Joschka Fischer: Regime im Iran schlachtet eigene Jugend ab
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ASQ7TO232HV4AM7BU4W453VVTI.jpg)
Joschka Fischer (Grüne), ehemaliger Außenminister der Bundesrepublik, rechnet mit einer „dauerhaften Bedrohung im Osten“ (Archivbild).
© Quelle: Rainer Dröse
Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer sieht dem „großen Krieg“ in Europa mit Sorge entgegen. Vor allem die Möglichkeit eines Atomschlags durch Russland sei nun eine Aufgabe, die Europa bewältigen müsse: „Ich habe wie alle Deutschen meines Alters viele Jahre meines Lebens im Kalten Krieg unter der Drohung mit Nuklearwaffen verbracht. Es ist banal: Solange es sie gibt, kann es immer zu ihrem Einsatz kommen“, sagte Fischer in einem Interview mit dem „Stern“. Seiner Ansicht nach habe sich wieder eine neue Rivalität globaler Großmächte in Europa etabliert. „Ich sage aber bewusst: Deutschland ist keine Nuklearmacht und will keine werden. Europa muss die Antwort geben. Europa muss sich fundamental verändern.“
+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++
Mit Putins Angriff auf die Ukraine sei auch in Deutschland eine Zeitenwende angebrochen. „Insofern ist das für mich ein historisches Datum“, so Fischer. „Für uns ist das vor dem Hintergrund unserer Geschichte ein echter Bruch, mehr als für andere Nachbarstaaten. Es gibt kein Zurück in die alte Zeit. Europa wird zum geopolitischen Akteur werden müssen, wenn wir es mit unserer Sicherheit ernst meinen.“ Der Grünen-Politiker rechne mit einer „dauerhaften Bedrohung im Osten“: „Uns erwartet bestenfalls ein neuer Kalter Krieg, und er wird vor allem Europa betreffen.“
Bundeskanzler Scholz: Russland soll Einsatz von Atomwaffen ausschließen
Bundeskanzler Olaf Scholz hat Russland aufgefordert, den Einsatz von Atomwaffen im Angriffskrieg gegen die Ukraine eindeutig auszuschließen.
© Quelle: pda
Joschka Fischer kritisiert fehlende Kommunikation des Kanzleramtes
Der ehemalige Vizekanzler blickt im „Stern“-Interview kritisch auf die Entscheidungen von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Ich verstehe nicht, warum Scholz in seiner europapolitischen Rede in Prag nicht einmal das deutsch-französische Verhältnis positiv in seiner überragenden Bedeutung erwähnt hat. Warum?“, fragt Fischer. „Das ganze Europa ist um diese Achse herumgebaut, auf der Grundlage der Aussöhnung zwischen diesen beiden früheren ‚Erbfeinden‘.“
Außerdem sorge die fehlende Kommunikation des Kanzleramtes bei den Militär- und Wirtschaftshilfen für Misstrauen bei anderen Staaten, behauptet der 74-Jährige: „Wir kommen von einer pazifistischen Grundhaltung, und plötzlich legen wir so viel Geld auf den Tisch. Das zeigt den Nachbarn, welches Potenzial unser Land hat, aber genau das ruft angesichts unserer Geschichte natürlich auch immer Skepsis und Sorge hervor.“ Fischer appelliert: „Deshalb ist das Einbinden so wichtig, muss quasi die zweite Natur unserer Europapolitik sein.“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Berliner Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Mit Blick auf Scholz‘ China-Politik warnt Fischer vor einem Super-GAU, bei dem Deutschland zwischen die Fronten zweier Großmächte gerät: „Da bahnt sich bei uns ein Konflikt an: Große Teile der Wirtschaft wollen weitermachen wie bisher. Man hat für den enormen Profit chinesische Technologiepiraterie und andere Ärgernisse als Kollateralkosten hingenommen. Man hat beim Verkauf von Kuka, dem Hersteller von Industrierobotern, sogar den Verlust kritischer Technologie hingenommen.“ Das müsse von der Politik unterbunden werden, so Fischer. Auch die Investitionen des Chemiekonzerns BASF in China sehe der 74-Jährige kritisch: „Das ist sehr riskant. Und wenn der Bundeskanzler meint, er könne da anknüpfen, wo Angela Merkel aufgehört hat, dann unterliegt er einem gefährlichen Irrtum.“
Fischer: Durchsetzung der Menschenrechte in Katar erfordert Ausdauer
Zu der hitzigen Debatte um die umstrittene Fußball-WM in Katar bezieht Joschka Fischer im „Stern“-Interview ebenfalls klare Position. Seiner Ansicht nach sei SPD-Politiker Sigmar Gabriel zuzustimmen, der bei Twitter die deutsche Arroganz im Umgang mit dem WM-Gastgeberland Katar angeprangert hatte. „Ich hätte mir gewünscht, dass Sigmar Gabriel eine weniger provokante Sprache benutzt hätte. Aber ich finde, so unrecht hat er in der Sache nicht, wenn er da eine gewisse Von-oben-herab-Kritik kritisiert“, betont Fischer. „So wichtig die Menschenrechte sind, ihre Durchsetzung erfordert Ausdauer. Es ist jede Mühe wert, dafür zu sorgen, dass Katar auf dem Weg, den es geht, vorankommt.“
Gabriel hatte bei Twitter Ende Oktober unter anderem geschrieben: „Die deutsche Arroganz gegenüber Katar ist zum Ko...! Wie vergesslich sind wir eigentlich?“
Fischer: Proteste im Iran sind „mutig, wichtig und richtig“
Im „Stern“-Interview macht Fischer jedoch auch deutlich, dass er die Proteste im Iran als wichtiger erachte: „Ich sage Ihnen ganz offen: Was mich viel mehr bedrückt als die Lage in Katar, ist, wie das Regime in einem Nachbarland, im Iran, die eigene Jugend abschlachtet“, betont der Grünen-Politiker. „Wie die Menschen da auf die Straße gehen, das ist unglaublich mutig, wichtig und richtig.“ Er hoffe auch, dass die Menschen mit den Demonstrationen einen Umschwung im Land erreichen können: „Gerade die Jugend und die Frauen und Mädchen führen dort einen täglichen Kampf auf der Straße und riskieren Leben und Gesundheit, Gefängnis und Folter.“
Grünen-Politiker Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Ein knappes Jahr nach der Bundestagswahl 2005 zog sich Fischer aus der aktiven Politik zurück.
RND/al