Angriff auf die Ukraine

Putins Krieg ist eine Zeitenwende für Europa

Ukrainische Soldaten verladen nach einem Angriff verbliebene Ausrüstung aus einer zerstörten ukrainischen Militäreinrichtung außerhalb der Stadt Mariupol. Russische Truppen haben ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet.

Ukrainische Soldaten verladen nach einem Angriff verbliebene Ausrüstung aus einer zerstörten ukrainischen Militäreinrichtung außerhalb der Stadt Mariupol. Russische Truppen haben ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet.

Berlin. Europa ist am Donnerstag in einer neuen Ära seiner Geschichte aufgewacht. Es ist das Ende einer mehr als 30-jährigen Phase, in der die Feindschaft zwischen Ost und West als überwunden galt. Der russische Machthaber Wladimir Putin bombt den ganzen Kontinent gerade zurück ins 20. Jahrhundert, in dem sich Nato und Warschauer Pakt im Kalten Krieg gegenüberstanden. Dramatischer noch: Damals führten die sogenannten Supermächte nur Stellvertreterkriege. Das Risiko war geringer, gleich die ganze Welt anzuzünden. Nun will Putin sein Nachbarland unterwerfen.

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Der Westen steht voller Ohnmacht vor dem Aggressor Putin. Am Ende gab es nichts mehr, womit die EU, geschweige denn die Nato ihn hätte aufhalten können. Weder Diplomatie noch Abschreckung zeigten Wirkung. Putin hat sich abgekapselt vom Rest der Welt, verstrickt in Kränkung und Großmachtstreben, durchdrungen von einer völkischen Ideologie über ein Russland, das mindestens so mächtig sein soll wie die alte Sowjetrepublik.

Mit dem Krieg in der Ukraine wird er das noch nicht erreichen. Seine Volkswirtschaft bleibt unbedeutend, und die ehemaligen Satellitenstaaten des Sowjetreichs rücken unter dem Dach der Nato noch näher zusammen.

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Ein Ziel allerdings hat der ehemalige KGB-Agent erreicht: Als Feind steht er nun wieder auf Augenhöhe den Westmächten gegenüber, nicht weil er stärker ist. Aber anders als der Westen ist er bereit, einen verlustreichen Krieg zu führen – um was eigentlich zu erreichen?

Putin fürchtet die Demokratie wie der Teufel das Weihwasser. Er sagt, dass die Nato ihn bedrohe. In Wahrheit sind es die Demokratien, die ihm im Zuge der Nato-Osterweiterung zu nahe gekommen sind. Nach der friedlichen Revolution in Deutschland war der Funke der Freiheit von einem Staat in Osteuropa auf den nächsten gesprungen. Seit 2008 versucht Putin, sich Staaten wie Georgien, Moldawien und die Ukraine gefügig zu machen, die noch nicht einen Anker in ein westliches Bündnis werfen konnten.

Nur eine Selbstaufgabe des Westens mit seinen Grundwerten von Demokratie, Freiheit, Menschenrechten und der Souveränität von Nationen hätte den Autokraten im Kreml milde stimmen können. Diese Werte aber sind unverbrüchlich. Auch wenn ihre Verteidigung in den kommenden Monaten und Jahren einen hohen Preis haben wird.

Putin kennt die Schwachstellen der Demokratie, und er wird sie gnadenlos für sich nutzen. Steigende Energiepreise, ein Einbruch der Wirtschaftsleistung, eine hohe Zahl an neu ankommenden Flüchtlingen, Angst vor einer Ausweitung des Kriegs, die Debatte um Waffenlieferungen – das alles sind Einfallstore für eine offene Gesellschaft, in der Rechtspopulisten nur darauf warten, dass die Bevölkerung unzufrieden wird. Hinzu kommen Putins Möglichkeiten einer hybriden Kriegsführung mit Cyberattacken.

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Dieser Krieg wird die freiheitliche Gesellschaft in Europa auf eine harte Probe stellen. Und selbst Deutschland, das daran gewöhnt ist, jedes beliebige Problem mit Geld zu lösen, wird an Grenzen kommen. Nach zwei Jahren Pandemie treffen Kriegsangst, galoppierende Inflation und eine ausgebremste Wirtschaft auf eine ohnehin dünnhäutig gewordene Gesellschaft.

Der Westen ist schlecht gerüstet

Auf die Gefahren, die Putins Krieg in der Ukraine für Europa bedeuten, ist der Westen nicht gut vorbereitet. Die Cyberabwehr funktioniert nur mäßig. Und die Nato hat nicht wirklich eine Strategie außer ihren einen Grundsatz, dass ein Angriff auf einen Nato-Staat als Angriff auf alle Nato-Staaten verstanden wird. Die Gefahr, dass russische Soldatenstiefel den Boden eines Nato-Mitgliedslandes betreten, ist also nicht unmittelbar.

Das heißt aber im Umkehrschluss: Bis zur Ostgrenze der EU kann Putin weitgehend unbehelligt vorrücken. Nato und EU steht der Drahtseilakt bevor, der Ukraine – auch mit Waffenlieferungen – zu helfen, ohne eine Eskalation auf Nato-Gebiet mitzubefördern.

Das ist umso schwieriger, als die Diplomatie zwischen Russland und dem Westen versagt hat. Der Rest von Vertrauen ist zerstört, nachdem Putin den französischen Staatschef Emmanuel Macron und den deutschen Kanzler Olaf Scholz in Moskau empfangen hat und wenige Tage später in einer Rede voller Wut und Unerbittlichkeit die Erklärung für den Krieg abgab, den er nun in der Ukraine führt.

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Der Westen ist spätestens seit dieser Woche der Illusion beraubt, dass Putin sich rational verhält. Die Nato sollte sich darauf vorbereiten, dass Russlands Autokrat längst nicht zufrieden sein wird, wenn er sich die Ukraine einverleibt hat. Vielmehr sollte man noch einmal seine Rede von Montag hören, in der er den Schutz russischer Bevölkerung ankündigte.

Einen hohen Anteil an russischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern haben auch Estland und Lettland. Die nächste Zwickmühle, in die Putin den Westen treibt: Die Nato wird ihre Truppen im Baltikum verstärken und damit Putin ein neues Argument für Krieg liefern.

Die Ära der Ost-West-Frontstellung des 21. Jahrhunderts wird mindestens so lange dauern, wie Putin in Russland herrscht. Nach einer von ihm betriebenen Verfassungsänderung kann das offiziell bis 2036 dauern. Der Westen wird einen langen Atem brauchen.

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