Franzosen und Belgier als Besatzer

Ruhrkampf: Der Start des „unmöglichen Jahres“ 1923

Französiche Soldaten in Essen bei der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen.

Französiche Soldaten in Essen bei der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen.

Berlin. Anfang Januar 1923 haben es die Franzosen endgültig satt. Deutschland ist bei den Zahlungen der Kriegsentschädigungen in Verzug geraten – obwohl die Sieger des Ersten Weltkriegs schon Sachlieferungen akzeptieren. Mehr als vier Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs gehen Italiener und Briten bei den Reparationszahlungen nach Auffassung der Franzosen zu verständnisvoll mit Kriegsverlierer Deutschland um. Sie scharen am 9. Januar in der Reparationskommission eine Mehrheit hinter sich.

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Die beschließt gegen die Stimme Großbritanniens Folgenschweres: Deutschland hätte 1922 absichtlich zu wenig Kohle an die Gewinner geliefert, darum müsse nun die „Politik der produktiven Pfänder“ betrieben werden. Das heißt: Besetzung des Ruhrgebiets.

Am 11. Januar 1923 marschieren fünf französische und eine belgische Division in das Ruhrgebiet ein und besetzen die Kohleproduktionsstätten.

Welt am Abgrund

Schon vier Jahre zuvor, bei den Friedensverhandlungen von Versailles, hatte ein aufstrebender britischer Ökonom eindringlich vor der ökonomischen Knebelung Deutschlands durch die Siegermächte gewarnt. 1919 legte der 36-jährige John Maynard Keynes sein Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“ vor. Er prophezeite die Destabilisierung der internationalen Wirtschaft und gefährlichen, sozialen Sprengstoff für Deutschland. Dies könne die Welt erneut in einen Abgrund reißen.

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Er sollte recht behalten.

Anfang 1923 ist es noch nicht so weit, doch aus heutiger Sicht wirkt der Einmarsch von 60.000 Franzosen und Belgiern ins industrielle Herz der jungen Weimarer Republik wie die Anfangsszene eines Katastrophenfilms. Widerstand gibt es so wie gut wie keinen, denn das Ruhrgebiet ist entmilitarisiert.

Die französische Regierung verfolgt zwei Ziele mit dieser Aktion. Die linke Rheinseite soll dauerhaft vom Deutschen Reich abgetrennt und der unberechenbare Nachbar langfristig geschwächt werden.

Kanzler ruft zum passiven Widerstand auf

Doch der seit November 1922 regierende parteilose Reichskanzler Wilhelm Cuno ruft am 13. Januar, unterstützt von nahezu allen Parteien, zum passiven Widerstand auf. Sechs Tage später weisen Reichsregierung und Länder ihre Staatsbeamten an, den Befehlen der französischen und belgischen Besatzer nicht Folge zu leisten.

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In Behörden und öffentlichen Verwaltungen bricht bürokratisches Chaos aus. Erste öffentliche Tumulte gibt es, als ein belgisches Kriegsgericht vier deutsche Polizisten in Aachen am 31. Januar zum Tode verurteilt.

In den besetzten Gebieten geht praktisch nichts mehr. Es entwickelt sich schnell ein Generalstreik. Dabei verweigern zwei Millionen Menschen ihre Arbeit in Industriebetrieben, Kohlehütten, in der Verwaltung sowie als Fahrer von Bussen und Bahnen. Um Löhne zu zahlen, wirft die Regierung die Gelddruckmaschine an.

Die Franzosen reagieren mit Ausweisungen aus den besetzten Gebieten. Zunächst sind nur hochrangige Staatsbeamte auf Regierungsebenen betroffen, dann aber auch normale Angestellte. Unterm Strich müssen 1923 insgesamt 150.000 Menschen das Ruhrgebiet verlassen.

Hufschmied erschlägt Offizier

Im März wird es blutig. Ein Hufschmied in Buer erschlägt mit dem Hammer einen französischen Offizier. Bei Krupp in Essen kommt es zu Ausschreitungen zwischen französischen Soldaten und Arbeitern. Dabei sterben 13 Arbeiter.

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Im sogenannten Ruhrkampf mischen immer häufiger frühere Freikorpsmitglieder und kommunistische Gruppen mit. Sie verüben Sabotageakte und Anschläge gegen die Besatzungstruppen. So wird etwa der Emscher-Düker des Rhein-Herne-Kanals bei Henrichenburg gesprengt und somit der Abtransport der Kohle nach Frankreich erschwert.

Albert Leo Schlageter führte während der Ruhrbesetzung 1923 Anschläge auf Verkehrsverbindungen der französischen Truppen aus.

Albert Leo Schlageter führte während der Ruhrbesetzung 1923 Anschläge auf Verkehrsverbindungen der französischen Truppen aus.

Die gewalttätigen Auseinandersetzungen fordern weit mehr als 100 Todesopfer. Zur Märtyrerfigur nicht allein der Nazis wird dabei Albert Leo Schlageter, Mitglied einer NSDAP-Tarnorganisation. Ein französisches Militärgericht verurteilt ihn wegen Spionage und Sprengstoffanschlägen im Mai 1923 zum Tode.

Im Sommer sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch die Ruhrbesetzung offensichtlich. Im Juli ist ein Dollar mehr als 160.000 Reichsmark wert. Im August stürzt die Regierung Cuno nach erfolglosen Verhandlungen mit Frankreich. Am 13. August 1923 übernimmt Gustav Stresemann von der Deutschen Volkspartei das Ruder als Reichskanzler und führt eine große Koalition.

Am 26. September 1923 erklärte Stresemann – nach ebenfalls erfolglosen Verhandlungen mit den Franzosen – den Ruhrkampf offiziell für beendet. Paris lenkt ein Jahr später auf Druck der USA und Großbritanniens ein und beendet die Besetzung des Ruhrgebietes im August 1925.

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Die Ruhrbesetzung ist nur ein Baustein im „unmöglichen Jahr“ 1923, wie es Sebastian Haffner in seiner „Geschichte eines Deutschen“ bezeichnet. Doch dieser Schlag gegen die deutsche Wirtschaft hat gesessen. Die Folgen sind nicht allein finanzieller Art. Die junge Demokratie droht im wachsenden politischen Misstrauen die Kontrolle zu verlieren.

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