„Ethnische Säuberung“: Putins Zwangsmobilmachung der Krimbevölkerung
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Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Bild zeigt russische Soldaten, die in der Stadt Armjansk im Norden der Krim auf einem Militärlastwagen sitzen.
© Quelle: Konstantin Mihalchevskiy/Sputnik
Nach der angekündigte Mobilmachung weiterer Reservisten in Russland wurden auch auf der 2014 völkerrechtswidrig annektierten Krim Einberufungsbefehle ausgestellt. Mindestens 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner der ukrainischen Halbinsel sollen laut dem Crimean Tatar Resource Center gezwungen worden sein, gegen das eigene Land zu kämpfen. „Darüber hinaus werden Vorladungen massenhaft an Orten verteilt, die von Krimtataren dicht besiedelt sind“, erklärt die krimtatarische Organisation. Unabhängig überprüfen lässt sich der Bericht nicht.
Beobachter kritisieren, dass Russland vorwiegend ethnische Minderheiten für den Krieg rekrutiert und ethnische Russen weitgehend ausspart. „Auch wenn das Ausmaß noch nicht abzusehen ist, können wir bei der politisch motivierten Zwangsrekrutierung der Krimtataren vom Versuch einer ethnischen Säuberung sprechen“, sagt Gwendolyn Sasse, Wissenschaftliche Direktorin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien. Die Krimtataren seien die Bevölkerungsgruppe der Krim, die schon immer am sichtbarsten gegen die russische Annexion protestiert habe.
Seit 2014 wurden die Krimtataren massiv unterdrückt und waren Repressalien ausgesetzt. „Politisch aktive Krimtataren wurden vertrieben, krimtatarische Organisation und Medien verboten, es gibt zahlreiche Berichte von Festnahmen und Folter“, erläutert Expertin Sasse. Diese Gruppe jetzt für den Krieg zu mobilisieren, sei ein Risiko für Putin und der Versuch, die Repressionen gegen einen widerständigen Teil der Krimbevölkerung auszuweiten. „Putin geht es hier nicht vorrangig um zusätzliche Kampfkraft, er will das politische Risiko für eine Gegenbewegung ausschalten.“
Um die Krim zu „russifizieren“, hatte Putin in den vergangenen Jahren ethnische Russen auf die Halbinsel umgesiedelt. Nun nutzt der Kremlchef die Mobilmachung offenbar, um die Krim weiter zu „russifizieren“. 80 bis 90 Prozent der eingezogenen Männer der Krim sollen laut Berichten Krimtaren sein.
„Freiwillige der Krim, die für das Vaterland eingetreten sind, verdienen besonderen Stolz und Respekt“, erklärte der von Russland eingesetzte und international nicht anerkannte Krim-Chef Sergei Aksjonow. Doch von Freiwilligkeit kann keine Rede sein. Laut der Initiative „Crimean Idea“ seien mindestens 1000 Männer gewaltsam in einen Bus gesetzt und auf das Gelände des Militärhauptquartiers gebracht worden. Sie bezeichnete dies als „Kriegsverbrechen“.
„Protestiert! Kämpft! Lauft weg!“: Selenskyj ruft Russen zum Protest gegen Mobilmachung auf
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die russischen Staatsbürger dazu aufgerufen, sich gegen die Teilmobilmachung im Land zu stellen.
© Quelle: dpa
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in einer Videoansprache „die katastrophale Lage auf der besetzten Krim“ scharf kritisiert. Er sprach von einem „weiteren Element der Völkermordpolitik Russlands“. Wie viele Einwohner der Krim heute zu den Krimtataren zählen, ist nicht bekannt. Die letzten Zahlen von 2014 gingen von 250.000 bis 280.000 Menschen aus. Das entsprach etwa 12 Prozent der Krimbevölkerung. Viele sind nach dem russischen Angriff und der Annexion geflüchtet.
Auch aus anderen Regionen höre man, so Osteuropaexpertin Sasse, dass vor allem ethnische Minderheiten für den Krieg eingezogen werden, die dagegen zu protestieren beginnen. Berichte gibt es unter anderem aus Dagestan und Jakutien. „Wenn die Krimtataren bei einer großen Mobilmachung mit Waffen ausgestattet werden, besteht das Risiko eines breiten Aufstands gegen die russische Besatzungsmacht – sowohl auf der Krim als auch an der Front“, sagt Sasse.
Der Medschlis des Krimtatarischen Volkes, ein politisches Parallelparlament der Krimtataren, rief die Bewohnerinnen und Bewohner der Halbinsel auf, sich der Mobilmachung zu widersetzen. „Keiner der Bewohner der Krim sollte Komplize eines internationalen Verbrechens werden, das von russischen Besatzern begangen wird, die unsere Krim erobert haben.“ Täglich wollten die Krimbewohner an öffentlichen Plätzen protestieren.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat aufgrund der zunehmenden Niederlagen seines Vernichtungskriegs gegen die Ukraine am Mittwoch die Einberufung von 300.000 Reservisten verkündet. Kremlkritische Medien gehen jedoch von bis zu 1,2 Millionen Menschen aus. Seit der Ankündigung erlebt Russland eine Massenflucht. Mehrere Zehntausend Russen haben das Land bereits verlassen.
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