Droht die Stimmung zu kippen?

Putin am Pranger: Russische Soldaten fordern Kremlchef an die Front

Der russische Präsident Wladimir Putin.

Der russische Präsident Wladimir Putin.

Moskau. Russlands Krieg gegen die Ukraine entwickelt sich mehr und mehr zu einem blutigen Zermürbungskrieg – vor allem für die russischen Streitkräfte. Täglich sterben Hunderte Soldaten, zahlreiche weitere werden verletzt. Nach ukrainischen Angaben mussten die russischen Truppen allein am Samstag im schwer umkämpften Bachmut über 500 Tote und Verletzte verkraften.

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Nennenswerte Erfolge oder größere Raumgewinne sind dennoch Mangelware, genauso wie der dringend benötigte Munitionsnachschub. Bei den russischen Streitkräften wächst der Frust, die Stimmung droht mehr denn je zu kippen. Einige haben den Schuldigen bereits ausgemacht: Wladimir Putin.

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Neue Videoaufnahmen vom Wochenende demonstrieren eindrücklich, wie stark der Gegenwind für Russlands Präsidenten geworden ist. So beklagten in einer auf Telegram veröffentlichten Aufnahme etwa ein Dutzend uniformierter Männer eklatante Missstände in der Truppe und adressierten ihre Unzufriedenheit direkt an Putin. Als Oberkommandierender der Streitkräfte solle er sich darum kümmern, dass die Kommandeure ihre Arbeit machten, sagte ein vermummter Sprecher. Er beklagte vor allem fehlende Ausrüstung und mangelnde Führung durch die Befehlshaber. Wohlwissend um die Gefahr von harten Strafen ist in dem Video niemand mit Gesicht zu erkennen.

Soldaten fordern Putin-Besuch im Kriegsgebiet

„Wir wissen, dass wir nicht die einzigen sind, die mit einer solchen Bitte auftreten“, sagte der Mann „im Gebiet Donezk“. Auch andere Kämpfer sowie Ehefrauen, Mütter und Schwestern von Soldaten hatten bereits in öffentlichen Botschaften Missstände beklagt. Putins solle sich nicht auf dem Papier, sondern vor Ort um die Lage kümmern, verlangte der Sprecher im Video. Putin hat bisher die Truppen im Kampfgebiet nicht besucht – anders als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der vereinzelte Frontbesuche absolvierte.

Der vermummte Sprecher legte nach: Die Kommandeure würden einfach das Dekret des Präsidenten ignorieren und unvorbereitete Einheiten in den Sturmtrupps einsetzen. Sie selbst würde man vorschicken, während die Kommandeure hinten in Sicherheit blieben. „Die Führung unseres Regiments führt keinen Dialog mit uns, schüchtert uns ein und droht uns mit Inhaftierung, wenn wir uns den Kampfhandlungen verweigern und nicht an die erste Frontlinie vorrücken.“ Wegen fehlender Unterstützung durch eine Aufklärung und mangelnde Kommunikation mit anderen Einheiten würden sinnlos Reservisten sterben und verletzt.

Wolodymyr Selenskyj: Bachmut hat entscheidende strategische Bedeutung
08.03.2023, Ukraine, Bachmut: Freiwillige Soldaten bereiten sich auf das Feuer auf russische Stellungen vor. Foto: -/Libkos/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Um Bachmut wird seit Monaten gekämpft. Die auf russischer Seite dort agierende Söldnertruppe Wagner hat die Stadt von Osten, Norden und Süden eingekreist.

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Der Mann wies darauf hin, dass das Durchschnittsalter der Einheit bei 40 Jahren liege, viele seien gesundheitlich eingeschränkt. Es habe schon zu Beginn keine medizinische Tauglichkeitsuntersuchung gegeben. „Wir weigern uns nicht, die Aufgaben der Gebietsverteidigung zu erfüllen. Wir lehnen es ab, ein ungerechtfertigtes Risiko einzugehen – mit Maschinengewehren gegen Panzer, gegen Mörser und Scharfschützen“, sagte er. Seinen Angaben nach waren die Männer in den Gebieten Swerdlowsk und Perm eingezogen worden.

„Das ist uns scheißegal“

Auch andere Aufnahmen zeigen, dass Putin mehr und mehr den Rückhalt seiner Soldaten verliert. So richtete sich eine Gruppe bereits vor wenigen Tagen mit einem Video an den russischen Präsidenten, in dem sie sich über uralte Waffen, mangelnde Ausbildung, eine fehlende Strategie und unnötig sterbende Kameraden beschweren. „So kann man keinen Krieg führen“, sagte einer der Soldaten.

Nun ist ein neues Video der Streitkräfte aufgetaucht, in dem die Stimmung der Männer deutlich aggressiver ist. In dem gut fünfminütigen Clip, den die unabhängige russische Nachrichtenagentur Ostorozhno Novosti auf Telegram veröffentlicht hat, umzingelten die Soldaten ihren Kommandeur – und warnten vor einer Revolte. „Sie können uns alle einsperren! Wie viele Jahre sind es, fünf, sieben, zehn? Das ist uns scheißegal“, rief einer.

Der Yachthafen und die Yachthafen-Residenz in Hohe Düne: Von hier aus sollen die Saboteure der Nord-Stream-Pipeline in See gestochen sein.

Wie die Jacht „Andromeda“ den Sprengstoff zur Pipeline bringen konnte

Die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines – sie sollen von Mecklenburg-Vorpommern aus gestartet worden sein. Unfreiwillig und unwissentlich wurden offenbar Menschen in Rostock und auf Rügen zu Komplizen der Saboteure. Zwei Tage nach den Enthüllungen kommen immer neue Details ans Licht. Eine Spurensuche.

Der Befehlshaber hatte zuvor erfolglos versucht, die Soldaten zu überzeugen, den Anweisungen zu folgen und ukrainische Stellungen zu stürmen. Als er den Männern „schwache Argumente“ attestierte, drohte einer mit Gewalt: „Das werden wir nicht verzeihen, wir werden einfach Kopf an Kopf gegen Sie vorgehen.“ Man sei bereits darauf vorbereitet, warnte er und unterstrich das mit der Frage in die Runde: „Sind alle bereit dazu?“ Die Männer antworteten unisono: „Ja, alle!“

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Die Unzufriedenheit über die Frontsituation ist nicht neu. Vor allem der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, beklagte sich zuletzt wiederholt öffentlich über fehlende Munition. Er forderte die russische Führung mit Nachdruck zur Lieferung auf. „Ich mache mir nicht nur Sorgen um die Munition und den Hunger nach Patronen für die private Militärfirma Wagner, sondern für alle Abteilungen der russischen Armee“, sagte Prigoschin erst am Freitag in einer Text- und Audiobotschaft. „Meine Jungs fordern Munition.“

Der Wagner-Chef wird nicht nur deshalb zum Problem für Putin. Immer wieder ätzt er gegen die militärische Führung im Kreml. Zuletzt tönte er etwa, dass die russische Front ohne das Zutun der Wagner-Gruppe zusammenbrechen würde. Zudem zeigt sich Prigoschin immer wieder im direkten Kampfgebiet. Vor wenigen Tagen kursierte etwa ein Video, dass ihn in unmittelbarer Nähe der Frontlinie in Bachmut zeigen soll.

Mit diesen Aktionen demonstriert der Wagner-Chef nicht nur in Moskau Stärke. Auch in den Reihen der Streitkräfte dürfte dies für Eindruck sorgen – und damit wichtigen Rückhalt für seine politischen Ambitionen in Moskau geben. Immer gab es Gerüchte, er wolle sich mit seinen Aktionen als potenzieller Anwärter auf hohe Ämter im Kreml positionieren, etwa auf das des Verteidigungsministers. Seine Antipathie gegenüber Amtsträger Sergej Schoigu ist ein offenes Geheimnis.

ISW: Putin hat Kontrolle über Informationsraum verloren

Doch auch innerhalb des Kremls scheint die Stimmung weniger rosig, als Putin sie nach außen hin zeichnet. Das bestätigte nun ausgerechnet die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Auf einer Podiumsdiskussion mit Kremljournalisten, Akademikern und Kriegsunterstützern in Moskau sprach sie von internen Kämpfen im innersten Kremlkreis, durch die die Kontrolle des russischen Informationsraums verhindert würden.

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Moskau nennt massive Raketenangriffe auf die Ukraine „Rache für Terrorakte“

In der Nacht hatte Russland die Ukraine landesweit mit Raketen- und Drohnenangriffen überzogen. Angaben aus Kiew zufolge wurden insgesamt 81 Raketen abgefeuert.

Nach Einschätzung der US-Denkfabrik ISW stützten diese Aussagen die Theorien, dass Putin den russischen Informationsraum im Laufe der Zeit weitgehend an eine Vielzahl von quasi unabhängigen Akteuren abgetreten hat – etwa Prigoschin. Mehr noch zeige es, dass der Kremlchef nicht in der Lage sei, entscheidende Maßnahmen zu ergreifen, um die Kontrolle über den russischen Informationsraum zurückzugewinnen.

Diese Entwicklungen zeigen zunehmend, dass die Kremlpropaganda eines geeinten Russlands immer mehr Risse bekommt. Nicht mehr nur im Westen, sondern auch im eigenen Land.

mit dpa

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