Seltsame Vorgänge in Belarus heizen Gerüchte über Mobilmachung an
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Belarussische und russische Truppen bei einer Übung im Raum Brest am 22. Dezember 2022.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Immer wieder wird über die Eröffnung einer „zweiten Front“ im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine spekuliert. Für die Ukraine bildet die 1084 Kilometer lange Grenze zum nördlichen Nachbarland Belarus eine weiche Flanke. Ein Kriegseintritt des wichtigsten russischen Verbündeten – von Moskau angestrebt und möglicherweise sogar politisch erzwungen – wird seit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 für möglich gehalten.
Jetzt hat die unabhängige belarussische Journalistin und Aktivistin Hanna Liubakova einen Tweet gepostet, durch den die Gerüchte über einen möglichen Kriegseintritt von Diktator Alexander Lukaschenko neue Nahrung erhalten. Auf dem Busbahnhof von Borrissow läuft per Leuchtschrift eine offizielle Ansage folgenden Inhalts: „Alle männlichen Bürger im Alter von 18 bis 60 Jahren müssen zur Klärung ihrer Daten zum Einwohnermeldeamt oder Dorfvorstand kommen.“
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Eine Mobilmachung für den Kriegsfall? Erst Ende Dezember hatte die belarussische Armee erklärt, „auf alle Entwicklungen vorbereitet“ zu sein, wie aus einer Pressemitteilung der russischen Nachrichtenagentur Tass hervorging. Vorausgegangen war am 29. Dezember, dass Splitter einer offenbar irregeleiteten, in der Ukraine abgefeuerten Rakete im belarussischen Dorf Gorbakha gelandet waren, behauptet Minsk. Zuzutrauen wäre dem moskauhörigen Regime allemal, daraus einen Casus Belli zu konstruieren, einen Grund für den Kriegseintritt also.
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Für einen möglichen Kriegseintritt sprechen mehrere Gründe: Lukaschenkos Machtkonstrukt hat spätestens seit der nur mit russischer Hilfe ermöglichten Niederschlagung des Aufstands vom Frühjahr 2020 eigene politische Gestaltungsspielräume verloren. Wenn Moskau will, das Minsk Kriegspartei wird, sind die Verweigerungsmöglichkeiten, die der schwache Lukaschenko aus eigenem politischen Überlebensinteressen damit hat, eher gering.
Gegen eine Beteiligung von Belarus an der russischen Aggression sprechen dagegen andere, gewichtige Gründe: Die auf etwa 45.000 aktive Soldaten geschätzte belarussische Armee ist in einem desolaten Zustand, zudem technisch noch schlechter ausgerüstet als die russische Armee. Von einer überwältigenden Mehrheit der 9,3 Millionen Belarussen wird Russlands Überfall auf die Ukraine abgelehnt, Umfragen vom Frühjahr 2022 zufolge stimmen nur etwas über 10 Prozent einer Teilnahme an Putins Feldzug zu.
Desolater Kriegsverlauf
Der für Russland desolate Kriegsverlauf seitdem dürfte das Lager der Skeptiker eher noch vergrößert haben. Eine Teilnahme der militärisch unbedeutenden belarussischen Streitkräfte könnte dem fragilen Regime den Todesstoß versetzen – würde zumindest zu erheblicher Unruhe im Land führen.
Putins Armee könnte also auch ohne Beteiligung belarussischer Truppen erneut aus Richtung Norden den Großraum Kiew angreifen. Was momentan allerdings dagegen spricht, ist die schlechte Ausrüstung der russischen Armee, der die technischen (motorisierten) Voraussetzungen für einen Großangriff entlang der 1084 Kilometer langen Grenze fehlen. Allein die theoretische Möglichkeit, jederzeit losschlagen zu können, bringt mehrere Vorteile: Es bindet erhebliche ukrainische Truppen – und sorgt für permanente Unsicherheit.