Rufe nach Diplomatie: ehrenwert – aber unehrlich
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
© Quelle: Jan Woitas/dpa
Die Waffen müssen schweigen. Der Krieg wird nicht mit Panzern, sondern nur am Verhandlungstisch beendet. Ohne westliche Waffen wären die Kämpfe in der Ukraine längst zu Ende. Wir brauchen einen schnellstmöglichen Waffenstillstand als Ausgangspunkt für umfassende Friedensverhandlungen. Man muss einen Umgang mit Moskau finden, der eine weitere Eskalation ausschließt. Der den Krieg vielleicht beendet, aber zumindest einfriert.
All diese Sätze sind richtig, mehr oder weniger. Sie sind nicht einmal wirklich umstritten. Und doch fühlen jene, die sie gerade äußern – von normalen Bürgern über die Autoren diverser offener Briefe, zuletzt aus der SPD, bis hin zu Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer – sich abgekanzelt oder als Putin-Freunde diffamiert.
Das hat zwei Ursachen in der hiesigen Kriegsdebatte: zu wenig Diskussionsbereitschaft auf der einen Seite und zu wenig Ehrlichkeit auf der anderen.
Kretschmer aus Ukraine ausgeladen: „Sie sind unerwünscht“
Der scheidende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von einem Ukraine-Besuch ausgeladen.
© Quelle: dpa
Denn die Reaktionen auf diese Rufe nach Diplomatie sind harsch – sie reichen von der Ausladung Kretschmers aus der Ukraine bis zum Vorwurf, den Westen zu spalten.
Doch es ist ungehörig, jedem Zweifler und jeder Zweiflerin unlautere Motive zu unterstellen. Man zählt nicht zur fünften Kolonne des Kremls, sobald man nach Frieden ruft, die Sanktionen überdenken will oder mehr Energie für eine Verhandlungslösung fordert.
Diplomatie statt Waffenlieferungen?
Es ist aber ebenso unlauter, die Debatte mit diesen Rufen schon zu beenden – indem man sich weigert, sie zu Ende zu denken. Wer nämlich „endlich“ Diplomatie einfordert, negiert, dass nicht nur Olaf Scholz und Emmanuel Macron immer wieder mit Putin telefonieren – erfolglos. Dass Russland erst am Wochenende das Abschlussdokument zur UN-Atomwaffenkonferenz blockiert hat.
Er ignoriert, dass die Ukraine einige Angebote zum Waffenstillstand gemacht hat – während Moskau nur Soldaten und Kriegsmaterial mobilisiert und seine Ziele bis heute unverändert ausspricht: die Absetzung der demokratisch gewählten Regierung, die Übernahme von Teilen des ukrainischen Staatsgebiets.
Wer also findet, die Waffen müssen nun um jeden Preis schweigen, der muss auch ehrlich aussprechen, dass er damit die Waffen derjenigen meint, die ihr Land verteidigen. Er muss zugeben, dass er die Kapitulation der Ukraine zu den uneingeschränkten Bedingungen Putins akzeptiert. Dass er allen Ukrainern die Zustände wünscht, die derzeit in den russisch besetzten Gebieten herrschen.
Es ist ja richtig: Die deutsche Debatte war im ersten halben Kriegsjahr militärisch dominiert. Vielleicht sogar: zu militaristisch. Das beweisen wohl gerade die vielen Stimmen derer, die offenbar den ehrlichen Eindruck haben, die Verhandlungsoption wurde nie ausreichend geprüft. Besser wäre es, wenn Regierungspolitiker und Militärexperten nicht sofort Kremltreue oder Naivität unterstellen würden, wo nach Frieden gerufen wird. Sondern besser erklären, was versucht wurde und woran es scheiterte.
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Im Gegenzug müssen die Radikalpazifisten sich auf eine echte Debatte einlassen – und entweder zugeben, dass sie hauptsächlich von den Kriegsnachrichten und den Folgen für ihre Geldbörse verschont bleiben wollen – und die Ukrainer dafür ihrem Schicksal überlassen. Oder dass sie – mit dem Abstand von 33 Jahren – die Sowjetherrschaft über Osteuropa akzeptabler finden als diesen heißen Krieg. Das wäre immerhin ehrlich, auch wenn man die sowjetische Russifizierung der Ukraine wohl nicht mit dem Alltag in der DDR gleichsetzen kann.
Tatsächlich sind Ideen gefragt, wie Putin zum Verhandeln gebracht werden kann, mit oder ohne Waffen. Vielleicht entstehen sie ja im Diskurs darüber. Das gelingt aber nur, wenn man die unschöne Realität anerkennt, dass Russland der Aggressor geblieben ist – und ohne jede Verhandlungsbereitschaft.