Streit um Seenotretter: Showdown in Brüssel
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Das humanitäre Schiff „Ocean Viking“ fährt in den französischen Militärstützpunkt ein. Italien hatte sich geweigert, die Migrantinnen und Migranten auf italienischem Gebiet an Land gehen zu lassen.
© Quelle: Daniel Cole/AP/dpa
Brüssel. „Europa schlafwandelt gerade in die nächste Migrationskrise“, sagt Manfred Weber, Chef der konservativen Parteienfamilie EVP in Europa. Von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen im Europaparlament sind ähnliche Klagen zu hören: Die Migrationspolitik der EU funktioniere nicht, weil sich die Regierungen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Daran dürfte sich auch nach dem Krisentreffen der EU-Innenministerinnen und -Innenminister an diesem Freitag in Brüssel nichts ändern.
Diplomatinnen und Diplomaten in Brüssel erwarten nicht, dass das auf wenige Stunden angesetzte Treffen belastbare Resultate hervorbringen wird. Konkret geht es um den Streit zwischen Italien und Frankreich um die Aufnahme von Bootsflüchtlingen.
Bilanz der „historischen Abmachung“ ist ernüchternd
Dieser Konflikt ist vor Kurzem eskaliert. Die ultrarechte Regierung der neuen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni weigerte sich, das Seenotrettungsschiff „Ocean Viking“ mit 243 Menschen an Bord in einen italienischen Hafen einlaufen zu lassen. Frankreich erklärte sich zwar bereit, die Menschen aufzunehmen, warf Italien aber umgehend einen Verstoß gegen internationales Recht vor, wonach Menschen aus Seenot gerettet werden müssen. Gewissermaßen als Strafe für Rom nahm die Regierung von Präsident Emmanuel Macron ihr Versprechen zurück, in diesem Jahr 3500 Geflüchtete von Italien aufzunehmen.
Am Freitag will die EU-Kommission nun schlichten, damit sich beide Seiten einander zumindest annähern. Denn es steht eine Abmachung auf dem Spiel, die erst im Juni nach zähen Verhandlungen zustande kam. Rund 20 EU-Staaten erklärten sich bereit, bis zum Sommer kommenden Jahres auf freiwilliger Basis 8000 Geflüchtete aufzunehmen, die in den Mittelmeerstaaten Italien und Malta ankommen. Deutschland und Frankreich wollten davon je 3500 Menschen aufnehmen.
Frankreich, das im ersten Halbjahr 2022 die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, sprach damals von einer „historischen Abmachung“. Sie könnte womöglich ein Modell für eine EU-weite Umverteilung von Geflüchteten sein. Doch die Bilanz nach nicht einmal einem halben Jahr fällt ernüchternd aus.
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Meloni wünscht sich sogar Seeblockade
Es seien bislang gerade einmal etwas mehr als 100 Menschen verteilt worden, musste EU-Innenkommissarin Ylva Johansson jetzt einräumen. Woran das liegt, blieb unklar. EU-Diplomatinnen und -Diplomaten sagen, das Verfahren werde erst dann richtig in Gang kommen, wenn der Streit zwischen Frankreich und Italien beigelegt ist – vor allem aber erst dann, wenn Italien wieder Schiffe privater Seenotretter ungehindert in seine Häfen einlaufen lässt.
Das ist derzeit nicht absehbar. Meloni will eigenen Aussagen nach verhindern, dass sich Migrantinnen und Migranten auf den Weg von Nordafrika nach Italien machen. Sie wünschte sich unlängst sogar eine Seeblockade.
Die illegale Migration über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute hat im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent zugenommen. Seit Anfang des Jahres seien bereits mehr als 90.000 Menschen über Länder wie Libyen und Tunesien in die EU gekommen, sagte EU-Kommissarin Johansson und fügte hinzu: „Wir müssen bedenken, dass eine deutliche Mehrheit der Menschen keinen internationalen Schutz braucht.“ Viele der Menschen stammten aus Bangladesch, Ägypten und Tunesien.
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EU-Innenministerinnen und -Innenminister beraten über Aktionsplan
Um Meloni von Ideen wie einer Seeblockade abzubringen, hat Johansson einen Aktionsplan vorgelegt, über den sich die EU-Innenministerinnen und -minister am Freitag beugen werden. Die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern soll verbessert werden, um Migration zu verhindern. Auch soll der freiwillige Solidaritätsmechanismus jetzt tatsächlich in Gang kommen.
Zudem will die Kommissarin aus Schweden, dass die Flaggenstaaten der Seenotrettungsschiffe zusammen mit den Mittelmeeranrainerstaaten und der Internationalen Seeschifffahrtsbehörde Imo darüber verhandeln, ob das Regelwerk für die Seenotrettung überarbeitet werden kann. Bislang gilt: Seenotrettungsschiffe dürfen nicht daran gehindert werden, in den nächstgelegenen Hafen einzulaufen.
Ob Italien den Vorschlägen aus Brüssel zustimmt, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Melonis Innenminister Matteo Piantedosi immerhin reagierte zunächst positiv.