Die kritische Infrastruktur und der Krieg: Wir sind längst in Gefahr
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Die Gefahr eines Blackouts durch russische Angriffe auf die Stromversorgung ist real (Symbolbild).
© Quelle: Jörg Carstensen/dpa
Groß war die Aufregung, als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gerade einen Satz formulierte, den noch kein deutsches Regierungsmitglied vor ihm gebraucht hatte: „Wir sind im Krieg mit Putin.“
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Der Sozialdemokrat wurde daraufhin von der einen Seite für sein klares Bekenntnis gelobt, unerschütterlich auf der Seite der angegriffenen Ukraine zu stehen; andere warfen Lauterbach vor, die Bundesrepublik fahrlässig in eine Rolle hineinzumanövrieren, die sowohl der Bundeskanzler, als auch die gesamte Nato bislang tunlichst vermeiden wollen. Denn wer im Krieg mit Putin ist, ist in Gefahr.
Wer allerdings die Weltlage in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, muss zugeben: Sich auf diese Debatte einzulassen, führt zu nichts als einer Einschüchterung der westlichen Gesellschaften. Denn um sie anzugreifen, ist heutzutage keine Kriegserklärung mehr nötig.
Sicher, das Wort „Krieg“ wird in Deutschland aus sehr guten Gründen ungern gebraucht, wenn man die eigene Rolle beschreibt. Die Bundeswehr wurde zum Beispiel 2001 nach Afghanistan offiziell in einen „bewaffneten Konflikt“ geschickt, um unsere Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen. Als gut acht Jahre später der damalige Kriegs-, nein: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach dem Tod dreier Soldaten bei Gefechten mit den Taliban erstmals sagte, bei der Realität in der Region „kann man umgangssprachlich von Krieg reden“, galt das seinerzeit als Tabubruch – der ebenfalls hier bejubelt und dort verurteilt wurde.
Debatte für Menschen, die vom Völkerrecht her kommen
Allerdings fiel schon damals auf, dass diese Debatte eine sehr akademische ist, die vor allem für Menschen von Belang ist, die eher vom Völkerrecht her kommen. Wladimir Putin hat jedenfalls für seinen Angriff auf die Ukraine nicht gewartet, bis deren Regierung davon gesprochen hat, sich in einem Krieg mit ihm zu befinden. Und ganz sicher ist es den bombardierten und gefolterten Ukrainern egal, dass Putin im Gegenzug auch gar nicht von Krieg, sondern von einer militärischen Spezialoperation spricht.
Entscheidend dafür, wen Putin angreift, ist ganz allein Putin. Das hätte Deutschland eigentlich längst gelernt haben müssen, denn auch die Bundesrepublik selbst ist ja seit Jahren ein Ziel der berüchtigten „hybriden Kriegsführung“ Russlands. Die beginnt nicht erst mit Sabotage oder Raketenbeschuss, sondern mit Desinformationskampagnen, Hackerattacken und der Einmischung in Konflikte, die Deutschland jahrelang halb naiv, halb großzügig als lokale Brandherde abgetan hat.
Viertes Leck an Nord-Stream-Pipelines entdeckt
Noch ein Leck: Das Loch in der Pipeline sei ebenfalls diese Woche entdeckt worden, teilte die Küstenwache mit.
© Quelle: Reuters
Weder dass die Spuren eines groß angelegten Hackerangriffs auf den Bundestag im Jahr 2015 eindeutig nach Russland führten, ließ die damalige Bundesregierung aufwachen – noch, dass der Kreml wenig später in aller Öffentlichkeit eine hanebüchene Desinformationskampagne um eine vermisste minderjährige Russlanddeutsche ausrollte, um die angespannte Stimmung in der deutschen Flüchtlingsdebatte zusätzlich aufzuheizen. Auch dass in der Ukraine seit 2015 mehrfach das Stromnetz durch Cyberangriffe russischer Hacker beschädigt wurde, hat hierzulande keine Sicherheitsdebatte ausgelöst.
Selbst als klar wurde, dass Russland in Europa rechtspopulistische Parteien finanziert und in den USA mit Desinformation und anderen Tricks dem Populisten Donald Trump zum Wahlsieg verholfen hatte, dachte man hierzulande: Eine kritische Partnerschaft mit viel Handel für den Wandel ist immer noch besser als ein Krieg.
Spät, aber hoffentlich nicht zu spät, überwindet Deutschland diese naive Sicht, wonach ein russischer Angriff erst mit dem Einsatz von Waffengewalt beginnt. Seit die beiden Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee offenkundig sabotiert wurden, wird offen über die Anfälligkeit der unter Wasser liegenden Leitungen gesprochen – neben Gas- geht es dabei auch um Kommunikationsverbindungen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte nach der Sabotage, man müsse sich auf Szenarien einstellen, die bis vor Kurzem kaum denkbar gewesen seien. Auch die EU‑Kommission ist dabei, ihre strategische Reserve an Gerät, Material und auch Medizin für den Fall von Katastrophen, Havarien und Blackouts auszubauen.
Man darf also hoffen, dass auch die deutschen Sicherheitsbehörden ihren Blick schärfen und ihre Schutzmaßnahmen ausbauen. Denn klar ist: Je digitalisierter Krankenhäuser, Telekommunikation, Energielieferungen und Wasserversorgung sind, desto verletzlicher ist ein Land. Und klar ist auch: Putin hat sich in diesen hybriden Kampf mit Europa längst hineinbegeben.
Für Deutschland heißt das, dass es wohl oder übel und trotz einiger Schmerzen die Energieproduktion sichern muss, wie es die Bundesregierung gerade mit einigen Schmerzen und dem Rückgriff auf Gas aus Schurkenstaaten, überkommene Atomkraftwerke und klimaschädliche Kohlekraft tut. Es heißt aber ebenso, dass die Netzwerke gesichert werden müssen, deren Ausfall viel wahrscheinlicher ist – und für Saboteure auch einfacher herbeizuführen.