Papst lehnt Rücktritt von Kardinal Marx ab: Bischof Bätzing ist „erleichtert“
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Kardinal Marx hatte seinen Rücktritt angeboten.
© Quelle: Alessandra Tarantino/AP/dpa
Papst Franziskus hat den Rücktritt des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, abgelehnt. „Mach weiter, so wie du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising“, schrieb das Oberhaupt der katholischen Kirche in einem Brief an Kardinal Marx, den der Heilige Stuhl am Donnerstag veröffentlichte. Marx hatte am 4. Juni ein Schreiben veröffentlicht, in dem er von einem „toten Punkt“ in der katholischen Kirche sprach.
„Wir haben Fehler gemacht, wir haben gesündigt.“
Papst Franziskus
Matthias Kopp (Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz) sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Bischof Bätzing ist erleichtert, dass Kardinal Marx weiter im Amt ist. Er freut sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit.“ „Beim nächsten Ständigen Rat ist der Ort, bei dem die Bischöfe über die Gesamtlage der Kirche sprechen werden“, so Kopp. Dort soll es ab 21. Juni noch einmal um die Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche und Konsequenzen gehen. Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, sowie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, haben die Entscheidung des Papstes begrüßt.
Papst weist Rücktritte nur selten zurück
Kopp erklärt gegenüber dem RND: „Es ist eher selten, dass Rücktritte vom Papst nicht angenommen werden.“ In der Vergangenheit sorgte unter anderem das Rücktrittsangebot der chilenischen Bischofskonferenz international für Aufsehen: Wegen des Umgangs mit Missbrauchsskandalen hatten alle Bischöfe in Chile ihren Rücktritt angeboten. In mehreren Fällen hatte Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch angenommen.
Papst-Antwort kommt früher als erwartet
Am 21. Mai 2021 hatte der 67 Jahre alte Marx in einem Brief an Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten. Dass die Antwort des Papstes nach nicht einmal drei Wochen kam, ist für viele Expertinnen und Experten in der Kirche überraschend.
An dem Schreiben des Papstes sind gleich mehrere Aspekte besonders: Franziskus schreibt nicht nur fünf Zeilen, sondern hat sehr warmherzig und wohlwollend eine persönliche Reflexion verfasst. Der Stil des Briefes und die Verwendung der spanischen Sprache weisen darauf hin, dass Franziskus diesen Brief auch persönlich geschrieben hat. Ein solcher Brief ist untypisch, da er nicht den kurinalen Vorgängen des Vatikans entspricht. Zu Papst Franziskus passe dies aber, denn er ist für seine unorthodoxen Vorgehensweisen bekannt, meint Vatikan-Experte Ulrich Nersinger im Gespräch mit dem dem RND.
Gleichzeitig erkennt Nersinger im Brief auch einige Formulierungen, die versteckte Kritik enthalten und als Ermahnung verstanden werden können: So ist im Brief von „Reformation“ die Rede (der gesamte Brief im Wortlaut), was als kritische Anspielung auf den Reformprozess „Synodaler Weg“ in Deutschland verstanden werden kann. Auch die Betonung von „Schuld“ sieht Nersinger als kritische Ermahnung.
Kardinal Marx von schneller Antwort überrascht
Die schnelle Antwort konnte Marx kaum fassen. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so schnell reagieren würde und auch seine Entscheidung, dass ich meinen Dienst als Erzbischof von München und Freising weiter fortführen soll, habe ich nicht so erwartet“, teilte er in einer schriftlichen Stellungnahme mit. Franziskus habe ihn damit vor eine „große Herausforderung“ gestellt. Die Entscheidung bedeute für ihn, „zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können – auch angesichts einer Geschichte des vielfältigen Versagens –, um das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen“, sagte er. Er wolle nun die Entscheidung des Papstes akzeptieren, „so wie ich es ihm versprochen habe“.
Vatikan-Experte: „Rücktritt ist noch nicht ausgeschlossen“
Nersinger meint in einer ersten Einschätzung zum Antwortschreiben: „Das ist kein Freibrief. Ein Rücktritt ist noch nicht ausgeschlossen. Es ist die Aufforderung an Marx, das Kapitel aufzuklären.“ Er geht davon aus, dass noch weitere Vorwürfe auftauchen werden. Auch anderen Bischöfen in Deutschland wird der Brief zu denken geben, ist sich Nersinger sicher: „Woelki und andere Bischöfe müssen ihre Schlüsse aus dem Brief ziehen“, meint er im Gespräch mit dem RND. In jedem Fall werde der Entschluss des Papstes die Diskussion rund um Missbrauch in Deutschland weiter befeuern. Nersinger rechnet auch mit Vorwürfen, wonach der Vatikan nicht genug aufklärt: „Es werden Stimmen kommen, dass das ein abgekartetes Spiel sei“, glaubt der Vatikan-Experte.
Ablehnung des Rücktritts im Sinne aller?
Kardinal Marx war in der Vergangenheit Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und war international sehr geachtet. Das Antwortschreiben des Papstes zeigt nun: Franziskus will auf Marx nicht verzichten – nicht in München und nicht in der Kurie. Kurz nach Bekanntwerden des Rücktrittsgesuchs waren Spekulationen bekannt geworden, wonach Marx möglicherweise die Leitung der „Personalabteilung der katholischen Weltkirche“ übernehmen könnte.
Ein dauerhafter Posten in Rom sei aber nicht Marx‘ Stil, meint unter anderem der Vatikan-Experte Ulrich Nersinger: „Das wäre absolut falsch“, sagte er dem RND. Marx zieht es dorthin, wo die Menschen sind. Für Nersinger wäre ein Posten in Rom auch das falsche Signal: „Wenn er wirklich Schuld hat, kann ich ihn nicht wegloben und befördern“, meint der Vatikan-Experte. Er sieht Marx nun in der Pflicht, den Forderungen des Papstes nachzukommen und umfassend aufzuklären. „Er muss alles auf den Tisch legen – was in München geschehen ist und in seiner vorherigen Diözese Trier“, so Nersinger.
Rücktritt abgelehnt: Wie geht es weiter?
Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ sieht laut dpa die schnelle Antwort aus Rom als „brüderliche Rückenstärkung“. Der Brief sei auch eine Aufforderung an Marx, „sich hier in seinem Bistum und auf dem Reformkurs der katholischen Kirche in Deutschland auch weiterhin mit seiner Kraft und Kompetenz einzusetzen“.
Auch Kirchenrechtler Thomas Schüller versteht in der Ablehnung des Rücktrittsgesuchs einen Aufruf zu Reformen. „Die Botschaft: Wir können vor der strukturellen Sünde und Schuld des sexuellen Missbrauchs nicht fliehen – sondern müssen ihr gemeinsam ins Auge schauen. Und: wir müssen Reformen anstoßen, das heißt Fleisch auf den Grill legen“, sagt der Direktor des Institutes für Kanonisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster.
„Die gesamte Kirche ist in der Krise wegen des Missbrauchs; ja mehr noch, die Kirche kann jetzt keinen Schritt nach vorn tun, ohne diese Krise anzunehmen.“
Papst Franziskus
Kardinal Marx hat in seiner Mitteilung angekündigt, er wolle „in den nächsten Wochen darüber nachdenken, wie wir gemeinsam noch mehr zur Erneuerung der Kirche hier in unserem Erzbistum und insgesamt beitragen können“. Es bleibe dabei, dass er als Bischof persönlich Verantwortung trage und auch eine ‚institutionelle Verantwortung‘ habe. Er kündigte an, die Perspektive der Betroffenen noch stärker einbeziehen zu wollen. „Einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein“, so Marx.
Noch in diesem Jahr will das Erzbistum München-Freising ein Gutachten zu Missbrauchsfällen im eigenen Bistum veröffentlichen. Ob dies Marx entlasten wird oder neue Rücktrittsforderungen laut werden, bleibt abzuwarten.