Kommt in den 2030er-Jahren das dicke Ende, Rentenpräsidentin Roßbach?
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Müssen wir bald länger arbeiten? Gundula Roßbach von der Rentenversicherung sieht aktuell keinen Handlungsbedarf beim Renteneintrittsalter.
© Quelle: picture alliance / photothek
Frau Roßbach, die Finanzlage der Rentenversicherung ist stabiler als erwartet. Woran liegt das?
Die Rentenkasse hat Ende 2022 ein Plus von 3,4 Milliarden Euro verzeichnet. Das erklärt sich vor allem durch den robusten Arbeitsmarkt: Eine hohe sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringt für die sozialen Sicherungssysteme hohe Beitragseinnahmen. Zudem haben wir weniger Ausgaben als zunächst prognostiziert, und viele Menschen haben die Möglichkeit in Anspruch genommen, freiwillige Beiträge zu zahlen.
Diese Personen zahlen jetzt höhere Beiträge, um später womöglich früher in Rente zu gehen. Wie viele haben sich dazu entschieden?
Im vergangenen Jahr sind die Einnahmen aus freiwilligen Beiträgen insgesamt um rund 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen – auf 1,9 Milliarden Euro. Der größte Treiber waren hier die Einnahmen aus Beiträgen, die zum Abkauf von Abschlägen bei einem vorzeitigen Rentenbeginn gezahlt wurden. Hier haben wir im vergangenen Jahr ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zu 2021 verzeichnet.
Wie sieht Ihre Prognose für die Finanzlage in diesem Jahr aus?
Unsere Reserve wird bis zum Ende des Jahres nach den Vorausberechnungen im Wesentlichen stabil bleiben.
Inwiefern tragen Geflüchtete zur Finanzstabilisierung der Rentenkasse bei?
Die Flüchtlinge, die sozialversicherungspflichtig in Deutschland arbeiten, tragen natürlich mit ihren Beiträgen zu Mehreinnahmen der Rentenversicherung bei. Das beobachten wir insbesondere bei Menschen aus der Ukraine, weil sie aufgrund von Sonderregelungen früher in den Arbeitsmarkt gehen dürfen. Deswegen sind die Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktintegration in Deutschland so wichtig: An einem Abbau der Hürden arbeitet die Bundesregierung ja gerade, um den Menschen eine schnelle Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
In den kommenden Jahren wird die Babyboomer-Generation in Rente gehen. Doch laut Arbeitsminister Hubertus Heil werden die Rentenbeiträge ab 2025 nur moderat steigen. Kommt in den 2030er-Jahren das dicke Ende?
Davon gehe ich nicht aus. Dem Statistischen Bundesamt zufolge steigt die Lebenserwartung nicht so stark wie ursprünglich angenommen. Die Rentenversicherung wird also einen moderateren Anstieg der Ausgaben erleben als bisher erwartet. Hinzu kommt, dass durch Zuwanderung die Erwerbsbeteiligung ansteigen wird. Insgesamt wird der erwartete Anstieg bei den zusätzlichen finanziellen Belastungen bis 2040 vergleichbar sein mit den Herausforderungen, die schon zwischen 1990 und 2010 bewältigt wurden. In den kommenden Jahren profitieren wir von einem Arbeitsmarkt, der wegen des Fachkräftemangels viele Beschäftigte aufnehmen kann und muss.
Kann der Rentenbeitrag in den nächsten zehn Jahren unter 20 Prozent bleiben?
Ich rechne damit, dass die Rentenbeiträge in der mittelfristigen Perspektive bei unter 20 Prozent liegen werden. Die weitere Entwicklung des Beitragssatzes wird aber vor allem auch davon abhängen, ob und in welcher Höhe die Bundesregierung das Rentenniveau für die Zeit nach 2025 festlegt – also, wie das Verhältnis zwischen der Standardrente und dem Durchschnittseinkommen sein wird.
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Die Bundesregierung plant zudem den Aufbau eines Generationenkapitals in Höhe von 10 Milliarden Euro, das später Entlastung bei den Rentenausgaben bringen soll. Ökonomen halten das für unsinnig. Wie sehen Sie das?
Die 10 Milliarden Euro sind eine Summe, die die Rentenversicherung nur geringfügig entlasten würde. Im Vergleich dazu erwarten wir in diesem Jahr Ausgaben in Höhe von über 370 Milliarden Euro.
Das sind also Peanuts?
Das haben Sie jetzt gesagt. Ich finde, dass das unglaublich viel Geld ist. Wenn das Ziel des Generationenkapitals ist, ab Mitte der 2030er-Jahre die Rentenversicherung und die Beitragszahler signifikant zu entlasten, dann bräuchte es allerdings ein deutlich höheres Kapital als 10 Milliarden Euro.
Die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige soll im kommenden Rentengesetz noch nicht beschlossen werden. Muss die Ampel jetzt Tempo machen?
Wir haben in Deutschland die fast einmalige Situation, dass wir eine so große Personengruppe wie die Selbstständigen nicht obligatorisch versichern. Wir sollten für diese Gruppe eine verpflichtende Alterssicherung vorsehen. Das Risiko von Selbstständigen, im Alter in der Grundsicherung zu landen, ist deutlich größer als bei abhängig Beschäftigten. Wir bauen darauf, dass die Bundesregierung die Altersvorsorgepflicht in dieser Legislaturperiode einführt. Wichtig wird dabei aber auch sein, dass die Regelungen für alle Beteiligten möglichst einfach und digital umsetzbar sind.
Die Rentenversicherung hat nur wenige Schrauben, an denen sie drehen kann, um das System stabil zu halten. Eine ist das Renteneintrittsalter. Können wir uns die Rente mit 63 beziehungsweise mit 65 dauerhaft erlauben?
Beim Renteneintrittsalter sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf. Das durchschnittliche Alter, zu dem die Menschen tatsächlich in Altersrente gehen, liegt momentan bei 64,1 Jahren. Bis 2031 soll die Altersgrenze auf 67 steigen. Was als abschlagsfreie Rente ab 63 eingeführt wurde, wächst im gleichen Zeitraum zur Rente ab 65 Jahren auf. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie die Menschen auf all das reagieren werden: ob sie später in Rente gehen oder Abschläge hinnehmen. Das müssen wir weiter beobachten. Je nach Entwicklung sollten die politischen Entscheidungen getroffen werden.
Seit vielen Jahren möchte Deutschland Vorreiter in Sachen Digitalisierung sein. Die Realität sieht anders aus. Erst ab Sommer ist eine digitale Renteninfo möglich. Warum hat das so lange gedauert?
Ein wichtiger Faktor ist, dass wir Daten aus unterschiedlichen Bereichen der Alterssicherung zusammenführen und gleichzeitig den Datenschutz gewährleisten müssen. Ich bin froh, dass das gelungen ist, damit alle Menschen ab Sommer nun digital eine Übersicht über ihre Ansprüche aus der gesetzlichen, der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge einsehen können.
Zu den Sozialwahlen, die vielen Menschen in Deutschland nicht wirklich bekannt sind. Welchen realen Einfluss haben die Gremien, die gewählt werden?
Die Sozialwahlen finden alle sechs Jahre statt und entscheiden über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Sie gibt den Beitragszahlern und Rentnern eine Stimme, die sich für ihre Interessen einsetzt. In der Rentenversicherung hat sie beispielsweise wichtige Reha-Projekte angestoßen wie die Post-Covid-Reha. Zudem sorgt die Selbstverwaltung für einen guten Kundenservice, für die Unterstützung bei den Rentenanträgen durch die Versichertenberater und sie entscheidet über Widersprüche, die die Menschen bei uns gegen Entscheidungen einlegen. Die Selbstverwaltung ist also ein wesentliches Kernstück unseres Sozialstaates.