Paragraf 218 und 219a: So stehen die Parteien zum Abtreibungsrecht
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Der Schwangerschaftsabbruch ist im Strafgesetzbuch unter Paragraf 218 geregelt. Die Paragrafen 219 und 219a regeln die Beratung sowie das Verbot von „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“.
© Quelle: epd
Berlin. Die Diskussion um den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, der die „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, hat 2019 für heftigen Streit in der großen Koalition gesorgt. Union und SPD einigten sich schließlich auf einen Kompromiss, der zu einer Lockerung des sogenannten Werbeverbots führte. Die Neuregelung sollte verbesserte Informationsmöglichkeiten für Frauen schaffen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, sowie mehr Rechtssicherheit für Ärztinnen, Ärzte und Krankenhäuser, die Abbrüche durchführen.
In der Opposition im Bundestag und auch bei Beratungsstellen wie Pro Familia und dem Bundesverband der Frauenärzte reißt die Kritik an der Kompromisslösung seitdem jedoch nicht ab. Eine neue Bundesregierung könnte die Diskussion nach der Bundestagswahl erneut aufnehmen. Eine Mehrheit der im Bundestag vertretenen Parteien spricht sich nämlich für die Abschaffung des Paragrafen 219a aus. Ein Überblick:
SPD
Die SPD fordert eine Streichung des Paragrafen 219a. Bundestagsmitglied Gülistan Yüksel erklärte bereits im Juli: „Frauen, die sich in einer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, brauchen ungestörten Zugang zu Informationen.“ Im SPD-Wahlprogramm heißt es im Hinblick auf den Paragrafen 218: „Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.“
Weiterhin fordert die SPD eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung, die die sogenannte „Gehsteigberatung“ durch Abtreibungsgegner und -gegnerinnen vor Beratungsstellen verhindert. Yüksel erklärte: „Schwangere Frauen, die sich oftmals in einer emotional sensiblen Lage befinden, werden hierdurch psychisch unter Druck gesetzt und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.“ Beraterinnen und Berater sowie Ärztinnen und Ärzte könnten hierdurch ihren Beruf nicht ungestört ausüben.
Die Grünen
Für eine Überführung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht sowie die Streichung des Paragrafen 219a plädieren auch die Grünen. Die frauen- und queerpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, sagte dem RND: „Wir wollen die ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a StGB, ein Recht auf Beratung und keine grundsätzliche Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.“ Es sei notwendig, Lösungen für gesetzliche Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches zu suchen, so Ulle Schauws.
Mit Blick auf die Versorgungslage sagte die Grünen-Politikerin: „Es so zu lassen wie bisher bedeutet, sehenden Auges auf einen Versorgungsnotstand zuzusteuern.“
Die Linke
Die Linke will die Paragrafen 218, 219 und 219a vollständig aus dem Strafgesetzbuch streichen. Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Schwangerschaftsabbrüche und ihre Nachsorge sind medizinische Leistungen, weshalb wir sie als Teil der regulären Gesundheitsversorgung regeln wollen.“
Aktuell leide die Versorgungssituation vor allem unter Kriminalisierung und Stigmatisierung: „Natürlich schreckt es werdende Ärztinnen und Ärzte ab, eine Straftat zu erlernen und durchzuführen.“
Der Paragraf 219a gebe Abtreibungsgegnern und -gegnerinnen ein Instrument an die Hand, um Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, massiv einzuschüchtern. „Das müssen wir ihnen entziehen und gleichzeitig durch die Entkriminalisierung dafür sorgen, dass das Wissen rund um Schwangerschaftsabbrüche und deren Nachsorge regulärer Bestandteil der medizinischen Ausbildung und Versorgung wird.“
FDP
Auch die FDP will den Paragrafen 219a streichen, an Paragraf 218 aber festhalten: „Dieser Kompromiss ist das Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Diskussion und sollte in seiner Grundkonstruktion auch nicht angetastet werden“, sagte Stephan Thomae dem RND.
Paragraf 219a hingegen sei kein integraler, verfassungsrechtlich unverzichtbarer Bestandteil des Kompromisses und habe sich als reformunfähig erwiesen. „In der Tradition des liberalen Rechtsstaats können sachliche Informationen über einen legalen Vorgang kein strafbares Unrecht sein“, betonte Thomae.
Außerdem fordert die FDP, die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten zu reformieren: „In Deutschland stehen Ärztinnen und Ärzte vor dem Problem, dass Schwangerschaftsabbrüche kaum im Medizinstudium behandelt werden“, erklärte der FDP-Politiker. „Wird im Medizinstudium dieses Wissen nicht breit gelehrt, wird auch so der Anspruch von Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch unterlaufen.“
Union
Für CDU und CSU hingegen spielt das Thema Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch im Wahlkampf keine Rolle. Die Union will an der bestehenden Regelung festhalten.
Bei einer Bundestagsdebatte im März dieses Jahres betonte Sylvia Pantel (CDU): „Ungeborenes Leben hat wie alle Menschen einen Anspruch auf Schutz. Das Recht auf Leben steht für uns nicht zur Disposition.“
AfD
Auch die AfD betont das Recht des „ungeborenen Kindes“ im Gegensatz zum Recht der Frau: „Ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben“, erklärte Beatrix von Storch. „Die AfD spricht sich gegen alle Versuche aus, Abtreibungen staatlicherseits zu fördern oder sie gar zu einem Menschenrecht zu erklären“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende dem RND. Die AfD wende sich gegen alle Bestrebungen, „Abtreibungen zu bagatellisieren und staatlicherseits zu fördern“.
Die AfD spricht sich außerdem gegen eine ergebnisoffene Beratung aus: „Wir fordern, dass bei der Schwangerenkonfliktberatung das vorrangige Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens ist.“
Von Storch forderte außerdem mehr finanzielle Hilfen für werdende Eltern und alleinstehende Frauen vor und nach der Entbindung – „damit sie sich für ihr Kind entscheiden können“.
EU-Parlament fordert Entkriminalisierung
Dass bald Bewegung in den Streit um Paragraf 218 kommen könnte, liegt auch an der EU: In einem im Juli veröffentlichten Bericht fordert das Europaparlament die Mitgliedsstaaten dazu auf, Abtreibungen zu entkriminalisieren und Hindernisse für legale Abtreibungen zu beseitigen.
Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katharina Barley (SPD), sagte dem RND: „Schwangerschaftsabbrüche zu kriminalisieren senkt deren Zahl nicht. Wie die Geschichte zeigt, drängt es die Frauen vielmehr ins Ausland oder in die Illegalität – mit entsprechenden gesundheitlichen Gefahren.“ Das Strafrecht sei deshalb nicht der richtige Ort für Schwangerschaftsabbrüche.
Barley warnte: „Wir beobachten leider gegenwärtig einen weltweiten Rollback bei Frauenrechten, der auch vor Europa nicht haltmacht. Erst vor Kurzem trat in Polen, das von der ultrakonservativen PiS regiert wird, ein weitreichendes Abtreibungsverbot in Kraft.“
Neben einer Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen forderte Barley niedrigschwellige Information und Aufklärung für Frauen und für Männer sowie den kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln. „Auch sollten in allen öffentlich geförderten Krankenhäusern Schwangerschaftsabbrüche möglich sein.“
Eines der problematischsten Hindernisse beim Zugang zu Abtreibungen sei die Verweigerung der medizinischen Versorgung aufgrund persönlicher Überzeugung, heißt es in dem Bericht der EU. Auch wenn es legitim sei, dass ärztliches Personal sich darauf berufe, dürfe dies den Zugang zur Gesundheitsversorgung nicht gefährden.