Pistorius für schärferes Nato-Ziel für Verteidigung – Offenbar auch Scholz an Bord
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Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, r), spricht mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg während des Treffens der NATO-Verteidigungsminister im Nato-Hauptquartier in Brüssel.
© Quelle: Olivier Matthys/AP/dpa
Brüssel. Der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius unterstützt die Forderungen von Nato-Partnern nach einem deutlich schärferen Bündnisziel für Verteidigungsausgaben. Er teile die Einschätzung, dass Ausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) künftig die Untergrenze sein sollten, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch am Rande eines Nato-Verteidigungsministertreffens in Brüssel. „Sich allein dem Zwei-Prozent-Ziel annähern zu wollen, wird nicht reichen“, unterstrich er. „Das muss die Basis sein für alles Weitere.“
Pistorius spielte damit auf das aktuelle Ziel der Nato an. Dieses sieht vor, dass sich alle Bündnisstaaten bis 2024 dem Richtwert annähern, mindestens zwei Prozent ihres BIPs für Verteidigung auszugeben. In der Nato werden derzeit Gespräche über das künftige Ziel geführt. Eine Einigung soll spätestens beim nächsten regulären Gipfel erzielt werden. Er wird am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt Vilnius organisiert.
Pistorius: Scholz und Klingbeil an Bord
Bundeskanzler Olaf Scholz und SPD-Parteichef Lars Klingbeil unterstützen nach Angaben von Pistorius so wie er ein deutlich schärferes Nato-Ziel für Verteidigungsausgaben. „Das ist meine Position und die des Kanzlers und die des Parteivorsitzenden“, sagte Pistorius am Mittwochmittag. Innerhalb der Koalition solle innerhalb der nächsten Tage und Wochen darüber verhandelt werden.
Zur Frage möglicher Widerstände von Grünen und FDP sagt er: „Darüber wird man jetzt intern reden müssen. Ich werde jetzt die Widerstände anderer nicht vorwegnehmen wollen.“
Boris Pistorius sieht Zwei-Prozent-Vorgabe der Nato als untere Grenze
„Das wird nicht reichen“, sagte er vor der Sitzung der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel.
© Quelle: Reuters
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte am Mittwoch von den Nato-Staaten ein verbindliches Zwei-Prozent-Ziel als Minimum. Es sei offensichtlich, dass – wenn es 2014 richtig war, sich auf zwei Prozent festzulegen – es nun sogar noch richtiger sei, „denn wir leben in einer gefährlicheren Welt“, sagte Stoltenberg. In Europa sei ein Krieg im Gang, es gebe eine permanente Bedrohung durch Terrorismus, und China stelle ebenfalls eine Herausforderung für die Sicherheit dar. „Es ist daher offensichtlich, dass wir mehr ausgeben müssen“, sagte er.
Das Bündnis hatte sich 2014 nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim darauf verständigt, nach dem Kalten Krieg umgesetzte Ausgabenkürzungen zu stoppen und darauf hinzuarbeiten, bis 2024 zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung bereitzustellen. Die Zusage läuft im kommenden Jahr aus, und die Nato arbeitet an einem neuen Ziel.
Deutschland müsste Verteidigungsausgaben um zweistelligen Milliardenbetrag erhöhen
Eine Verschärfung des Nato-Ziels würde Stand heute eine Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben um einen zweistelligen Milliardenbetrag erfordern. Bislang gibt Deutschland deutlich weniger als zwei Prozent des BIPs für Verteidigung aus. Für 2022 wurde nach vorliegenden öffentlichen Zahlen zuletzt nur eine Quote von 1,44 Prozent erwartet – auf Grundlage von Verteidigungsausgaben nach Nato-Standard in Höhe von 55,6 Milliarden Euro.
Zur Frage, ob seine Position die deutsche Position für die Nato-Verhandlungen ist, sagte Pistorius am Mittwoch: „Wir sind innerhalb der Bundesregierung in der Abstimmung dazu und werden die sicherlich bald abschließen.“
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Sollte sich Deutschland in der Nato dem Lager derjenigen Länder anschließen, die aktiv für ein klares und ambitioniertes Ziel bei den Verteidigungsausgaben eintreten, wäre das ein klarer Kurswechsel. Nach Angaben von Diplomaten bemühte sich die Bundesregierung bislang, Vorgaben so vage wie möglich zu halten. Dabei wurde argumentiert, dass die BIP-Quote nur wenig über die militärische Leistungsfähigkeit aussage und Nato-Fähigkeitenziele und ihre Einhaltung deutlich wichtiger und aussagekräftiger seien. Als ein Beleg dafür wird genannt, dass die Quote nicht fällt, wenn ein Land bei einem Rückgang der Wirtschaftsleistung seine Verteidigungsausgaben entsprechend kürzt.
Welche Ressorts müssten für höhere Verteidigungsausgaben zurückstecken?
Ein möglicher Streitpunkt innerhalb der Bundesregierung könnte die Frage werden, was eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben in zweistelliger Höhe für andere Politikbereiche bedeuten würde. Aus dem Finanzministeriums hatte es so zuletzt geheißen, dass es bei Ausgaben in Höhe von zwei Prozent des BIPs sehr schwierig werden könnte, gleichzeitig das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel für die Unterstützung von Entwicklungsländern zu erfüllen. Diese sieht vor, jährlich mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit auszugeben.
Das schon beschlossene Sondervermögen für Verteidigung in Höhe von 100 Milliarden Euro dürfte nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) an dem Grundproblem nichts ändern. Den Berechnungen zufolge könnte die Zwei-Prozent-Quote der Nato mit dem Geld nur in den Jahren 2024 und 2025 erreicht werden. In den beiden Folgejahren könnte der Anteil am BIP nach den bisherigen Finanzplänen und Wachstumsprognosen schon wieder auf 1,8 und 1,2 Prozent zurückfallen.
Spitzenreiter im Verhältnis von Wirtschaftskraft und Verteidigungsausgaben sind innerhalb der Nato die USA. Sie lagen nach Bündniszahlen zuletzt bei einer Quote von 3,47 Prozent. Mit 822 Milliarden US-Dollar (765 Mrd. Euro) zahlte Washington zuletzt mehr als doppelt so viel Geld für Verteidigung wie alle anderen Bündnisstaaten zusammen. Zum Vergleich: Großbritannien als Nummer Eins in Europa gab 2022 umgerechnet rund 61,1 Milliarden Euro aus. Neben den USA und Großbritannien erreichten nur Griechenland, Polen, Litauen, Estland, Lettland, Kroatien und die Slowakei das Zwei-Prozent-Ziel.
Deutschland, Großbritannien und Kanada wollen Baltenstaaten schützen
Zudem verkündete Pistorius, dass Deutschland, Großbritannien und Kanada eine engere Zusammenarbeit zum Schutz der drei baltischen Nato-Partner Litauen, Lettland und Estland anstrben. Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sollen zum Beispiel Übungen besser miteinander abgestimmt werden. Eine bessere Koordinierung habe auch einen größeren Abschreckungseffekt, erklärte der SPD-Politiker am Mittwoch am Rande eines Nato-Verteidigungsministertreffens in Brüssel.
Nach Angaben von Pistorius verständigten sich alles sechs Länder am Dienstagabend auf ein Papier zu dem Thema. Es gehe darum, wie man das Baltikum als besonders exponierten Teil der Allianz besonders effektiv schützen könne, sagte er.
Deutschland ist neben Großbritannien und Kanada eine der Nato-Führungsnationen an der Ostflanke. Die Bundeswehr ist dabei vor allem in Litauen präsent, wo sie auch einen multinationalen Gefechtsverband anführt.
RND/dpa