weil sich der demokratisch dominierte Senat und das Weiße Haus querstellen. Dort dürfte sowohl eine bundesweite Verschärfung des Abtreibungsrechts wie auch die drastische Kürzung des Budgets der ohnehin notorisch unterfinanzierten Steuerbehörde IRS gestoppt werden.
Je weniger die Republikaner an konkreten Reformen hinbekommen, desto mehr setzen sie auf ihren Kulturkampf, der auch die inhaltlichen Differenzen der Fraktion zu überdecken hilft. Der Kampf gegen den von Verschwörungsideologen dämonisierten „Washingtoner Sumpf“, die Zerstörung der vorgeblichen linken Meinungsdiktatur sowie die Diskreditierung und Amtsenthebung von Joe Biden stehen ganz oben auf der rechten Agenda.
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Blockade und Attacken statt gestaltender Politik
Der gelernte Marketingmann McCarthy, 57 Jahre alt und stets frisch geföhnt, hat im Parlament im letzten Vierteljahrhundert schon hinter vielen Büschen gesessen. Nach dem Kapitolssturm vom 6. Januar 2021 schlug sich der Karrierist auf die Seite von Donald Trump, dem er seine demonstrative Aufwartung in dessen Golfclub Mar-a-Lago machte. Nach einer weiteren tiefen Verbeugung vor den rechtsextremen Rebellen in den eigenen Reihen in der vorigen Woche leitet er nun eine Mission, die auf die Blockade möglichst vieler Biden-Vorhaben und die Dauerattacke der Regierung durch zahllose Untersuchungsausschüsse hinausläuft.
Die Lunte für den wohl dramatischsten Showdown bei der demnächst fälligen Anhebung der Schuldenobergrenze hat McCarthy schon gelegt. Eigentlich ist der öffentliche Streit über die neuen Staatskredite ein Ritual, das sich alle paar Jahre wiederholt und kurz vor Toresschluss beigelegt wird. Doch dieses Mal fühlt es sich anders an. Die Fraktionsrechten haben McCarthy die feste Zusage abgehandelt, dass jede Anhebung der Schuldengrenze mit massiven Kürzungen einhergehen muss und zudem die nicht gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben den Stand von 2022 nicht übersteigen dürfen. Das ist völlig utopisch. Die Demokraten bräuchten bei den Wahlen in zwei Jahren gar nicht mehr anzutreten, wenn sie den erforderlichen brutalen Billionenkahlschlag bei den Sozial- und Gesundheitsleistungen im Senat mittragen würden.
Wenn sich aber das Repräsentantenhaus, der Senat und der Präsident nicht einigen, wird voraussichtlich in diesen Sommer der größten Wirtschaftsnation der Welt das Geld auszugehen. Ein dramatischer Zahlungsausfall und eine globale Finanzkrise wären die Folgen. Doch Trump und seine Verbündeten schreckt das nicht. „Dem zuzuschauen wird eine wunderbare und beglückende Sache sein“, fabulierte der Ex-Präsident kürzlich auf seiner Propagandaplattform Truth Social. Und Sean Hannity, der prominenteste Fox-News-Moderator, nahm Parlamentschef McCarthy am Mittwochabend bei einem Interview regelrecht in die Zange: Er dürfe bei diesem „Angsthasenspiel“ bloß nicht nachgeben.
Bidens Problemsohn Hunter im Visier
Mit ähnlich harten Bandagen gehen die Republikaner auch bei der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen vor. Deren Aufgaben stehen schon vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit fest: Sie sollen nicht nur die Missstände an der Grenze zu Mexiko und das Versagen der Biden-Regierung beim Afghanistan-Abzug offenlegen. Ein Gremium will den renommierten Immunologen Anthony Fauci für die behauptete Freisetzung des Coronavirus in einem Labor verantwortlich machen, ein anderes die Verwicklung des Präsidenten in die tatsächlich nicht unproblematischen Geschäftsaktivitäten seines zeitweise drogensüchtigen Sohnes Hunter nachweisen.
Die dramatischste Wirkung aber dürfte der Ausschuss zur Untersuchung der vermeintlichen politischen Instrumentalisierung der Justiz entfalten, der von dem radikalen Wahlleugner und glühenden Trump-Fan Jim Jordan geleitet wird und praktisch unbegrenzte Kompetenzen von der Vorladung anderer Politiker bis zur Herbeiziehung brisantester Geheimdienstunterlagen hat. Kritikerinnen und Kritiker befürchten eine Hexenjagd wie zu Zeiten des Kommunistenjägers Joe McCarthy während des Kalten Krieges.
Ausgerechnet der Präsident persönlich hat mit der „Garagenaffäre“ um unsachgemäß gelagerte Verschlusssachen seinen Gegnern nun die beste Munition geliefert. Eigentlich hatte Joe Biden einen schlauen Plan, wie er das parlamentarische Sperrfeuer der Rechten kontern wollte: Einerseits verstärkte er das Juristenteam im Weißen Haus und geht mit harscher Kritik an den „radikalen Maga-Republikanern“ zunehmend in die Offensive. Gleichzeitig reist er durchs Land und vermarktet die politischen Erfolge seiner billionenschweren Investitionspakete. So posierte er in der vergangenen Woche, während sich die rechten Republikaner in Washington selbst zerfleischten, demonstrativ mit dem traditionell konservativen Senats-Republikanerchef Mitch McConnell bei der Einweihung einer Brücke in Kentucky.
Geheime Regierungsdokumente in der Garage
Ein schönes Bild, ein eindrucksvoller Kontrast, zumal die lange drückende Inflation sinkt und die Umfragewerte Bidens zuletzt stiegen. Doch als der Präsident an diesem Donnerstag im Weißen Haus die positiven Konjunkturdaten verkünden wollte, interessierte sich niemand für die Zahlen. „Geheime Regierungsdokumente neben der Corvette?“, rempelt der Korrespondent des rechten TV-Senders Fox News Biden an: „Was haben Sie sich dabei gedacht?“ Der Präsident reagierte ebenso schmallippig wie verdattert: Er nehme den Schutz vertraulicher Unterlagen sehr ernst und arbeite mit der Justiz zusammen, betonte er. Im Übrigen stehe sein legendärer grüner Oldtimersportwagen vom Typ Corvette Stingray, in dessen Nähe Geheimakten gefunden wurden, in einer abgeschlossenen Garage bei seinem Haus in Wilmington: „Es ist nicht so, dass der auf der Straße parkt.“
Das ändert nichts daran, dass geheime Papiere aus Bidens Zeit als Vizepräsident weder dorthin, noch in das Büro einer Washingtoner Denkfabrik gehören, wo ebenfalls Unterlagen gefunden wurden. Zwar weist das Weiße Haus zu Recht darauf hin, dass es gravierende Unterschiede zwischen Bidens mutmaßlicher Schlamperei und dem Beiseiteschaffen von Unterlagen durch seinen Vorgänger Trump gibt: Nicht nur hatte der 300 Geheimakten auf sein privates Anwesen Mar-a-Lago schaffen lassen, während es bei Biden offenbar nur ein Dutzend sind. Auch weigerte sich Trump, die Papiere herauszugeben und versuchte später, das Nationalarchiv hinters Licht zu führen, während Bidens Anwälte den Fund im vorigen November unverzüglich dem Justizministerium – allerdings nicht der Öffentlichkeit – meldeten.
Doch Biden, der Trumps Umgang mit den Akten „unverantwortlich“ genannt hatte, hat nun ein dickes Glaubwürdigkeitsproblem. Juristisch dürfte die Sache für ihn kaum Konsequenzen haben, aber politisch ist die Wirkung fatal: Eine Anklage von Trump ist in dem extrem polarisierten Meinungsklima der USA kaum noch denkbar. Gleichzeitig befindet sich der amtierende Präsident schwer in der Defensive: Mindestens drei republikanische Parlamentsausschüsse wollen sein mögliches Fehlverhalten aggressiv unter die Lupe nehmen.
Kevin McCarthy übersteht erste Bewährungsprobe im Kongress
Zuvor war unklar gewesen, ob eine Mehrheit für das Regelwerk zustande kommen würde, denn es enthält massive Zugeständnisse an McCarthys parteiinterne Gegner.
© Quelle: Reuters
So hat sich die Stimmungslage auf dem Kapitol innerhalb weniger Tage erneut komplett gedreht. Vom Chaos bei den Republikanern, von der faktischen Machtübernahme der Extremisten in der Fraktion und von der Schwäche McCarthys, der sich aus Angst vor einem Mandatsverlust nicht einmal traut, den Hochstapler Santos zum Rücktritt zu drängen, ist plötzlich kaum noch die Rede.
Stattdessen fragt der rechte Einpeitscher Jim Jordan: „Wo bleibt die Razzia?“ – und zielt auf Joe Biden.