Fünf Gründe für die Rekordwerte der AfD
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© Quelle: Markus Scholz/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
die AfD ist bundesweit im Aufwind. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa meldete an diesem Mittwoch den höchsten jemals gemessenen Wert mit 17 Prozent. Am Donnerstag taxiert der ARD-Deutschlandtrend sogar 18 Prozent - gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD. Nun war die AfD zu Zeiten der großen Koalition schon einmal Oppositionsführerin, weil sie damals nach Union und SPD als drittstärkste Kraft im Bundestag landete. Beunruhigen müssen die hohen Werte der Rechtspopulisten mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten.
2024 sind die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen, Thüringen und Brandenburg aufgerufen, die Zusammensetzung ihrer Landesparlamente und damit auch ihre Landesregierungen neu zu bestimmen. In allen drei Ländern könnte die aus guten Gründen durch den Verfassungsschutz beobachtete AfD stärkste Partei werden. In Sachsen liegen die Rechtspopulisten laut einer Insa-Umfrage von April mit 28 Prozent 3 Punkte vor der regierenden CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). In Brandenburg zeichnet sich laut Infratest Dimap von April ein Kopf-an-Kopf-Rennen der AfD (23 Prozent) mit der CDU (23) und der SPD (22) ab, die aktuell mit Dietmar Woidke den Ministerpräsidenten stellt. Auch in Thüringen hat die AfD laut Insa mit 26 Prozent die Nase knapp vor der Linkspartei von Ministerpräsident Bodo Ramelow, die auf 25 Prozent kommt.
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Liegen in ihrem Bundesland aktuell jeweils hinter der AfD: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU, links) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).
© Quelle: dpa
Aus meiner Sicht kann man eine Reihe von Gründen klar benennen, warum die Rechtspopulisten, die sich in weiten Teilen des Landes als Rechtsradikale und teils als Faschisten zeigen, aktuell im Aufwind liegen.
1. Die Vernachlässigung zentraler Themen
Seit Monaten baut sich durch den Zuzug von Geflüchteten in den Kommunen eine Lage auf, die 2015/2016 mit dem Stichwort Flüchtlingskrise umrissen wurde. Die Verantwortlichen vor Ort und auch die zuständige Bundesbehörde sind im Jahr 2023 bedeutend besser organisiert, weshalb die Lage in den Städten und Gemeinden bislang nicht eskaliert ist. Kürzlich sagte ein Ministerpräsident in vertrautem Kreis: „Wir halten die Füße still, weil wir mit dem Beschreiben der dramatischen Lage nicht das Geschäft der AfD betreiben wollen.“ So weit, so ehrenhaft. Doch wenn die Bundesregierung beim Thema Flüchtlinge Länder und Kommunen mit ihren Nöten im Regen stehen lässt, dann durchschauen auch die Bürgerinnen und Bürger, dass sie mit ihrer Furcht vor übermäßiger Zuwanderung und mangelnder Integration alleingelassen werden. Ähnlich sieht es bei den Themen Pflege, Bildung und Digitalisierung sowie in der Frage von Wohlstandsverlust aus. Von der versprochenen Fortschrittskoalition kommt bisher kaum etwas konkret bei den Bürgerinnen und Bürgern an. Da hat die AfD ein leichtes Spiel, mit windigen Versprechungen und gezielter Hetze zu punkten.
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2. Der Krieg in der Ukraine
Noch steht eine Mehrheit der Bevölkerung hinter der durchaus vorsichtigen Linie von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen – ohne ein Kriegsgeheul anzustimmen. Zu sehen ist aber auch, dass in jenen Regionen, in denen Skepsis und Widerstand gegenüber den Waffenlieferungen an die Ukraine besonders groß ist, die AfD überdurchschnittlich hohen Zulauf hat. Das ist im Osten stärker ausgeprägt als im Westen. Die AfD-Führung zeigt ihre Nähe zu Putin ganz offen – wie beispielsweise der Auftritt von Parteichef Tino Chrupalla beim Empfang der russischen Botschaft in Berlin belegt. Die Union als Oppositionspartei stützt grundsätzlich den Kurs der Ampel beim Thema Waffenlieferung – öffentlich verlangte sie sogar noch mehr Engagement der Bundesregierung für die Ukraine. CDU/CSU können also die Gegnerinnen und Gegner der Waffenlieferungen nicht einsammeln. Die AfD profitiert nicht nur als Stimme für Russland vom Krieg. Sie kocht ihr Süppchen eben auch auf den daraus folgenden innenpolitischen Krisen wie Inflation und Energieknappheit.
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Olaf Scholz bei der Begrüßung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: Noch steht eine Mehrheit der Bevölkerung hinter der Linie des Kanzlers.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
3. Die Schwäche der Ampel
SPD, Grünen und Liberalen fehlt der innere Zusammenhalt und die Kraft, einmal gefundene Kompromisse und verabredete Gesetzesprojekte auch miteinander umzusetzen. Das umkämpfte Gebäudeenergiegesetz und der blockierte Haushalt, an dem weitere etliche Gesetzesvorhaben hängen, symbolisieren das Drama. Der Effekt, dass der Krieg in der Ukraine die Regierungskoalition hätte zusammenschweißen können, ist ausgeblieben. Die Machtpolitik überlagert ständig die Sachfragen. Das schwächt die Regierung insgesamt.
Zum Start der Regierung standen die Grünen stark und strahlend da, während SPD und insbesondere die Liberalen mit schwächelnden Umfragewerten und Landtagswahlergebnissen abfielen. Dass die Grünen in den Umfragewerten nun so weit nach unten gerauscht sind, liegt hauptsächlich am ständigen Chaos im Klima- und Wirtschaftsministerium von Robert Habeck. SPD und FDP haben aber durchaus ihren Teil dazu beigetragen, dass der Vizekanzler einen solchen Ansehensverlust hinnehmen musste. Der Ampel ist der gemeinsame Spirit abhandengekommen. Wenn sich SPD, Grüne und Liberale zur Abwechslung mal gegenseitig das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen würden, stünde die Koalition schon stärker da.
4. Die Schwäche der Opposition
Wer sich von der Ampel abwendet, könnte sich ja zur Union oder zur Linkspartei orientieren. Der tief gespaltenen Linkspartei, die in der Hauptstadt woke und in den Regionen strukturkonservativ wahrgenommen wird, gelingt es schon lange nicht mehr, Proteststimmen einzusammeln. Die Union steht mit rund 30 Prozent längst nicht so gut da, wie sie es angesichts der schwachen Regierungskoalition könnte. Oppositionsführer Friedrich Merz ist es zwar gelungen, der Partei wieder mehr Selbstbewusstsein und inneren Zusammenhalt zu geben, nach außen aber fehlt die Anziehungskraft. Bislang kann die Union nicht glaubhaft vermitteln, dass sie das Land in dieser schwierigen Lage besser führen könnte. Dass Unionspolitiker und ‑politikerinnen angesichts der steigenden Werte für die AfD nun mit dem Finger auf die Ampel zeigen und diese dafür verantwortlich machen, ist wirklich zu kurz gesprungen.
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Friedrich Merz gab der Union wieder mehr Selbstbewusstsein und inneren Zusammenhalt, nach außen aber fehlt die Anziehungskraft.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
5. Die Kommunikation
Die erste Fassung des Gebäudeenergiegesetzes war nicht ausgereift und nicht an der Realität ausgerichtet, was die Verfügbarkeit von Wärmepumpen und Handwerkerleistungen angeht. Das ist bei Gesetzesvorhaben, die tatsächlich eine Wende einleiten sollen – in diesem Fall die Energiewende beim Heizen – nicht ungewöhnlich. Dass der Gesetzentwurf der „Bild“-Zeitung und der Opposition zur Kampagne dienen und das Ansehen der Grünen derart ramponieren konnte, hat auch mit einer miserablen Kommunikation zu tun. Erst wurde der unausgereifte Gesetzentwurf aus den Reihen der Regierung durchgestochen, und dann stand im Mittelpunkt, warum der radikale Ansatz nicht funktionieren kann. Über die Notwendigkeit des Einsparens von CO₂-Emissionen hat kaum noch jemand gesprochen. Die AfD wiederum muss in einer solchen Lage nicht viel tun, dass der Ärger von Hausbesitzern und deren Angst der Überforderung zu Wasser auf ihren Mühlen wird. Hätte die Koalition gemeinsam zu dem Projekt gestanden und öffentlich sachlich über die notwendigen Änderungen an dem Gesetzentwurf debattiert, könnten die Rechtspopulisten ihr Geschäft nicht mit dem Verweis auf abgehobene Politik aus dem Berliner Regierungsviertel betreiben.
Klare Ansage
„Friss oder streik“
Kristian Loroch,
Verhandlungsführer der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG)
Wer regelmäßig per Zug unterwegs ist, wird in den nächsten Wochen wieder viel improvisieren müssen. Die Zeichen bei der EVG stehen auf Streik. Verhandlungsführer Loroch gibt die Verantwortung dafür der Deutschen Bahn und formulierte es so: „Wir müssen davon ausgehen, dass die Deutsche Bahn AG hier eine Strategie fährt, die für uns heißt: Friss oder streik.“ Bis zum Wochenende wird der Zugverkehr voraussichtlich nur mit üblichen Verspätungen und Ausfällen laufen, danach könnte es mit dem nächsten Warnstreik und danach unbefristeten Ausständen rundgehen. Die Verhandlungen sind vorerst daran gescheitert, dass die Arbeitgeberseite nicht bereit war, die Forderung nach einem Sockelbetrag für die Beschäftigten von mindestens 650 Euro mehr zu erfüllen.
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Der Verhandlungsführer der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Kristian Loroch.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Die Bürgerinnen und Bürger vermissen beim Kanzler politische Führung. „Auch wenn nur wenige Bundesbürger die Hauptverantwortung für den aktuellen Koalitionsstreit bei der SPD sehen, haben gleichzeitig nur wenige Bundesbürger (8 Prozent) den Eindruck, dass der der SPD angehörende Bundeskanzler Olaf Scholz bislang genug tut, um die Konflikte innerhalb der Regierungskoalition zu beenden und ein einheitliches Regierungshandeln sicherzustellen“, analysiert das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Die große Mehrheit (81 Prozent) sei dagegen der Meinung, dass Olaf Scholz stärker führen müsse als bisher. Das sehen die SPD-Anhängerinnen und ‑Anhänger mit großer Mehrheit von 75 Prozent auch so. Während die Bürgerinnen und Bürger sehr klar eine Führungsschwäche beim Kanzler sehen, halten ihn etwas weniger als die Hälfte für „kompetent“ (46 Prozent) und „vertrauenswürdig“ (44 Prozent).
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© Quelle: Forsa
Das ist auch noch lesenswert
Mein Kollege Can Merey hadert sehr mit den Türkinnen und Türken, die von Deutschland aus für Präsident Recep Tayyip Erdogan gestimmt haben. „Jede Wette, dass von den mehr als 500.000 Deutschtürken und Deutschtürkinnen, die Erdogan gewählt haben, kaum jemand ernsthaft erwägt, zurück in die Heimat der Vorfahren zu ziehen. Denn eigentlich wissen sie natürlich, welches Land das bessere Modell bietet: Deutschland“, schreibt Can in seinem Krisen-Radar – ein Newsletter, der jeden Mittwoch kommt und den ich als Abo empfehle. Bei Interesse: Hier entlang.
Jan Sternberg gehört zu der Sorte Reporter, die sich gern mal einem Selbsttest unterziehen. Nun hat er ausprobiert, wie es sich per Nachtzug von Berlin nach Brüssel reist – selbstverständlich nicht ohne ein wenig über Schlafwagenpolitik nachzudenken. Das alles ist hier nachzulesen. (+)
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Sonnenaufgang in Holland – mit einem neuen Nachtzug kann man jetzt von Berlin nach Brüssel und Amsterdam reisen.
© Quelle: IMAGO/ANP
Meine Kolleginnen von der „Leipziger Volkszeitung“ haben journalistisch oft genug mit Rechts- und Linksextremen zu tun. Vor dem Urteil gegen die Linksextreme Lina E. haben Denise Peikert und Antonie Rietzschel noch einmal die Geschichte von Lina E. aufgeschrieben, die am Mittwoch zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Die Geschichte finden Sie hinter dem Link auch als Podcast zum Hören. (+)
Osteuropa hat einen weiteren Krisenherd: Auf dem Westbalkan bekämpfen sich Serben und Kosovaren – dabei sind auch schon die zum Schutz in Albanien stationierten KFOR-Soldaten verletzt worden. Daniela Vates kommentiert die ebenso unübersichtliche wie gefährliche Lage zwischen den Ländern, die beide EU-Mitglied werden wollen.
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!
Herzlichst
Ihre Eva Quadbeck
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