Prozess: Syrischer Oberst soll für Folter von 4000 Menschen verantwortlich sein
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In Koblenz wird im Prozess um syrische Staatsfolter das Plädoyer der Verteidigung erwartet (Symbolbild).
© Quelle: Wolfgang Ebener
Koblenz/Frankfurt/Main. In Koblenz neigt sich ein international beachteter Prozess dem Ende zu. Es geht um Folter des syrischen Staates, das Urteil wird bald erwartet. Kurz darauf soll in Frankfurt ein neuer Prozess starten - gegen einen mutmaßlichen syrischen Folterarzt.
An diesem Donnerstag (6. Januar) wird nun in Koblenz das Plädoyer der Verteidigung des Angeklagten Anwar R. erwartet - und voraussichtlich am 108. Verhandlungstag am 13. Januar das Urteil. Der ehemalige Oberst soll 2011 und 2012 in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus als Vernehmungschef für die grausame Folter von mindestens 4000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Mindestens 30 Gefangene sind währenddessen laut Bundesanwaltschaft gestorben.
Der Prozess vor dem Staatsschutzsenat hat gut ein Jahrzehnt nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges historische Dimensionen. Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es, auch in Deutschland mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen.
Prozess gegen syrischen Folterarzt
Bereits am 19. Januar soll vor dem OLG Frankfurt ein weiterer Prozess starten - gegen einen mutmaßlichen syrischen Folterarzt. Der zuletzt in Hessen als Mediziner tätige Mann hat laut Anklage 2011 und 2012 in einem Militärkrankenhaus und einem Gefängnis des Militärischen Geheimdienstes im syrischen Homs Menschen gefoltert. Zudem soll er einen Gefangenen mit einer Injektion vorsätzlich getötet haben. Nach Angaben des OLG Frankfurt sitzen in der neuen Hauptverhandlung für den Fall des Ausfalls von Richtern auch gleich drei Ergänzungsrichter - das ist ungewöhnlich und deutet auf eine erwartete lange Dauer hin.
Der Koblenzer Prozess hat im April 2020 begonnen. Hintergrund ist das Handeln des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad: Er soll in seinem Bürgerkriegsland für eine grausame Folter-Maschinerie verantwortlich sein. Die Bundesanwaltschaft stützt sich in ihrer 104-seitigen Anklage auf Zeugenaussagen zahlreicher geflohener Folteropfer.
Im Februar 2021 hat das OLG Koblenz bereits einen ersten Angeklagten, Ex-Geheimagent Eyad A., zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Syrer hatte nach Überzeugung der Richter 2011 dazu beigetragen, 30 Demonstranten des Arabischen Frühlings in das Foltergefängnis des verbleibenden Hauptangeklagten Anwar R. zu bringen. Über die Revision des 45-jährigen Eyad A. gegen sein Urteil ist noch nicht entschieden.
Anwar R. (58) hat beim Prozessauftakt erklärt: „Ich habe die mir vorgeworfenen Taten nicht begangen.“ Er habe insgeheim mit der syrischen Opposition sympathisiert und sie nach der Flucht aus seiner Heimat unterstützt - sogar auch mit der Teilnahme an der zweiten Syrien-Friedenskonferenz 2014 in Genf. Die Flüchtlinge Anwar R. und Eyad A. sind in Deutschland von mutmaßlichen Opfern erkannt und im Februar 2019 in Berlin und Zweibrücken festgenommen worden.
Im Plädoyer der Bundesanwaltschaft gegen Ex-Oberst Anwar R. hat Oberstaatsanwalt Jasper Klinge vor einem Monat betont, gerade in Deutschland sei es aufgrund historischer Verantwortung wichtig, Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht hinzunehmen. Das „sind wir den Opfern schuldig“, sagte er. Klinge hat lebenslange Haft beantragt. Und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, was eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt. Vor dem Schlussvortrag der Verteidigung wohl am 6. Januar hat der Anwalt von Anwar R., Michael Böcker, auf Anfrage keine Stellungnahme abgegeben.
„Diese Bilder werde ich nie vergessen“
In dem Prozess um Schläge und Tritte, an Handgelenken aufgehängte Gefangene, Stromschläge, zu wenig Essen, fehlende Schlafplätze und ständige Schreie von Folteropfern spielen sogenannte Caesar-Fotos syrischer Todesopfer eine wichtige Rolle. Die Vorsitzende Richterin Anne Kerber hat gesagt: „Diese Bilder werde ich nie vergessen.“ Ein geflohener einstiger syrischer Militärfotograf mit Decknamen Caesar soll die Tausenden Fotos gemacht haben. Im Koblenzer Prozess hat ein Sachverständiger eine Auswahl davon gezeigt und erläutert.
Der Anwalt Patrick Kroker von der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), der neun geflohene Folteropfer als Nebenkläger vertritt, sagt: „Das ist weltweit das erste Mal, dass Caesar-Bilder als Beweismittel in einen Prozess eingeführt werden.“ Sie belegten unwiderlegbar die staatliche Systematik, die in Syrien „nicht nur hinter der Folter, sondern auch der Vernichtung von Menschenleben steht“.
Der Jurist sagt, das erste Urteil in dem Koblenzer Prozess gegen Eyad A. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei weltweit beachtet worden. Solche Entscheidungen seien wichtig für weitere Verfahren - darauf könnten sich auch andere Gerichte im In- und Ausland berufen.
Den künftigen Prozess in Frankfurt gegen einen mutmaßlichen syrischen Folterarzt bewertet Kroker als „eine Fortsetzung der Aufarbeitung dieser Verbrechen“. Das neue Verfahren nehme syrische Militärkrankenhäuser und auch sexualisierte Gewalt in den Blick.
RND/dpa