Flucht in die EU: Immer mehr Migranten kommen nach Zypern
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Migranten aus Kamerun, sitzen in einem blauen Zelt in der Hauptstadt des geteilten Zyperns.
© Quelle: Petros Karadjias/AP/dpa
Nirgendwo ist es so einfach, unentdeckt in die Europäische Union zu kommen wie auf Zypern: Ein kurzer Fußmarsch durchs Niemandsland, und schon hat man aus dem türkisch besetzten Nordteil der Insel die Republik Zypern und damit die EU erreicht.
Dort registrierten die Behörden nach Angaben des zyprischen Innenministeriums in diesem Jahr bereits rund 17.000 irreguläre Migranten – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen habe sich gegenüber 2021 sogar verdreifach, sagt Costas Constantinou, Staatssekretär im Innenministerium.
Zypern ist geteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den Inselnorden besetzte, um einen Anschluss der Insel an Griechenland zu verhindern. Schleuser bringen die Migranten über die Demarkationslinie in den Inselsüden. Ende Juli überquerten binnen 48 Stunden 120 Migranten die Demarkationslinie. Was viele der Geflüchteten nicht wissen: Auf der Insel sitzen sie in einer Falle. Weil Zypern nicht zum Schengen-Raum gehört, ist die Weiterreise in andere EU-Staaten von dort viel schwieriger als etwa von Griechenland, Italien oder Spanien. Manche versuchen es mit gefälschten Pässen. Zwischen Januar und August wurden an den zyprischen Flughäfen 278 solcher Versuche vereitelt. Weil die Migranten auf der Insel festsitzen, sind die Aufnahmelager inzwischen überfüllt. Asylbewerber machen nach Angaben der Regierung in Nikosia bereits 5 Prozent der Bevölkerung aus.
Vorwurf gegen die Türkei
Viele kommen aus afrikanischen Ländern. Sie fliegen mit türkischen Visa nach Istanbul und reisen von dort ins türkisch kontrollierte Nordzypern, um die Demarkationslinie zu überqueren. Die zyprische Regierung wirft der Türkei vor, sie fördere mit der laxen Vergabe von Studentenvisa in afrikanischen Staaten die irreguläre Migration nach Zypern, um politischen Druck auf die EU auszuüben. Innenstaatssekretär Constantinou beschuldigte vergangene Woche die Fluggesellschaften Turkish Airlines und Pegasus, sie transportierten „massenweise“ unbegleitete minderjährige Migranten mit staatlich subventionierten Tickets aus der Türkei nach Nordzypern.
Die Pufferzone, die sich 180 Kilometer lang quer durch Zypern zieht, ist an einigen Stellen mehrere Kilometer, andernorts nur wenige Meter breit. Kontrolliert wird sie von der UNO-Friedenstruppe. Doch der sind die Hände gebunden. Ihre Aufgabe ist es, Zusammenstöße zwischen türkischen und griechischen Zyprern zu verhindern. Für die Kontrolle oder gar die Zurückweisung von Migranten haben die UNO-Blauhelmsoldaten kein Mandat. Eine weitere Schwierigkeit: Die Demarkationslinie ist keine EU-Außengrenze, da auch der türkisch besetzte Inselnorden völkerrechtlich zur EU gehört.
Stacheldrahtsperren und Kameras zur Grenzkontrolle
Die Regierung in Nikosia hat vergangenes Jahr einen besonders stark frequentierten elf Kilometer langen Abschnitt der Demarkationslinie mit Stacheldrahtsperren und Kameras gesichert. Dort gibt es jetzt keine irregulären Übertritte mehr, aber die Schleuser weichen auf andere Abschnitte aus. „Uns gehen die Optionen aus“, musste Innenstaatssekretär Constantinou vergangene Woche im Innenausschuss des zyprischen Parlaments einräumen.
Anfang Oktober trafen sich die Innen- und Migrationsminister aus Italien, Spanien, Griechenland, Malta und Zypern in der zyprischen Stadt Paphos. Die „MED 5″, wie sich die Gruppe nennt, forderten von der EU eine gerechte Verteilung der Lasten auf alle Mitgliedsstaaten. Seit Jahren ringt die EU um ein Verfahren zur Verteilung von Migranten auf die einzelnen Staaten. Wenn andere Mitgliedsländer Migranten aus Zypern aufnehmen, könnte das allerdings den Zustrom noch weiter anschwellen lassen. Die zyprische Regierung setzt deshalb auf Repatriierung. In diesem Jahr gelang es immerhin, 4600 Migrantinnen und Migranten in ihre Heimatländer zurückzubringen.