Merkel is back
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Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht im Dezember 2021 zum Auto nach dem Großen Zapfenstreich durch die Bundeswehr. (Archivbild)
© Quelle: Odd Andersen/AFP POOL/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
es war nicht Berlin, es war nicht Deutschland. Ihr Land. Es war in Washington D.C., wo Angela Merkel im Juli vorigen Jahres kurz vor ihrem 67. Geburtstag Auskunft über ihre Pläne im Ruhestand gab. Die 1876 gegründete Johns-Hopkins-Universität, eine der besten Privathochschulen des Landes, verlieh der Bundeskanzlerin die Ehrendoktorwürde. Was sie denn mache, wenn sie im Herbst ihr Amt nach 16 Jahren abgebe, wurde sie gefragt. Schließlich hatte sie ein weiteres politisches Amt längst ausgeschlossen. Ein Wechsel in die Wirtschaft kam für sie sowieso nie infrage.
Sie werde „nicht gleich die nächste Einladung annehmen“, ließ sie wissen. Sie habe keine Angst davor, nichts zu tun zu haben oder davor, dass sich keiner mehr für sie interessiere. Sie wolle stattdessen eine Pause einlegen und nachdenken, für was sie sich eigentlich selbst so interessiert. 16 harte Kanzlerinnenjahre ließen keinen Platz für Privates. Zeit hatte sie nie.
Und dann sagte sie einen Satz, aus dem Gelassenheit, Neugier und Gewissheit sprachen, dass sie noch einmal ein neues Kapitel aufschlagen wird. Dass es ein Buch sein wird, das sie mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann schreiben wird, verriet sie damals noch nicht. Sie hätte sich vor Verlags- und Agenturanfragen nicht retten können. Das kam dann erst nach der Bundestagswahl, zu der sie aus freien Stücken nicht mehr antrat.
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Kent Calder, Dekan der Johns-Hopkins-Universität, verleiht im Juli 2021 der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Campus die Ehrendoktorwürde. (Archivbild)
© Quelle: Manuel Balce Ceneta/AP/dpa
Merkel sagte in Washington: „Und dann werde ich vielleicht versuchen, was zu lesen, dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin, dann werde ich ein bisschen schlafen, und dann schauen wir mal.“ Ihr werde schon etwas einfallen.
Nach ihrer Amtsübergabe an den Sozialdemokraten Olaf Scholz am 8. Dezember tauchte Merkel ab. Viele Hochleistungssportler tun gut daran, nach ihrem Karriereende „abzutrainieren“. Eine Vollbremsung, von 100 auf null, gilt als gefährlich für Menschen, die jahrelang im kräftezehrenden Ausnahmezustand waren. Der Wunsch, einfach ein bisschen zu schlafen, wenn man müde ist, klang bescheiden. Der Schlaf gehörte aber vielleicht zu den wichtigsten neuen Errungenschaften im Leben von Angela Merkel.
Die Erschöpfung zu überwinden, ohne krank zu werden, ist eine Kunst. Schon bei Normalberufstätigen ist es der „Klassiker“, vor dem Urlaub noch alles wegzuarbeiten und sich mit den ersten freien Tagen eine dicke Erkältung einzufangen und dann erst einmal flachzuliegen.
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Angela Merkel und Olaf Scholz bei der Amtsübergabe im Kanzleramt. Öffentliche Ratschläge hat Merkel ihrem Nachfolger bislang nicht erteilt. Die beiden sollen aber mehrfach miteinander telefoniert haben.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Merkel legte also eine Pause ein. Man sah sie nicht, man hörte sie nicht. Alles, was sie politisch gesagt hätte, wäre mit dem Wirken ihres Nachfolgers abgeglichen worden. Jedes Wort von ihr zur dramatischen Entwicklung des russischen Überfalls auf die Ukraine hätte wie ein öffentlicher Ratschlag an Scholz von der Seitenlinie aus gewirkt. Es heißt, die beiden hätten mehrfach miteinander telefoniert. Darüber gesprochen haben sie öffentlich nicht.
Es will sie jemand mal im Theater gesehen haben, es gab Fotos aus Italien, und sie war bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Schauspieler Ulrich Matthes. Aber jetzt beendet sie die Pause im Ruhestand. Am 1. Juni kommt sie zurück auf die öffentliche Bühne. Dann hält sie eine Rede. Nicht bei der CDU, deren Mitglied sie ist. Auch nicht bei einem Unternehmen. Sie wird etwas zum Abschied des Gewerkschaftsfunktionärs Reiner Hoffmann sagen, der von 2014 bis vor Kurzem Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes war. Sie macht also das, was man von ihr eher erwartet hätte, wenn sie eine Sozialdemokratin wäre.
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Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.-r.), Autor Jean-Claude Kuner und Autor Moritz Rinke nehmen Anfang Mai 2022 an der Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an den Schauspieler Ulrich Matthes (2. v. r.) teil.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa
Die eigentliche Rückmeldung wird aber erst am 7. Juni sein. Sie stellt sich den Fragen des Buchautors und „Spiegel“-Reporters Alexander Osang, der vor 20 Jahren schrieb, warum diese „Frau aus dem Osten zur Integrationsfigur einer erzwestlichen Partei werden kann“. Öffentlich. Auf der Bühne. Im Berliner Ensemble. Großes Theater.
Es geht um ihre aufrüttelnde Rede „Was also ist mein Land?“ zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2021. Die Rede erschien als Buch im Aufbau Verlag zusammen mit weiteren Texten über die spezifisch deutsche Verantwortung. Schon im vorigen Jahr war das Gespräch mit Osang vereinbart worden.
Man darf davon ausgehen, dass es nicht nur um ihr Land, sondern auch um Russland, die Ukraine, die Demokratie, Wladimir Putin, Joe Biden, Olaf Scholz und, und, und gehen wird. Wie ist es ihr während der politischen Abstinenz ergangen? Wie geht es ihr? Was treibt sie jetzt in ihrer neuen Lebensphase an? Wird sie eine Vermittlerinnenrolle zwischen Moskau und Kiew einnehmen? Sie, die jahrelang wie ein Prellbock zwischen beiden Seiten wirkte, der dann plötzlich weg war.
In ihrer Rede hatte sie übrigens dies gesagt: „Was also ist mein Land? – Ein Land, in dem alle miteinander immer neu lernen. (...) Ein Land, in dem gerade auch die Erfahrung von Umbrüchen in familiären Biografien, in dem die Anstrengung, aber auch das Glück, das es bedeuten kann, neu anfangen zu müssen oder zu dürfen, als eine Erfahrung anerkannt wird, die uns gemeinsam Zuversicht und Stärke gibt.“ Angela Merkel, auf ein Neues.
Politsprech
Und da müssen wir uns vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch mit einem Lächeln begegnen, wenn man mal einen Zug nicht nehmen kann und auf den nächsten wartet.
Volker Wissing
Bundesverkehrsminister am Freitag zum bevorstehenden Start des 9-Euro-Tickets
Das Lustige an der ministeriellen Ermunterung der ÖPNV-Kundschaft ist, dass der FDP-Politiker vermutlich wenig eigene Erfahrung damit hat, wenn man „mal“ einen (Pendler)-Zug nicht nehmen kann und auf den nächsten wartet. Der nächste fährt nämlich oft erst in einer Stunde. Der Termin, den man beruflich einhalten wollte, ist dann flöten. Man kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Bundesverkehrsminister geraten hat, das mit einem Lächeln zu quittieren, weil der versetzte Gesprächspartner oder die versetzte Gesprächspartnerin, die Patientin oder der Patient oder aber die Kundin oder der Kunde das überhaupt nicht witzig findet.
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Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) spricht im Bundesrat.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Die Züge sind jetzt schon voll, nun werden es trotz Corona noch mehr Menschen. Und dass Züge verspätet sind, umgeleitet werden oder ganz ausfallen, ist jetzt schon an der Tagesordnung. Das Warten auf Bahnhöfen ist übrigens auch keine spaßige Angelegenheit. Die wenigen Sitzbänke sind schnell besetzt. Man steht also rum, tote Zeit.
Dann kommen die Gedanken, ob es nicht viel schlauer von der Bundesregierung gewesen wäre, die 2,5 Milliarden Euro, die sie für das nur drei Monate geltende Angebot ausgibt, besser in den Ausbau des Nahverkehrs zu stecken. Was nützt mir das billige Ticket für die Bahn, die bei mir nicht fährt? Ein besseres Schienennetz, eine bessere Taktung, würden die Chance auf einen Sitzplatz erhöhen und Zeit sparen. Das sind Gründe, warum Autofahrer und ‑fahrerinnen auf die Bahn umsteigen würden – nicht eine dreimonatige Billigphase, nach der die regulären Ticketpreise im Dezember wieder erhöht werden.
Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen
An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort:
Detlef Fuchs aus Seelze zu Scholz’ Spekulation über eine Ampelkoalition in NRW:
„Politiker im Allgemeinen und Scholz im Besonderen sind schon ein komisches Volk. Aus einem Verlust von fast 5 Prozentpunkten leitet er einen Regierungsauftrag ab. Wie ignorant darf man als Politiker gegenüber dem gemeinen Wahlvolk eigentlich sein? Die CDU hat fast 3 Prozentpunkte zugelegt, für mich ist das ein Regierungsauftrag, möglichst mit den Grünen zusammen. Aber in der SPD war Schönreden schon immer das, was sie am besten konnten.“
Norbert Böttcher aus Riedstadt zu den Stimmenverlusten von SPD und FDP bei der NRW-Wahl:
„Die Suche nach den Gründen der Stimmenverluste bei der Wahl in NRW werden von den Altvorderen der Parteien SPD und FDP leider nicht umfassend analysiert. Die FDP wurde auch wegen ihrer Corona-Politik abgestraft. Es ist zu befürchten, dass man trotz mehrfacher Impfung im Herbst wieder eingesperrt wird, da die Ungeimpften den nächsten Lockdown verursachen und zu verantworten haben. Die SPD hatte nachträglich die Abschaffung der „Doppelverbeitragung“ (Sozialabgaben für aus eigenem Verdienst angesparte Altersvorsorge) in ihr Wahlprogramm zur Bundestagswahl aufgenommen. Doch nach der Wahl war das kein Thema mehr bei den Koalitionsverhandlungen. Diese „Abzocke“ bei der Altersvorsorge geht also unvermindert weiter. So zahlt der vorsorgende Rentner weiter für seine Direktlebensversicherung für zehn Jahre die Beiträge zu Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Beispiel: Von 50.000 Euro Ansparsumme sind 10.000 Euro abzuführen. Insgesamt sind bundesweit rund 6,5 Millionen Menschen davon betroffen.“
Bruno Wentzler aus Bergisch Gladbach zum Kommentar von Tim Szent-Ivanyi zur Inflation:
„Ihr Kommentar kann nicht unwidersprochen bleiben. Genau das Gegenteil müsste eintreten. Eine rasche Erhöhung der Leihzinsen ist schon längst überfällig. Aufgabe der EZB ist die Schaffung von Preisstabilität und nicht Konjunkturpolitik. Dramatisch gestiegene Erzeugerpreise und daraus folgend steigende Inflationsdaten würgen die Wirtschaft inzwischen ab. Bei den Menschen geht die Kaufkraft zurück, weil sie immer weniger Geld zur Verfügung haben. Mit der Folge einer Lohn-Preis-Spirale. Die Zeit verstreicht, und die Inflation galoppiert davon. In naher Zukunft wird die EZB der FED folgen müssen und die Leihzinsen überproportional stark anheben. Ein zunehmend schwächer werdender Euro verstärkt den Druck. Die Leidtragenden der Notenbankpolitik sind die Arbeitnehmer, die den Kaufkraftverlust auch durch Lohnerhöhungen nicht ausgleichen können und schlimmstenfalls auch noch ihren Job verlieren.“
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Herzlich
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