Mit „chinesischen Eigenschaften“: Wie Peking versucht, die Menschenrechte umzudeuten
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Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping spricht in der Zentralen Parteihochschule der Kommunistischen Partei Chinas.
© Quelle: imago images/Xinhua
Peking. Wer sich in China mit dem System anlegt, dem wird selbst ein letztes Wiedersehen mit seiner Familie verweigert. In einem offenen Brief hat der chinesische Menschenrechtsanwalt Yang Maodong darum gebeten, seine an Krebs erkrankte Ehefrau in den USA besuchen zu dürfen. Doch stattdessen wurde der Aktivist am Flughafen in Shanghai beim Ausreiseversuch vom Sicherheitspersonal ohne Vorwarnung abgeführt. Seine Frau ist am 10. Januar gestorben, von Yang selbst fehlt nach wie vor jede Spur.
Solch tragische Schicksale sind keine Seltenheit im China unter Xi Jinping. Denn die Menschenrechtssituation hat sich unter dem mächtigsten Staatsoberhaupt seit Mao Tsetung katastrophal verschlechtert: In Xinjiang haben die Behörden einen dystopischen Polizeistaat sowie ein flächendeckendes Lagersystem gegen die Minderheit der Uiguren errichtet. Sämtliche Keime der Zivilgesellschaft wurden in den letzten Jahren ausgerottet, die Medien vollkommen unter Kontrolle gebracht.
Umso überraschender ist es, dass die chinesische Journalistenvereinigung am Freitag zum Seminar „Chinas Menschenrechte: Theorie und Praxis in der neuen Ära“ einlädt. Doch was nach unfreiwilliger Komik klingt, hat System: Chinas Regierung versucht mit zunehmender Macht, seine Werte auf der globalen Bühne durchzusetzen.
Für die Öffentlichkeit am sichtbarsten geschah dies, als US-Präsident Joe Biden Ende letzten Jahres seinen „Demokratiegipfel“ lancierte. Als Antwort darauf starteten Chinas Staatsmedien, Diplomaten und Wissenschaftler eine systematische Propagandakampagne, deren vereinfachte Botschaft lautete: Die Volksrepublik China sei im Vergleich zum Westen die bessere und überlegene Demokratie.
Eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums sagte damals, ohne ihre Miene zu verziehen: Demokratie sei keine Coca-Cola, die überall gleich schmecke. Und während in den USA nur alle vier Jahre gewählt werde, würden die Chinesen eine Demokratie „für den ganzen Prozess“ genießen.
Strategie wurde im Geheimen ausgeheckt
Die Strategie der Regierung wurde im Geheimen ausgeheckt. Bereits im Februar 2014, als Xi Jinping noch nicht einmal ein ganzes Jahr im Amt war, instruierte der Präsident seine Minister: „Wir müssen uns nicht an die Standards des Westens halten oder uns darum kümmern, wie sie uns beurteilen. Wenn westliche Länder mit dem Finger auf Chinas Menschenrechte zeigen, müssen wir entschieden zurückschlagen!“
Wie dies genau ausschaut, lässt sich beim Pressetermin der „All-China Journalist Association“ in der Pekinger Innenstadt aus erster Nähe beobachten. „Demokratie und Menschenrechte sind universelle Werte der gesamten Menschheit. Aber wir müssen respektieren, dass Länder ihren jeweils eigenen Pfad wählen“, sagt Xu Xianchun, der am Institut für Parteigeschichte des Zentralkomitees forscht.
Menschenrechte mit „chinesischen Eigenschaften“ nennt der Propagandaapparat sein vages Konzept. Vor allem beruft man sich auf die wirtschaftliche Entwicklung, die in China durch die Kommunistische Partei sichergestellt werde. Und auch die Corona-Pandemie wird als Beispiel herangezogen: „Jedes Leben wird bei uns geschützt – vom Neugeborenen bis hin zu Ausländern, die in China leben“, sagt Wang Xigen von der juristischen Fakultät der Huazhong University of Science and Technology.
Weiter sagt Wang: „Ein Modell wird nicht alle Probleme in allen Ländern lösen können. Blind ein Modell zu kopieren verursacht nur Probleme.“ China habe immer darauf geachtet, die universellen Menschenrechte auf die nationalen Gegebenheiten anzupassen. Natürlich sind solche Aussagen hochgradig verlogen: Offiziell sind das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung in der chinesischen Verfassung gesichert. Tatsächlich jedoch werden die Bürger dafür verhaftet.
Propaganda stutzt alles zurecht
Doch die chinesische Propaganda stutzt alles nach den eigenen Vorstellungen zurecht: Die Umerziehungslager für Uiguren werden zu „Ausbildungszentren“ erklärt, Zwangsarbeitsprogramme zur „Hilfe zur Armutsbekämpfung“, aus Demonstranten werden „Terroristen“, und Anwälte werden zu Störenfrieden.
Trotz der offensichtlichen Verlogenheit sollte die internationale Staatengemeinschaft solche Umdeutungsversuche ernst nehmen. Denn für viele autokratische Regierungen, insbesondere unter Entwicklungsländern, ist das chinesische Modell tatsächlich eine große Verlockung.
In der Volksrepublik selbst ist seit Jahren bereits kein aufrichtiger Dialog mit selbstkritischen Untertönen mehr möglich. Wie radikal die heimische Presse bereits gleichgeschaltet ist, wurde auch beim Pressetermin der „All-China Journalist Association“ deutlich.
Ein Journalist der „Renmin Ribao“, Propagandaorgan der Kommunistischen Partei, stellte allen Ernstes eine Frage, derer Antwort es gar nicht bedurfte: „China hat in den letzten Jahren beeindruckende Fortschritte im Bereich der Menschenrechte gemacht und die internationale Gemeinschaft hat dem großen Respekt gezollt. Welche Inspirationen kann China anderen Ländern geben?“