Abblocken und abschieben: Bei der Migrationspolitik der EU ist von fairer Verteilung keine Rede mehr
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Kommissionschefin Ursula von der Leyen beim EU-Gipfel.
© Quelle: IMAGO/Le Pictorium
Die Migrationspolitik ist in der Europäischen Union seit Jahren eines der heißesten Themen überhaupt. Das hängt mit der wachsenden Zahl von Menschen zusammen, die infolge des syrischen Bürgerkrieges ab 2015 in die EU flohen – ein Ereignis, das sich infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine wiederholt. Es hängt aber auch mit dem Erstarken rechtspopulistischer oder rechtsradikaler Parteien in den Mitgliedsstaaten zusammen, allen voran Ungarn. Das Ergebnis war beim jüngsten EU-Gipfel zu besichtigen: Der Trend zur Abschottung setzt sich fort – ja, er verschärft sich noch.
Als die EU-Kommission 2020 einen Neuanfang in der Migrationspolitik vorschlug, war von zwei Grundelementen die Rede. Das erste Grundelement sollte in effizienteren und schnelleren Verfahren bestehen. Das zweite Grundelement besagte: „gerechte Aufteilung der Verantwortung sowie Solidarität“ – nämlich bei der Verteilung. Drei Jahre später hört sich das ganz anders an. „Wir werden unsere Außengrenzen stärken und irreguläre Migration verhindern“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Allein der Siegeszug des Begriffspaares „irreguläre Migration“ für die Flucht vor Gewalt oder sonst wie unmenschlichen Lebensbedingungen spricht Bände.
Gipfelergebnisse kommen einer Niederlage von der Leyens gleich
Politisch kommen die Gipfelergebnisse einer Niederlage von der Leyens gleich. Denn neben Ungarn gibt es mittlerweile eine Reihe von EU-Staaten, in denen Rechtsradikale entweder in der Regierung sitzen wie in Italien oder Regierungen von Rechtsradikalen abgängig sind wie in Schweden. Dazu gesellen sich Länder wie Österreich, in denen konservative Regierungsparteien den Atem der Rechtsaußenkonkurrenz spüren, in diesem Fall der oppositionellen FPÖ, die erneut Aufwind hat.
Dabei betätigt sich der Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, mehr und mehr als Scharnier. Er sucht die Nähe zur postfaschistischen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni und hat auch gegen den Bau von Mauern und Zäunen nichts mehr einzuwenden. Zwar war der CSU-Politiker von der Leyen im Kampf um die Kommissionspräsidentschaft beim letzten Mal unterlegen. Doch erst kürzlich hat er offen ihre Spitzenkandidatur bei der Europawahl 2024 infrage gestellt.
Ungarn kann seine inhumane Abschreckungspolitik fortführen
In der Sache sind die Ergebnisse insofern fragwürdig, als sie unter humanitären Gesichtspunkten faktisch auf einem Bein stehen und bestimmten Mitgliedsstaaten wie Deutschland unverändert große Lasten aufbürden, während Ungarn seine inhumane Abschreckungspolitik ungestört fortsetzen kann. So wies der Migrationsforscher Gerald Knaus bereits im vorigen Jahr darauf hin, dass im Hoheitsbereich Viktor Orbans weniger als 50 Menschen pro Jahr einen Asylantrag stellten, während es im benachbarten Österreich mehr als 100.000 seien. Wo humanitäre Mindeststandards unterschritten werden, ziehen Geflüchtete weiter. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Orban-ähnliche Politikerinnen und Politiker in anderen EU-Staaten Zulauf bekommen.
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Wenn die EU schon Asylverfahren an die Außengrenzen verlagern will, dann sollte sie zumindest für eine faire Verteilung jener Menschen sorgen, die einen berechtigten Schutzanspruch haben. Der Versuch von Rückführungen stößt jedenfalls an Grenzen. Nach Afghanistan und Syrien etwa wird man niemanden abschieben können.
Ohnehin lässt sich das Flüchtlingsproblem nicht wirklich „lösen“ – es sei denn um den Preis einer völligen Brutalisierung. Allein der Klimawandel wird dafür sorgen, dass die Lebensumstände in vielen Staaten der Welt unerträglich werden. Dort beheimatete Menschen werden mehr noch als jetzt alles riskieren, um zu uns zu kommen. Um sie abzuwehren, werden Mauern und Zäune nicht reichen.