Die drei Tage von München

Einigkeit der Gleichgesinnten und ein kleiner Hoffnungsschimmer

Wolfgang Ischinger (links), Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), und Wang Yi, Vorsitzender der außenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei Chinas

Wolfgang Ischinger (links), Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), und Wang Yi, Vorsitzender der außenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei Chinas

München. Wie außergewöhnlich die Lage ist, konnte man ganz gut daran erkennen, dass der deutsche Verteidigungsminister von seinen jungen Jahren erzählte. Er sei ein Kind des Kalten Krieges, sagte Boris Pistorius, der 1960 im niedersächsischen Osnabrück geboren wurde. In der Stadt waren britische Soldaten stationiert. Und die Eltern des SPD-Politikers hatten „Konserven und Vorräte für den Ernstfall im Haus“. Man konnte ja nicht wissen.

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Die alte Bundesrepublik, in der Pistorius groß wurde, konnte bis 1989 in Frieden leben. Anders als die Ukraine, die bis in die 1990er-Jahre hinein Teil der Sowjetunion war. Russische Truppen fielen am 24. Februar 2022 in das Nachbarland ein. Und Boris Pistorius, für den sich aus dem Schutz Deutschlands durch die Alliierten in der Vergangenheit eine Verpflichtung für das angegriffene Land in der Gegenwart ergibt, sagte auf dem Podium der Münchner Sicherheitskonferenz: „Ich muss jetzt mit 62 Jahren Milliarden für Waffen ausgeben. Es ist unglaublich, und es ist eigentlich furchtbar.“

Chinas Friedenspapier für die Ukraine: „Ein bisschen Frieden wird nicht ausreichen“

Kristina Dunz ist für das RedaktionsNetzwerk Deutschland bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Hier zieht sie ihr Fazit des letzten Tages.

Damit war das Spannungsfeld der Konferenz im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt, an der einmal mehr große Teile der außen- und sicherheitspolitischen Elite der westlichen Welt teilnahmen, gut umrissen. Der Albtraum ist Wirklichkeit geworden. Es gibt kein Entrinnen.

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„Was heute in Europa passiert, könnte morgen in Asien passieren.“

Im Grundsatz war diese Konferenz einig – was auch damit zusammenhing, dass offizielle Vertreter des Kreml von Konferenzchef Christoph Heusgen ebenso wenig eingeladen worden waren wie Repräsentanten des mit Russland verbandelten Mullah-Regimes im Iran. Lange war der russische Außenminister Sergej Lawrow in München ein- und ausgegangen. Auch Präsident Wladimir Putin selbst ist dort kein Unbekannter. Nun zog Heusgen die Reißleine. Er wollte den Propagandisten des Unmenschlichen keine Bühne bieten.

Die Verbliebenen pfiffen bisweilen wie im dunklen Wald. So geißelte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die „imperialistischen Pläne von Präsident Putin“, und fügte hinzu: „Wir werden das niemals akzeptieren.“ Mehrfach machte die Christdemokratin deutlich, was die Stunde geschlagen hat. „Das ist jetzt ernst“, sagte sie. „Das trifft den Kern unserer Existenz.“

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte: „Wir waren geschockt über die Brutalität, aber wir sollten nicht überrascht sein.“ Der Kreml wolle ein anderes Europa. Und das größte Risiko bestehe darin, „dass Putin gewinnt“. Der Norweger, der im Sommer abtritt, warnte: „Was heute in Europa passiert, könnte morgen in Asien passieren.“ Das war auf China gemünzt, das die Unabhängigkeit Taiwans so wenig anerkennt wie Russland die Unabhängigkeit der Ukraine.

Neben vielen anderen Frauen in Führungspositionen war die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, in München. Sie sagte: „Neutralität schützt nur, wenn andere Länder diesen Status ernst nehmen.“ Russland tut dies auch in der Republik Moldau nicht. Im Gegenteil, Putin setzt das Land auf allen Ebenen unter Druck – und hat in der Region Transnistrien längst einen ähnlichen Unruheherd geschaffen wie 2014 im Osten der Ukraine.

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Nicht jeder ist sich einig

Es gab in München Differenzen im Detail. So ließ aufhorchen, dass Pistorius sagte, die Ukraine müsse „gewinnen“ – ein Wort, das Kanzler Olaf Scholz meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Doch im Grundsatz herrschte Konsens: dass der Angriff auf die Ukraine ein Angriff auf die gesamte demokratische Welt sei und eine entsprechende Reaktion nötig mache.

Für Kopfschütteln sorgte ausgerechnet die Ukraine selbst. Das galt nicht für Außenminister Dmytro Kuleba, der in der Bundesregierung viele Freunde hat. Er sagte am Samstag auf einem der zahlreichen Podien, Sieg bedeute „vollständige Widerherstellung der Integrität der Ukraine“ – und „Schadenersatz“. Der Krieg werde „dann enden, wenn Russland keine Aggression mehr darstellen kann“. Er hätte auch sagen können: wenn Putin nicht mehr Präsident ist.

Verdruss löste aus, dass Vizeregierungschef Olexander Kubrakow am Freitagabend Streumunition und Phosphorbrandwaffen für den Kampf gegen Russland forderte. Die USA und andere Verbündete hätten Millionen Schuss davon, sagte er bei der Sicherheitskonferenz und fuhr fort, Russland nutze diese Art von Kampfmitteln jeden Tag. „Warum können wir sie nicht nutzen?“

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Tatsächlich ist Streumunition völkerrechtlich geächtet – weil es sich um Raketen und Bomben handelt, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Sprengkörper freisetzen, sodass Schutz kaum möglich ist. Phosphormunition wiederum kann bei Menschen schwerste Verbrennungen und Vergiftungen verursachen. Nato-Generalsekretär Stoltenberg erteilte der Forderung denn auch eine klare Absage. Hinter den Kulissen hieß es, die Ukraine spiele damit nicht zuletzt der russischen Propaganda in die Hände.

China streitet über einen Ballon – und plant Frieden in Ukraine

Zugleich trat in München ein sehr mächtiger Politiker in Erscheinung, der die Harmonie störte – und auf den manche jetzt trotzdem gewisse Hoffnungen setzen: Wang Yi, Chef der außenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei Chinas und damit ranghöchster Außenpolitiker der Volksrepublik.

Zwar attackierte der Gast aus Peking die USA, und das massiv. So nannte er den jüngsten Abschuss eines chinesischen Ballons über dem Territorium der Vereinigten Staaten eine „absurde und hysterische Reaktion“ sowie einen „Missbrauch von Gewalt“. Schließlich habe es sich um ein unbemanntes ziviles Flugobjekt gehandelt, das versehentlich von seinem Kurs abgekommen sei. Überhaupt hänge die Administration von Präsident Joe Biden einer strategischen Fehleinschätzung an, so Wang Yi. China sei nämlich keine Bedrohung. Ja, er warf denen in Washington eine „Schmutzkampagne gegen China“ vor. Das war starker Tobak. Ferner unterstrich der 69-Jährige, dass Taiwan ein Teil Chinas sei. Manche fürchten, das kommunistische Regime könne die Insel im Schatten des Ukraine-Krieges angreifen.

Dafür kündigte er für eben diesen Ukraine-Krieg eine Friedensinitiative an. „Wir werden etwas vorlegen. Und zwar die chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“, sagte Wang Yi. „Wir werden auf der Seite des Friedens und des Dialoges standfest stehen.“

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Dabei sagte er noch ein paar weitere Sätze, die aufhorchen ließen – wie etwa den, dass die menschliche Gesellschaft „nicht in Antagonismus zurückfallen“ dürfe, die territoriale Integrität aller Länder geachtet werden müsse, jede Einmischung in innere Angelegenheiten gegen die geltenden Normen verstoße und die Welt sich an diese Prinzipien halten solle. Wer all das wörtlich nehmen wollte, der konnte es lediglich als Aufforderung an Russland interpretieren, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen.

Berlin blickt skeptisch nach Peking

Hinzu kam, dass der Chinese vorher und nachher allerlei Gespräche führte – mit Kanzler Olaf Scholz, mit Außenministerin Annalena Baerbock, vor allem mit US-Außenminister Antony Blinken. Von ungefähr kam das nicht. Konferenzchef Heusgen hatte bereits vor Tagen unterstrichen, dass ganze Fluchten in dem Traditionshotel „Bayerischer Hof“ für derlei Treffen freigehalten würden. Die Sicherheitskonferenz war ja immer zweierlei: Bühne für öffentlichen und bei Bedarf streitigen Austausch sowie Kulisse für diplomatisches Speeddating, das auf Interessenausgleich zielt.

20.000 Menschen demonstrieren während Münchner Sicherheitskonferenz

Die Kundgebungen gingen weitgehend friedlich und ohne große Zwischenfälle über die Bühne.

Die Reaktionen auf Wang Yis Rede waren unterschiedlich. Unter deutschen Außenpolitikern herrscht sehr große Skepsis. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen sagte, die Rede sei „unehrlich“ gewesen. Denn China sei „das Land, das Einfluss auf Russland hat, den Krieg zu beenden“. Der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer äußerte sich nahezu wortgleich.

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In Regierungskreisen sieht man die Sache nicht ganz so pessimistisch. Von dort verlautet, in der Initiative könne eine Chance stecken. Wang Yi habe immerhin allerlei Dinge gesagt, an denen man China nun messen könne. Mit konkreteren Erklärungen wird Ende der Woche anlässlich der UN-Generalversammlung in New York gerechnet. Gewiss ist, dass Wang Yi aus München nach Moskau weiterflog, zum russischen Verbündeten. Gewiss ist nicht minder, dass in Peking ein Schlüssel zur Beendigung des Krieges liegt – wenn nicht jetzt, dann später.

Hoffnungsschimmer zum Schluss

Christoph Heusgen zeigte sich am Schluss des dreitägigen Meetings zufrieden – und erwähnte dabei unter anderem die Begegnung zwischen Wang Yi und Blinken. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz gab überdies seiner Hoffnung Ausdruck, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sie am Freitag mit einer Videoansprache eingeleitet hatte, im kommenden Jahr wieder persönlich erscheine. „Das würde bedeuten, dass dieser schreckliche Krieg vorüber ist.“

Auch der Mann aus Osnabrück, Verteidigungsminister Boris Pistorius, sehnt sich nach Frieden. „Niemand von uns kann einen ewigen Krieg wollen“, sagte er. Er koste „wahnsinnig viele Leben“.

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